Wagen einzuholen, so sollte er das Recht haben, den Freier mit seinem Spieße zu durchbohren. Als die vielen Freier, welche Hippodamia wegen ihrer Schönheit zählte, dieses vernahmen, waren sie alle getrosten Muthes. Sie hielten den König Oenomaus für einen altersschwachen Greis, der, im Bewußtseyn, mit Jünglingen doch nicht in die Wette rennen zu können, ihnen absichtlich einen so großen Vorsprung bewilligte, um seine wahrscheinliche Niederlage aus dieser Großmuth erklären zu können. Da¬ her kam einer um den andern nach Elis gezogen, stellte sich vor dem Könige, und begehrte seine Tochter zum Weibe. Dieser empfing sie jedesmal freundlich, überließ ihnen ein schönes Viergespann zur Fahrt und ging hin, dem Jupiter seinen Widder zu opfern, wobei er sich gar nicht beeilte. Dann erst bestieg er einen leichten Wagen, vor welchen seine beiden Rosse Phylla und Har¬ pinna gespannt waren, die geschwinder liefen, als der Nordwind. Mit ihnen holte sein Wagenlenker die Freier jedesmal noch lange vor Ende der Bahn ein, und un¬ versehens durchbohrte sie der Speer des grausamen Kö¬ nigs von hinten. Auf diese Art hatte er schon mehr denn zwölf Freier erlegt, denn immer holte er sie mit sei¬ nen schnellen Pferden ein.
Nun war Pelops vor seiner Fahrt nach der Gelieb¬ ten an der Halbinsel, die später seinen Namen führen sollte, gelandet. Bald hörte er, was sich zu Elis mit den Freiern zutrage. Da trat er nächtlicher Weile ans Meeresufer, und rief seinen Schutzgott, den mäch¬ tigen Dreizackschwinger Neptunus an, der ihm zu Füßen aus der Meeresfluth emporrauschte. "Mächtiger Gott," rief Pelops ihn an, "wenn dir selbst die Geschenke der
Wagen einzuholen, ſo ſollte er das Recht haben, den Freier mit ſeinem Spieße zu durchbohren. Als die vielen Freier, welche Hippodamia wegen ihrer Schönheit zählte, dieſes vernahmen, waren ſie alle getroſten Muthes. Sie hielten den König Oenomaus für einen altersſchwachen Greis, der, im Bewußtſeyn, mit Jünglingen doch nicht in die Wette rennen zu können, ihnen abſichtlich einen ſo großen Vorſprung bewilligte, um ſeine wahrſcheinliche Niederlage aus dieſer Großmuth erklären zu können. Da¬ her kam einer um den andern nach Elis gezogen, ſtellte ſich vor dem Könige, und begehrte ſeine Tochter zum Weibe. Dieſer empfing ſie jedesmal freundlich, überließ ihnen ein ſchönes Viergeſpann zur Fahrt und ging hin, dem Jupiter ſeinen Widder zu opfern, wobei er ſich gar nicht beeilte. Dann erſt beſtieg er einen leichten Wagen, vor welchen ſeine beiden Roſſe Phylla und Har¬ pinna geſpannt waren, die geſchwinder liefen, als der Nordwind. Mit ihnen holte ſein Wagenlenker die Freier jedesmal noch lange vor Ende der Bahn ein, und un¬ verſehens durchbohrte ſie der Speer des grauſamen Kö¬ nigs von hinten. Auf dieſe Art hatte er ſchon mehr denn zwölf Freier erlegt, denn immer holte er ſie mit ſei¬ nen ſchnellen Pferden ein.
Nun war Pelops vor ſeiner Fahrt nach der Gelieb¬ ten an der Halbinſel, die ſpäter ſeinen Namen führen ſollte, gelandet. Bald hörte er, was ſich zu Elis mit den Freiern zutrage. Da trat er nächtlicher Weile ans Meeresufer, und rief ſeinen Schutzgott, den mäch¬ tigen Dreizackſchwinger Neptunus an, der ihm zu Füßen aus der Meeresfluth emporrauſchte. „Mächtiger Gott,“ rief Pelops ihn an, „wenn dir ſelbſt die Geſchenke der
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Wagen einzuholen, ſo ſollte er das Recht haben, den
Freier mit ſeinem Spieße zu durchbohren. Als die vielen
Freier, welche Hippodamia wegen ihrer Schönheit zählte,
dieſes vernahmen, waren ſie alle getroſten Muthes. Sie
hielten den König Oenomaus für einen altersſchwachen
Greis, der, im Bewußtſeyn, mit Jünglingen doch nicht
in die Wette rennen zu können, ihnen abſichtlich einen ſo
großen Vorſprung bewilligte, um ſeine wahrſcheinliche
Niederlage aus dieſer Großmuth erklären zu können. Da¬
her kam einer um den andern nach Elis gezogen, ſtellte
ſich vor dem Könige, und begehrte ſeine Tochter zum
Weibe. Dieſer empfing ſie jedesmal freundlich, überließ
ihnen ein ſchönes Viergeſpann zur Fahrt und ging hin,
dem Jupiter ſeinen Widder zu opfern, wobei er ſich
gar nicht beeilte. Dann erſt beſtieg er einen leichten
Wagen, vor welchen ſeine beiden Roſſe Phylla und Har¬
pinna geſpannt waren, die geſchwinder liefen, als der
Nordwind. Mit ihnen holte ſein Wagenlenker die Freier
jedesmal noch lange vor Ende der Bahn ein, und un¬
verſehens durchbohrte ſie der Speer des grauſamen Kö¬
nigs von hinten. Auf dieſe Art hatte er ſchon mehr
denn zwölf Freier erlegt, denn immer holte er ſie mit ſei¬
nen ſchnellen Pferden ein.
Nun war Pelops vor ſeiner Fahrt nach der Gelieb¬
ten an der Halbinſel, die ſpäter ſeinen Namen führen
ſollte, gelandet. Bald hörte er, was ſich zu Elis mit
den Freiern zutrage. Da trat er nächtlicher Weile
ans Meeresufer, und rief ſeinen Schutzgott, den mäch¬
tigen Dreizackſchwinger Neptunus an, der ihm zu Füßen
aus der Meeresfluth emporrauſchte. „Mächtiger Gott,“
rief Pelops ihn an, „wenn dir ſelbſt die Geſchenke der
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/214>, abgerufen am 24.11.2024.
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