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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

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suchen; verlange welchen Dank du willst, und wisse, daß
du den Müttern und Frauen unserer Helden, die uns
vielleicht schon, am Ufer sitzend, beweinen, durch deinen
Beistand die schwarzen Sorgen zerstreuen, und in ganz
Griechenland Unsterblichkeit erlangen wirst."

Die Jungfrau hatte ihn ausreden lassen; sie senkte
ihre Augen mit einem süßen Lächeln; ihr Herz erfreute
sich seines Lobes, ihr Blick erhub sich wieder, die Worte
drängten sich auf ihre Lippen und gern hätte sie Alles zu¬
mal gesagt. So aber blieb sie ganz sprachlos, wickelte
nur die duftende Binde von dem Kästchen ab, das Ja¬
son ihr eilig und froh aus den Händen nahm. Sie aber
hätte ihm auch freudig die Seele aus der Brust gegeben,
wenn er sie verlangt hätte, so süße Flammen wehte ihr
der Liebesgott von Jasons blondem Haupte zu; ihre Seele
war durchwärmt wie der Thau auf den Rosen von den
Strahlen der Morgensonne durchglüht wird. Beide blick¬
ten verschämt zu Boden, dann richteten sie ihre Augen
wieder aufeinander und schickten sehnende Blicke unter
den Wimpern hervor. Erst spät und mit Mühe hub die
Jungfrau an: "Höre nun, wie ich dir Hülfe schaffen
will. Wenn dir mein Vater die verderblichen Drachen¬
zähne zum Säen überliefert haben wird, dann bade dich
einsam im Wasser des Flusses, bekleide dich mit schwar¬
zen Gewändern, und grabe eine kreisförmige Grube; in
dieser errichte einen Scheiterhaufen, schlachte ein weibli¬
ches Lamm und verbrenne es ganz darauf; dann träufle
der Hekate ein Trankopfer süßen Honigs aus der Schaale
und entferne dich wieder vom Scheiterhaufen: auf keinen
Fußtritt, auf kein Hundegebell kehre dich um, sonst wird
das Opfer vereitelt. Am andern Morgen salbe dich mit

ſuchen; verlange welchen Dank du willſt, und wiſſe, daß
du den Müttern und Frauen unſerer Helden, die uns
vielleicht ſchon, am Ufer ſitzend, beweinen, durch deinen
Beiſtand die ſchwarzen Sorgen zerſtreuen, und in ganz
Griechenland Unſterblichkeit erlangen wirſt.“

Die Jungfrau hatte ihn ausreden laſſen; ſie ſenkte
ihre Augen mit einem ſüßen Lächeln; ihr Herz erfreute
ſich ſeines Lobes, ihr Blick erhub ſich wieder, die Worte
drängten ſich auf ihre Lippen und gern hätte ſie Alles zu¬
mal geſagt. So aber blieb ſie ganz ſprachlos, wickelte
nur die duftende Binde von dem Käſtchen ab, das Ja¬
ſon ihr eilig und froh aus den Händen nahm. Sie aber
hätte ihm auch freudig die Seele aus der Bruſt gegeben,
wenn er ſie verlangt hätte, ſo ſüße Flammen wehte ihr
der Liebesgott von Jaſons blondem Haupte zu; ihre Seele
war durchwärmt wie der Thau auf den Roſen von den
Strahlen der Morgenſonne durchglüht wird. Beide blick¬
ten verſchämt zu Boden, dann richteten ſie ihre Augen
wieder aufeinander und ſchickten ſehnende Blicke unter
den Wimpern hervor. Erſt ſpät und mit Mühe hub die
Jungfrau an: „Höre nun, wie ich dir Hülfe ſchaffen
will. Wenn dir mein Vater die verderblichen Drachen¬
zähne zum Säen überliefert haben wird, dann bade dich
einſam im Waſſer des Fluſſes, bekleide dich mit ſchwar¬
zen Gewändern, und grabe eine kreisförmige Grube; in
dieſer errichte einen Scheiterhaufen, ſchlachte ein weibli¬
ches Lamm und verbrenne es ganz darauf; dann träufle
der Hekate ein Trankopfer ſüßen Honigs aus der Schaale
und entferne dich wieder vom Scheiterhaufen: auf keinen
Fußtritt, auf kein Hundegebell kehre dich um, ſonſt wird
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[135/0161] ſuchen; verlange welchen Dank du willſt, und wiſſe, daß du den Müttern und Frauen unſerer Helden, die uns vielleicht ſchon, am Ufer ſitzend, beweinen, durch deinen Beiſtand die ſchwarzen Sorgen zerſtreuen, und in ganz Griechenland Unſterblichkeit erlangen wirſt.“ Die Jungfrau hatte ihn ausreden laſſen; ſie ſenkte ihre Augen mit einem ſüßen Lächeln; ihr Herz erfreute ſich ſeines Lobes, ihr Blick erhub ſich wieder, die Worte drängten ſich auf ihre Lippen und gern hätte ſie Alles zu¬ mal geſagt. So aber blieb ſie ganz ſprachlos, wickelte nur die duftende Binde von dem Käſtchen ab, das Ja¬ ſon ihr eilig und froh aus den Händen nahm. Sie aber hätte ihm auch freudig die Seele aus der Bruſt gegeben, wenn er ſie verlangt hätte, ſo ſüße Flammen wehte ihr der Liebesgott von Jaſons blondem Haupte zu; ihre Seele war durchwärmt wie der Thau auf den Roſen von den Strahlen der Morgenſonne durchglüht wird. Beide blick¬ ten verſchämt zu Boden, dann richteten ſie ihre Augen wieder aufeinander und ſchickten ſehnende Blicke unter den Wimpern hervor. Erſt ſpät und mit Mühe hub die Jungfrau an: „Höre nun, wie ich dir Hülfe ſchaffen will. Wenn dir mein Vater die verderblichen Drachen¬ zähne zum Säen überliefert haben wird, dann bade dich einſam im Waſſer des Fluſſes, bekleide dich mit ſchwar¬ zen Gewändern, und grabe eine kreisförmige Grube; in dieſer errichte einen Scheiterhaufen, ſchlachte ein weibli¬ ches Lamm und verbrenne es ganz darauf; dann träufle der Hekate ein Trankopfer ſüßen Honigs aus der Schaale und entferne dich wieder vom Scheiterhaufen: auf keinen Fußtritt, auf kein Hundegebell kehre dich um, ſonſt wird das Opfer vereitelt. Am andern Morgen ſalbe dich mit

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/161>, abgerufen am 24.11.2024.