Ein Löw ist ein gutthätiges oder freygebiges Thier. Wann er ein Wild im Wald geraubet und gefangen hat/ so frist er es nicht AL- LEJN/ sondern läst andere kleine Thiere mit fressen. Also ist auch euer Liebster geartet. Er kan seinen Bissen nicht wol allein essen/ son- dern seine Freunde/ sonderlich Wittben/ Waysen/ und Frembdlinge/ die müssen auch ein Theil davon haben. Wann ein Löw schon schläft/ so hält er doch die Augen offen/ damit ihn nicht etwa eine Schlange beschädige. Also macht es euer Liebster. Wann man meinet/ er schläft/ und achte ein Ding nicht/ so siehet er am allerbesten zu. Er gehet be- hutsam in allen seinen Sachen/ er steckt seine Augen nicht in Hosen- sack/ sondern lässet sie im Kopffe stehen. Ein Löw wird zwar offt zor- nig/ aber er hat einen rechten edlen Zorn. Der Poet sagt:
Haec nobilis ira leonis, Parcere subjectis, & debellare superbos!
Ein ander Poet sagt:
Corpora magnanimo satis est prostrasse leoni, Pugna suum finem, cum jacet hostis, habet. At lupus & turpes instant morientibus ursi, &c.
Es ist ein Löw so Edel und großmütig/ daß wann ihm jemand etwas zu wider thut/ so beut er ihm wider die Stirn. Aber dem/ der sich vor ihm demütiget/ thut er kein Leyd. Glaubt mir Jungfrau/ daß euer Liebster auch von solch einem hohen Gemühte sey. Er läst sich zwar nicht unter der Nasen grübeln. Allein/ wann er erzörnt/ und in Harnisch gejagt ist/ so kan er mit einem freundlichen Wort wieder begütiget werden. Wann ein Löw in Angst und Noth ist/ so fängt er an hefftig zu brüllen. Solches Brüllen hat euer Liebster auch gelernet. Wann er in Creutz und Trübsal steckt/ wie andere Gottes allerliebste Freunde/ so fängt er an zu brüllen und zu beten/ daß es durch die Wol- cken/ und Ohren des Allerhöchsten tringet. Und darumb pflag er hiebe- vor auff Universitäten in die Stambücher zu schreiben:
Vincam mea fata precando,
Das ist so viel gesagt/ Jch wil mein Unglück mit Beten überwinden/ und vertreiben, Jch erinnere mich/ daß ich einmals beym Gellio ge- lesen habe/ daß ein Knecht/ mit Namen Androdus, seinem Herrn zu Rom entlauffen/ und in einen wilden Wald kommen sey/ da sey er matt und müde gewesen/ habe sich unter einen Baum gesetzt/ und sey ihm ein Löw begegnet/ der habe sich freundlich gegen ihn angestellt/ und ihm seinen Fuß in Schoß gelegt. Der Knecht habe gesehen/ daß der Löw in einen Dorn getreten/ und ihm deßwegen der Fuß geschwol- len sey/ habe demnach ihm den Dorn auß dem Fuß gezogen/ den Eyter mit reverentz zu melden auß dem Fuß getruckt/ das der Löw in kur- tzer Zeit wieder gesund worden/ und im Wald habe herumb lauffen
können/
Der Lobwuͤrdige
Ein Loͤw iſt ein gutthaͤtiges oder freygebiges Thier. Wann er ein Wild im Wald geraubet und gefangen hat/ ſo friſt er es nicht AL- LEJN/ ſondern laͤſt andere kleine Thiere mit freſſen. Alſo iſt auch euer Liebſter geartet. Er kan ſeinen Biſſen nicht wol allein eſſen/ ſon- dern ſeine Freunde/ ſonderlich Wittben/ Wayſen/ und Frembdlinge/ die muͤſſen auch ein Theil davon haben. Wann ein Loͤw ſchon ſchlaͤft/ ſo haͤlt er doch die Augen offen/ damit ihn nicht etwa eine Schlange beſchaͤdige. Alſo macht es euer Liebſter. Wann man meinet/ er ſchlaͤft/ und achte ein Ding nicht/ ſo ſiehet er am allerbeſten zu. Er gehet be- hutſam in allen ſeinen Sachen/ er ſteckt ſeine Augen nicht in Hoſen- ſack/ ſondern laͤſſet ſie im Kopffe ſtehen. Ein Loͤw wird zwar offt zor- nig/ aber er hat einen rechten edlen Zorn. Der Poet ſagt:
Hæc nobilis ira leonis, Parcere ſubjectis, & debellare ſuperbos!
Ein ander Poet ſagt:
Corpora magnanimo ſatis eſt proſtraſſe leoni, Pugna ſuum finem, cum jacet hoſtis, habet. At lupus & turpes inſtant morientibus urſi, &c.
Es iſt ein Loͤw ſo Edel und großmuͤtig/ daß wann ihm jemand etwas zu wider thut/ ſo beut er ihm wider die Stirn. Aber dem/ der ſich vor ihm demuͤtiget/ thut er kein Leyd. Glaubt mir Jungfrau/ daß euer Liebſter auch von ſolch einem hohen Gemuͤhte ſey. Er laͤſt ſich zwar nicht unter der Naſen gruͤbeln. Allein/ wann er erzoͤrnt/ und in Harniſch gejagt iſt/ ſo kan er mit einem freundlichen Wort wieder beguͤtiget werden. Wann ein Loͤw in Angſt und Noth iſt/ ſo faͤngt er an hefftig zu bruͤllen. Solches Bruͤllen hat euer Liebſter auch gelernet. Wann er in Creutz und Truͤbſal ſteckt/ wie andere Gottes allerliebſte Freunde/ ſo faͤngt er an zu bruͤllẽ und zu beten/ daß es durch die Wol- cken/ und Ohren des Allerhoͤchſten tringet. Und darumb pflag eꝛ hiebe- vor auff Univerſitaͤten in die Stambuͤcher zu ſchreiben:
Vincam mea fata precando,
Das iſt ſo viel geſagt/ Jch wil mein Ungluͤck mit Beten uͤberwinden/ und vertreiben, Jch erinnere mich/ daß ich einmals beym Gellio ge- leſen habe/ daß ein Knecht/ mit Namen Androdus, ſeinem Herꝛn zu Rom entlauffen/ und in einen wilden Wald kommen ſey/ da ſey er matt und muͤde geweſen/ habe ſich unter einen Baum geſetzt/ und ſey ihm ein Loͤw begegnet/ der habe ſich freundlich gegen ihn angeſtellt/ und ihm ſeinen Fuß in Schoß gelegt. Der Knecht habe geſehen/ daß der Loͤw in einen Dorn getreten/ und ihm deßwegen der Fuß geſchwol- len ſey/ habe demnach ihm den Dorn auß dem Fuß gezogen/ den Eyter mit reverentz zu melden auß dem Fuß getruckt/ das der Loͤw in kur- tzer Zeit wieder geſund worden/ und im Wald habe herumb lauffen
koͤnnen/
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Der Lobwuͤrdige
Ein Loͤw iſt ein gutthaͤtiges oder freygebiges Thier. Wann er
ein Wild im Wald geraubet und gefangen hat/ ſo friſt er es nicht AL-
LEJN/ ſondern laͤſt andere kleine Thiere mit freſſen. Alſo iſt auch
euer Liebſter geartet. Er kan ſeinen Biſſen nicht wol allein eſſen/ ſon-
dern ſeine Freunde/ ſonderlich Wittben/ Wayſen/ und Frembdlinge/
die muͤſſen auch ein Theil davon haben. Wann ein Loͤw ſchon ſchlaͤft/
ſo haͤlt er doch die Augen offen/ damit ihn nicht etwa eine Schlange
beſchaͤdige. Alſo macht es euer Liebſter. Wann man meinet/ er ſchlaͤft/
und achte ein Ding nicht/ ſo ſiehet er am allerbeſten zu. Er gehet be-
hutſam in allen ſeinen Sachen/ er ſteckt ſeine Augen nicht in Hoſen-
ſack/ ſondern laͤſſet ſie im Kopffe ſtehen. Ein Loͤw wird zwar offt zor-
nig/ aber er hat einen rechten edlen Zorn. Der Poet ſagt:
Hæc nobilis ira leonis,
Parcere ſubjectis, & debellare ſuperbos!
Ein ander Poet ſagt:
Corpora magnanimo ſatis eſt proſtraſſe leoni,
Pugna ſuum finem, cum jacet hoſtis, habet.
At lupus & turpes inſtant morientibus urſi, &c.
Es iſt ein Loͤw ſo Edel und großmuͤtig/ daß wann ihm jemand
etwas zu wider thut/ ſo beut er ihm wider die Stirn. Aber dem/ der
ſich vor ihm demuͤtiget/ thut er kein Leyd. Glaubt mir Jungfrau/ daß
euer Liebſter auch von ſolch einem hohen Gemuͤhte ſey. Er laͤſt ſich
zwar nicht unter der Naſen gruͤbeln. Allein/ wann er erzoͤrnt/ und in
Harniſch gejagt iſt/ ſo kan er mit einem freundlichen Wort wieder
beguͤtiget werden. Wann ein Loͤw in Angſt und Noth iſt/ ſo faͤngt er
an hefftig zu bruͤllen. Solches Bruͤllen hat euer Liebſter auch gelernet.
Wann er in Creutz und Truͤbſal ſteckt/ wie andere Gottes allerliebſte
Freunde/ ſo faͤngt er an zu bruͤllẽ und zu beten/ daß es durch die Wol-
cken/ und Ohren des Allerhoͤchſten tringet. Und darumb pflag eꝛ hiebe-
vor auff Univerſitaͤten in die Stambuͤcher zu ſchreiben:
Vincam mea fata precando,
Das iſt ſo viel geſagt/ Jch wil mein Ungluͤck mit Beten uͤberwinden/
und vertreiben, Jch erinnere mich/ daß ich einmals beym Gellio ge-
leſen habe/ daß ein Knecht/ mit Namen Androdus, ſeinem Herꝛn zu
Rom entlauffen/ und in einen wilden Wald kommen ſey/ da ſey er
matt und muͤde geweſen/ habe ſich unter einen Baum geſetzt/ und ſey
ihm ein Loͤw begegnet/ der habe ſich freundlich gegen ihn angeſtellt/
und ihm ſeinen Fuß in Schoß gelegt. Der Knecht habe geſehen/ daß
der Loͤw in einen Dorn getreten/ und ihm deßwegen der Fuß geſchwol-
len ſey/ habe demnach ihm den Dorn auß dem Fuß gezogen/ den Eyter
mit reverentz zu melden auß dem Fuß getruckt/ das der Loͤw in kur-
tzer Zeit wieder geſund worden/ und im Wald habe herumb lauffen
koͤnnen/
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Schupp, Johann Balthasar: Schrifften. Hrsg. v. Anton Meno Schupp. [Hanau], [1663], S. 974. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schupp_schriften_1663/1016>, abgerufen am 18.05.2024.
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