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Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 3, [H. 5 u. H. 6]. Berlin, 1795.

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man zwar die eine Hälfte der umliegenden Ge-
gend, aber nicht die andre, und nicht die sämmt-
lichen Gebäude der Festung selbst, übersehen
konnte. Zu einem dieser Thürme, den großen
Trompeterthurm
, brachte mich mein Füh-
rer, um mir eine alte Orgel, die für ihn eine
große Merkwürdigkeit war, zu zeigen. Sie
wird durch Walzen und Blasebalg in Bewe-
gung gesetzt, macht zweymal des Tages, Abends
und Morgens, ein Geschrey mit allen ihren
Pfeifen, und spielt sodann ein Stück, das
alle Monate abwechselt.

Der Invalide schüttelte den Kopf, daß ich
diese altmodische Seltenheit nur so flüchtig an-
sahe, und versicherte, wenn ich die Felsen da
unten dreißig Jahr angesehen hätte, wie er,
würde ich wohl auch nicht mehr so viel Ge-
fallen daran finden. Ich gab ihm Recht, und
bat ihn, mich nun auf den allerhöchsten Fleck
der Festung zu führen; dies that er denn, doch
nicht, ohne ein paarmal keuchend zu wieder-
holen, daß einem alten Kerl das Steigen doch

man zwar die eine Haͤlfte der umliegenden Ge-
gend, aber nicht die andre, und nicht die ſaͤmmt-
lichen Gebaͤude der Feſtung ſelbſt, uͤberſehen
konnte. Zu einem dieſer Thuͤrme, den großen
Trompeterthurm
, brachte mich mein Fuͤh-
rer, um mir eine alte Orgel, die fuͤr ihn eine
große Merkwuͤrdigkeit war, zu zeigen. Sie
wird durch Walzen und Blaſebalg in Bewe-
gung geſetzt, macht zweymal des Tages, Abends
und Morgens, ein Geſchrey mit allen ihren
Pfeifen, und ſpielt ſodann ein Stuͤck, das
alle Monate abwechſelt.

Der Invalide ſchuͤttelte den Kopf, daß ich
dieſe altmodiſche Seltenheit nur ſo fluͤchtig an-
ſahe, und verſicherte, wenn ich die Felſen da
unten dreißig Jahr angeſehen haͤtte, wie er,
wuͤrde ich wohl auch nicht mehr ſo viel Ge-
fallen daran finden. Ich gab ihm Recht, und
bat ihn, mich nun auf den allerhoͤchſten Fleck
der Feſtung zu fuͤhren; dies that er denn, doch
nicht, ohne ein paarmal keuchend zu wieder-
holen, daß einem alten Kerl das Steigen doch

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[11/0283] man zwar die eine Haͤlfte der umliegenden Ge- gend, aber nicht die andre, und nicht die ſaͤmmt- lichen Gebaͤude der Feſtung ſelbſt, uͤberſehen konnte. Zu einem dieſer Thuͤrme, den großen Trompeterthurm, brachte mich mein Fuͤh- rer, um mir eine alte Orgel, die fuͤr ihn eine große Merkwuͤrdigkeit war, zu zeigen. Sie wird durch Walzen und Blaſebalg in Bewe- gung geſetzt, macht zweymal des Tages, Abends und Morgens, ein Geſchrey mit allen ihren Pfeifen, und ſpielt ſodann ein Stuͤck, das alle Monate abwechſelt. Der Invalide ſchuͤttelte den Kopf, daß ich dieſe altmodiſche Seltenheit nur ſo fluͤchtig an- ſahe, und verſicherte, wenn ich die Felſen da unten dreißig Jahr angeſehen haͤtte, wie er, wuͤrde ich wohl auch nicht mehr ſo viel Ge- fallen daran finden. Ich gab ihm Recht, und bat ihn, mich nun auf den allerhoͤchſten Fleck der Feſtung zu fuͤhren; dies that er denn, doch nicht, ohne ein paarmal keuchend zu wieder- holen, daß einem alten Kerl das Steigen doch

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Zitationshilfe: Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 3, [H. 5 u. H. 6]. Berlin, 1795, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise03_1795/283>, abgerufen am 13.05.2024.