Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 2, [H. 3]. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

Wir setzten uns zu Tische, und kaum saßen
wir, so wußten wir auch schon, wer der fremde
Tischgenoß war. Er erklärte sich in französi-
scher Sprache sehr nachdrücklich über die Le-
bensart in Warschau, über Leichtsinn und Ver-
führung, und gleich darauf kam die Geschichte
seines Sohnes. Jn der That, er war der
Vater unsers jungen Mannes. Dieser hatte,
seit den sechs Wochen seines hiesigen Aufent-
halts, tausend Dukaten, die er ihm baar mit-
gegeben, dreytausend Dukaten in einem Kre-
ditbrief auf Kabrit, wovon noch tausend für
ihn und die beyden andern tausend zur Zah-
lung an einen Geschäftsfreund bestimmt gewe-
sen waren, ausgegeben, war noch überdieß
funfzehn hundert auf Ehrenwort schuldig ge-
blieben und hatte dabey weder die Miethe,
noch den Schneider, noch den Kaufmann be-
zahlt. Am höchsten stieg der Unwillen des
Mannes, wenn er auf den Gedanken zurück
kam, daß der Sohn fast diese ganze Summe
verspielt habe, ohne spielen zu können; und

B 2

Wir ſetzten uns zu Tiſche, und kaum ſaßen
wir, ſo wußten wir auch ſchon, wer der fremde
Tiſchgenoß war. Er erklaͤrte ſich in franzoͤſi-
ſcher Sprache ſehr nachdruͤcklich uͤber die Le-
bensart in Warſchau, uͤber Leichtſinn und Ver-
fuͤhrung, und gleich darauf kam die Geſchichte
ſeines Sohnes. Jn der That, er war der
Vater unſers jungen Mannes. Dieſer hatte,
ſeit den ſechs Wochen ſeines hieſigen Aufent-
halts, tauſend Dukaten, die er ihm baar mit-
gegeben, dreytauſend Dukaten in einem Kre-
ditbrief auf Kabrit, wovon noch tauſend fuͤr
ihn und die beyden andern tauſend zur Zah-
lung an einen Geſchaͤftsfreund beſtimmt gewe-
ſen waren, ausgegeben, war noch uͤberdieß
funfzehn hundert auf Ehrenwort ſchuldig ge-
blieben und hatte dabey weder die Miethe,
noch den Schneider, noch den Kaufmann be-
zahlt. Am hoͤchſten ſtieg der Unwillen des
Mannes, wenn er auf den Gedanken zuruͤck
kam, daß der Sohn faſt dieſe ganze Summe
verſpielt habe, ohne ſpielen zu koͤnnen; und

B 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0029" n="19"/>
        <p>Wir &#x017F;etzten uns zu Ti&#x017F;che, und kaum &#x017F;aßen<lb/>
wir, &#x017F;o wußten wir auch &#x017F;chon, wer der fremde<lb/>
Ti&#x017F;chgenoß war. Er erkla&#x0364;rte &#x017F;ich in franzo&#x0364;&#x017F;i-<lb/>
&#x017F;cher Sprache &#x017F;ehr nachdru&#x0364;cklich u&#x0364;ber die Le-<lb/>
bensart in War&#x017F;chau, u&#x0364;ber Leicht&#x017F;inn und Ver-<lb/>
fu&#x0364;hrung, und gleich darauf kam die Ge&#x017F;chichte<lb/>
&#x017F;eines Sohnes. Jn der That, er war der<lb/>
Vater un&#x017F;ers jungen Mannes. Die&#x017F;er hatte,<lb/>
&#x017F;eit den &#x017F;echs Wochen &#x017F;eines hie&#x017F;igen Aufent-<lb/>
halts, tau&#x017F;end Dukaten, die er ihm baar mit-<lb/>
gegeben, dreytau&#x017F;end Dukaten in einem Kre-<lb/>
ditbrief auf Kabrit, wovon noch tau&#x017F;end fu&#x0364;r<lb/>
ihn und die beyden andern tau&#x017F;end zur Zah-<lb/>
lung an einen Ge&#x017F;cha&#x0364;ftsfreund be&#x017F;timmt gewe-<lb/>
&#x017F;en waren, ausgegeben, war noch u&#x0364;berdieß<lb/>
funfzehn hundert auf Ehrenwort &#x017F;chuldig ge-<lb/>
blieben und hatte dabey weder die Miethe,<lb/>
noch den Schneider, noch den Kaufmann be-<lb/>
zahlt. Am ho&#x0364;ch&#x017F;ten &#x017F;tieg der Unwillen des<lb/>
Mannes, wenn er auf den Gedanken zuru&#x0364;ck<lb/>
kam, daß der Sohn fa&#x017F;t die&#x017F;e ganze Summe<lb/>
ver&#x017F;pielt habe, ohne &#x017F;pielen zu ko&#x0364;nnen; und<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B 2</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[19/0029] Wir ſetzten uns zu Tiſche, und kaum ſaßen wir, ſo wußten wir auch ſchon, wer der fremde Tiſchgenoß war. Er erklaͤrte ſich in franzoͤſi- ſcher Sprache ſehr nachdruͤcklich uͤber die Le- bensart in Warſchau, uͤber Leichtſinn und Ver- fuͤhrung, und gleich darauf kam die Geſchichte ſeines Sohnes. Jn der That, er war der Vater unſers jungen Mannes. Dieſer hatte, ſeit den ſechs Wochen ſeines hieſigen Aufent- halts, tauſend Dukaten, die er ihm baar mit- gegeben, dreytauſend Dukaten in einem Kre- ditbrief auf Kabrit, wovon noch tauſend fuͤr ihn und die beyden andern tauſend zur Zah- lung an einen Geſchaͤftsfreund beſtimmt gewe- ſen waren, ausgegeben, war noch uͤberdieß funfzehn hundert auf Ehrenwort ſchuldig ge- blieben und hatte dabey weder die Miethe, noch den Schneider, noch den Kaufmann be- zahlt. Am hoͤchſten ſtieg der Unwillen des Mannes, wenn er auf den Gedanken zuruͤck kam, daß der Sohn faſt dieſe ganze Summe verſpielt habe, ohne ſpielen zu koͤnnen; und B 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0201_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0201_1795/29
Zitationshilfe: Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 2, [H. 3]. Berlin, 1795, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0201_1795/29>, abgerufen am 28.03.2024.