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Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 2, [H. 3]. Berlin, 1795.

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irgend noch ganze Stiefel hat, und ist so ge-
mein geworden, wie ehedem das "Monsieur"
bey den Franzosen. Eben so das "Panna"
bey den Weibern.

Es ist ebenfalls bedeutend, daß sich die Po-
len häufig mit "mein Herr Gönner,"
"mein Herr Wohlthäter" anreden.
Diese Redensart ist unter den höhern Stän-
den wahrscheinlich zuerst aufgekommen, aber
jetzt ist sie bis in die niedrigsten Klassen ver-
breitet, und es thut eine seltsame Wirkung,
wenn man ein paar Bettler um das dritte
Wort einander "mein Herr Gönner," oder
"mein Herr Wohlthäter" nennen hört.

Der gemeine Mann redet jeden, der über
ihm ist, mit gnädiger Herr an; wer noch
höher steht, erhält von ihm Excellenz,
Hochgebietender Herr
und andre präch-
tige Benennungen. Der Bauer sagt nicht bloß,
ich falle Jhnen zu Füßen, sondern streckt
sich längelang zu seines Herrn Füßen, faßt
nicht bloß nach denselben, sondern küßt sie
wirklich.

irgend noch ganze Stiefel hat, und iſt ſo ge-
mein geworden, wie ehedem das „Monſieur“
bey den Franzoſen. Eben ſo das „Panna“
bey den Weibern.

Es iſt ebenfalls bedeutend, daß ſich die Po-
len haͤufig mit „mein Herr Goͤnner,“
mein Herr Wohlthaͤter“ anreden.
Dieſe Redensart iſt unter den hoͤhern Staͤn-
den wahrſcheinlich zuerſt aufgekommen, aber
jetzt iſt ſie bis in die niedrigſten Klaſſen ver-
breitet, und es thut eine ſeltſame Wirkung,
wenn man ein paar Bettler um das dritte
Wort einander „mein Herr Goͤnner,“ oder
„mein Herr Wohlthaͤter“ nennen hoͤrt.

Der gemeine Mann redet jeden, der uͤber
ihm iſt, mit gnaͤdiger Herr an; wer noch
hoͤher ſteht, erhaͤlt von ihm Excellenz,
Hochgebietender Herr
und andre praͤch-
tige Benennungen. Der Bauer ſagt nicht bloß,
ich falle Jhnen zu Fuͤßen, ſondern ſtreckt
ſich laͤngelang zu ſeines Herrn Fuͤßen, faßt
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[221/0231] irgend noch ganze Stiefel hat, und iſt ſo ge- mein geworden, wie ehedem das „Monſieur“ bey den Franzoſen. Eben ſo das „Panna“ bey den Weibern. Es iſt ebenfalls bedeutend, daß ſich die Po- len haͤufig mit „mein Herr Goͤnner,“ „mein Herr Wohlthaͤter“ anreden. Dieſe Redensart iſt unter den hoͤhern Staͤn- den wahrſcheinlich zuerſt aufgekommen, aber jetzt iſt ſie bis in die niedrigſten Klaſſen ver- breitet, und es thut eine ſeltſame Wirkung, wenn man ein paar Bettler um das dritte Wort einander „mein Herr Goͤnner,“ oder „mein Herr Wohlthaͤter“ nennen hoͤrt. Der gemeine Mann redet jeden, der uͤber ihm iſt, mit gnaͤdiger Herr an; wer noch hoͤher ſteht, erhaͤlt von ihm Excellenz, Hochgebietender Herr und andre praͤch- tige Benennungen. Der Bauer ſagt nicht bloß, ich falle Jhnen zu Fuͤßen, ſondern ſtreckt ſich laͤngelang zu ſeines Herrn Fuͤßen, faßt nicht bloß nach denſelben, ſondern kuͤßt ſie wirklich.

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Zitationshilfe: Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 2, [H. 3]. Berlin, 1795, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0201_1795/231>, abgerufen am 27.11.2024.