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Schulz, Friedrich: Neue Reise durch Italien. Bd. 1, H. 1. Berlin, 1797.

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Straße und dem Platze Bra, besonders eine
reichliche Aernte. Auf dem letzteren sah ich
eine, mir ganz neue, Art von betrügerischer
Betteley. Ein junger Kerl, der mehr lieder-
lich und faul, als nothleidend und krank, aus-
sah, bot den Spatziergängern ein Scheermes-
ser an, mit der Versicherung, er sey so hungrig
und durstig, daß er dieses unentbehrliche Stück
seiner Habseligkeiten verkaufen müsse, um
nicht zu verschmachten. Dies sagte er in ei-
nem überaus kläglichen Tone und forderte zu-
gleich die Hälfte mehr für das Messer, als
es ihm gekostet hatte. Fand sich jemand,
der solch ein Werkzeug brauchte, der handelte
nicht lange mit einem Menschen, der Hun-
gers sterben wollte und war betrogen. Unter-
dessen ging der Gauner weiter und bot An-
dern wieder andere Waaren an, die er mit-
telst eines gewissen Takts immer so wählte,
wie er glaubte, daß die angebettelten Perso-
nen sie brauchen könnten.


Straße und dem Platze Bra, beſonders eine
reichliche Aernte. Auf dem letzteren ſah ich
eine, mir ganz neue, Art von betruͤgeriſcher
Betteley. Ein junger Kerl, der mehr lieder-
lich und faul, als nothleidend und krank, aus-
ſah, bot den Spatziergaͤngern ein Scheermeſ-
ſer an, mit der Verſicherung, er ſey ſo hungrig
und durſtig, daß er dieſes unentbehrliche Stuͤck
ſeiner Habſeligkeiten verkaufen muͤſſe, um
nicht zu verſchmachten. Dies ſagte er in ei-
nem uͤberaus klaͤglichen Tone und forderte zu-
gleich die Haͤlfte mehr fuͤr das Meſſer, als
es ihm gekoſtet hatte. Fand ſich jemand,
der ſolch ein Werkzeug brauchte, der handelte
nicht lange mit einem Menſchen, der Hun-
gers ſterben wollte und war betrogen. Unter-
deſſen ging der Gauner weiter und bot An-
dern wieder andere Waaren an, die er mit-
telſt eines gewiſſen Takts immer ſo waͤhlte,
wie er glaubte, daß die angebettelten Perſo-
nen ſie brauchen koͤnnten.


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[169/0177] Straße und dem Platze Bra, beſonders eine reichliche Aernte. Auf dem letzteren ſah ich eine, mir ganz neue, Art von betruͤgeriſcher Betteley. Ein junger Kerl, der mehr lieder- lich und faul, als nothleidend und krank, aus- ſah, bot den Spatziergaͤngern ein Scheermeſ- ſer an, mit der Verſicherung, er ſey ſo hungrig und durſtig, daß er dieſes unentbehrliche Stuͤck ſeiner Habſeligkeiten verkaufen muͤſſe, um nicht zu verſchmachten. Dies ſagte er in ei- nem uͤberaus klaͤglichen Tone und forderte zu- gleich die Haͤlfte mehr fuͤr das Meſſer, als es ihm gekoſtet hatte. Fand ſich jemand, der ſolch ein Werkzeug brauchte, der handelte nicht lange mit einem Menſchen, der Hun- gers ſterben wollte und war betrogen. Unter- deſſen ging der Gauner weiter und bot An- dern wieder andere Waaren an, die er mit- telſt eines gewiſſen Takts immer ſo waͤhlte, wie er glaubte, daß die angebettelten Perſo- nen ſie brauchen koͤnnten.

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Zitationshilfe: Schulz, Friedrich: Neue Reise durch Italien. Bd. 1, H. 1. Berlin, 1797, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_italien_1797/177>, abgerufen am 21.11.2024.