in der That in Verona nichts, und wird man wohl in wenig italienischen Städten et- was wissen. Wenn die Jtaliener deshalb ein feines Gefühl für Schaam nicht kennen, so kennen sie wiederum auch nicht die falsche Schaam, haben deshalb mehr Charakter, und richten sich nicht bloß ihretwegen zu Grunde.
Jch will ein Beyspiel anführen, das die- sen Unterschied zwischen der italienischen und deutschen Art zu denken recht auffallend dar- legen wird.
Am Tage meiner Ankunft in Verona ver- langte ich einen Lohnbedienten, und man ver- sprach, mir einen kommen zu lassen. Nach einigen Minuten pochte jemand an meine Thür, und ein mitteljähriger Mann trat mir mit einer anständigen Verbeugung, in einem saubern Frack, mit einer feinen Weste, und in seidenen Strümpfen, entgegen. Jch stand vor ihm, hatte meinen Reisehut in der Hand, und fragte ihn, wie man einen rechtlichen Kaufmann fragt, der einem Waaren anzubie-
in der That in Verona nichts, und wird man wohl in wenig italieniſchen Staͤdten et- was wiſſen. Wenn die Jtaliener deshalb ein feines Gefuͤhl fuͤr Schaam nicht kennen, ſo kennen ſie wiederum auch nicht die falſche Schaam, haben deshalb mehr Charakter, und richten ſich nicht bloß ihretwegen zu Grunde.
Jch will ein Beyſpiel anfuͤhren, das die- ſen Unterſchied zwiſchen der italieniſchen und deutſchen Art zu denken recht auffallend dar- legen wird.
Am Tage meiner Ankunft in Verona ver- langte ich einen Lohnbedienten, und man ver- ſprach, mir einen kommen zu laſſen. Nach einigen Minuten pochte jemand an meine Thuͤr, und ein mitteljaͤhriger Mann trat mir mit einer anſtaͤndigen Verbeugung, in einem ſaubern Frack, mit einer feinen Weſte, und in ſeidenen Struͤmpfen, entgegen. Jch ſtand vor ihm, hatte meinen Reiſehut in der Hand, und fragte ihn, wie man einen rechtlichen Kaufmann fragt, der einem Waaren anzubie-
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in der That in Verona nichts, und wird
man wohl in wenig italieniſchen Staͤdten et-
was wiſſen. Wenn die Jtaliener deshalb
ein feines Gefuͤhl fuͤr Schaam nicht kennen,
ſo kennen ſie wiederum auch nicht die falſche
Schaam, haben deshalb mehr Charakter, und
richten ſich nicht bloß ihretwegen zu Grunde.
Jch will ein Beyſpiel anfuͤhren, das die-
ſen Unterſchied zwiſchen der italieniſchen und
deutſchen Art zu denken recht auffallend dar-
legen wird.
Am Tage meiner Ankunft in Verona ver-
langte ich einen Lohnbedienten, und man ver-
ſprach, mir einen kommen zu laſſen. Nach
einigen Minuten pochte jemand an meine
Thuͤr, und ein mitteljaͤhriger Mann trat mir
mit einer anſtaͤndigen Verbeugung, in einem
ſaubern Frack, mit einer feinen Weſte, und
in ſeidenen Struͤmpfen, entgegen. Jch ſtand
vor ihm, hatte meinen Reiſehut in der Hand,
und fragte ihn, wie man einen rechtlichen
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Neue Reise durch Italien" ist auch erschiene… [mehr]
Die "Neue Reise durch Italien" ist auch erschienen als 7. Heft der "Reise eines Livländers von Riga nach Warschau, durch Südpreußen, über Breslau [...] nach Bozen in Tyrol".
Schulz, Friedrich: Neue Reise durch Italien. Bd. 1, H. 1. Berlin, 1797, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_italien_1797/141>, abgerufen am 16.02.2025.
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