Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.gessen." Sie verachten den Feind, vor dem sie geflohen sind: denselben Feind, der den Sohn des heiligen Ludwig und die Tochter der Habsburger aufs Blutgerüst schickt, der das riesenmächtige Königthum Frankreichs vernichtet, der eine Welt umstürzt, um eine neue über ihren Trümmern zu erbauen -- den Feind verachten sie. Und weßhalb? Weil er ein Plebejer ist. Sie haben ein kleines Häuflein adeliger Männer als Heer der Emigration errichtet und wollen durch einen "Spaziergang nach Paris" Alles wiedergewinnen, was sie verloren haben, ihren Feind zu Boden treten und eine blutige Rache nehmen. Eine Million von Männern steht wider sie unter den Waffen. Was schadet das? Es sind Plebejer. Seltsame Verblendung der Menschen. Sie haben die Sprache, um ihre Gedanken zu verschweigen, die Erfahrung, um sie nicht zu benutzen, den Verstand, um nicht zu begreifen! Unter allen den glänzenden Gestalten begegnen uns außer Artois und Conde Drei, welche wir kennen. Die erste ein großer, düsterer, gebräunter Mann mit starkem, schwarzem Bart und unstet umherfahrenden Blicken der schmalen, schlauen Augen. Er scheint Conversationen mit den Einzelnen entgehen zu wollen und ist bald in dem einen, bald in dem andern der Gemächer, wo er die verschiedenen Gruppen beobachtet. Es ist Joseph. Seine Frau sitzt auf einer Causeuse neben einem alten Militär mit dem Ludwigskreuz, der gessen.“ Sie verachten den Feind, vor dem sie geflohen sind: denselben Feind, der den Sohn des heiligen Ludwig und die Tochter der Habsburger aufs Blutgerüst schickt, der das riesenmächtige Königthum Frankreichs vernichtet, der eine Welt umstürzt, um eine neue über ihren Trümmern zu erbauen — den Feind verachten sie. Und weßhalb? Weil er ein Plebejer ist. Sie haben ein kleines Häuflein adeliger Männer als Heer der Emigration errichtet und wollen durch einen „Spaziergang nach Paris“ Alles wiedergewinnen, was sie verloren haben, ihren Feind zu Boden treten und eine blutige Rache nehmen. Eine Million von Männern steht wider sie unter den Waffen. Was schadet das? Es sind Plebejer. Seltsame Verblendung der Menschen. Sie haben die Sprache, um ihre Gedanken zu verschweigen, die Erfahrung, um sie nicht zu benutzen, den Verstand, um nicht zu begreifen! Unter allen den glänzenden Gestalten begegnen uns außer Artois und Condé Drei, welche wir kennen. Die erste ein großer, düsterer, gebräunter Mann mit starkem, schwarzem Bart und unstet umherfahrenden Blicken der schmalen, schlauen Augen. Er scheint Conversationen mit den Einzelnen entgehen zu wollen und ist bald in dem einen, bald in dem andern der Gemächer, wo er die verschiedenen Gruppen beobachtet. Es ist Joseph. Seine Frau sitzt auf einer Causeuse neben einem alten Militär mit dem Ludwigskreuz, der <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="6"> <p><pb facs="#f0080"/> gessen.“ Sie verachten den Feind, vor dem sie geflohen sind: denselben Feind, der den Sohn des heiligen Ludwig und die Tochter der Habsburger aufs Blutgerüst schickt, der das riesenmächtige Königthum Frankreichs vernichtet, der eine Welt umstürzt, um eine neue über ihren Trümmern zu erbauen — den Feind verachten sie. Und weßhalb? Weil er ein Plebejer ist. Sie haben ein kleines Häuflein adeliger Männer als Heer der Emigration errichtet und wollen durch einen „Spaziergang nach Paris“ Alles wiedergewinnen, was sie verloren haben, ihren Feind zu Boden treten und eine blutige Rache nehmen. Eine Million von Männern steht wider sie unter den Waffen. Was schadet das? Es sind Plebejer.</p><lb/> <p>Seltsame Verblendung der Menschen. Sie haben die Sprache, um ihre Gedanken zu verschweigen, die Erfahrung, um sie nicht zu benutzen, den Verstand, um nicht zu begreifen!</p><lb/> <p>Unter allen den glänzenden Gestalten begegnen uns außer Artois und Condé Drei, welche wir kennen. Die erste ein großer, düsterer, gebräunter Mann mit starkem, schwarzem Bart und unstet umherfahrenden Blicken der schmalen, schlauen Augen. Er scheint Conversationen mit den Einzelnen entgehen zu wollen und ist bald in dem einen, bald in dem andern der Gemächer, wo er die verschiedenen Gruppen beobachtet. Es ist Joseph. Seine Frau sitzt auf einer Causeuse neben einem alten Militär mit dem Ludwigskreuz, der<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0080]
gessen.“ Sie verachten den Feind, vor dem sie geflohen sind: denselben Feind, der den Sohn des heiligen Ludwig und die Tochter der Habsburger aufs Blutgerüst schickt, der das riesenmächtige Königthum Frankreichs vernichtet, der eine Welt umstürzt, um eine neue über ihren Trümmern zu erbauen — den Feind verachten sie. Und weßhalb? Weil er ein Plebejer ist. Sie haben ein kleines Häuflein adeliger Männer als Heer der Emigration errichtet und wollen durch einen „Spaziergang nach Paris“ Alles wiedergewinnen, was sie verloren haben, ihren Feind zu Boden treten und eine blutige Rache nehmen. Eine Million von Männern steht wider sie unter den Waffen. Was schadet das? Es sind Plebejer.
Seltsame Verblendung der Menschen. Sie haben die Sprache, um ihre Gedanken zu verschweigen, die Erfahrung, um sie nicht zu benutzen, den Verstand, um nicht zu begreifen!
Unter allen den glänzenden Gestalten begegnen uns außer Artois und Condé Drei, welche wir kennen. Die erste ein großer, düsterer, gebräunter Mann mit starkem, schwarzem Bart und unstet umherfahrenden Blicken der schmalen, schlauen Augen. Er scheint Conversationen mit den Einzelnen entgehen zu wollen und ist bald in dem einen, bald in dem andern der Gemächer, wo er die verschiedenen Gruppen beobachtet. Es ist Joseph. Seine Frau sitzt auf einer Causeuse neben einem alten Militär mit dem Ludwigskreuz, der
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/schuecking_schwester_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/schuecking_schwester_1910/80 |
Zitationshilfe: | Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schuecking_schwester_1910/80>, abgerufen am 16.02.2025. |