Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.dertatzen gedrückt und verdrießlich die Augen geschlossen, als ob er längst Geduld und Lust verloren und eingeschlafen sei. Alles ist still. Ein paar Vögel schießen über die Schlucht daher, aber so lautlos wie die Wölkchen am blauen Himmel, wie die Sonnenstrahlen, die bereits schräge durch die Wipfel fallen und mit abendlicher Färbung um die grünen Laubbüschel blitzen. Da knistert etwas -- Zweige biegen sich auseinander -- es ist am andern Ufer des Baches -- eine junge Rehkuh steckt ängstlich den Kopf durchs Dickicht; dann kommt sie vorsichtigen Schrittes, den Leib lässig in Wellenbewegungen schaukelnd, nieder, beugt den Hals und schlürft das klare Wasser ein. Der Hund hat sich auf die Vorderbeine erhoben; sein Auge funkelt; da jedoch sein Herr keine Bewegung macht und nur leise: a bas, Leo! flüstert, legt er sich wieder, als ob er sagen wolle: Hat sie für dich kein Interesse -- mir ist die braunäugige Waldschönheit auch gleichgültig; und dann drückt er den Kopf so fest an den Boden und schaut so klug aus den intelligenten Augen, als ob er es jetzt zu seiner Unterhaltung durchaus darauf angelegt habe, rechts und links von seinen zottigen Ohren das Gras wachsen zu hören. Endlich richtet sich der junge Mann unmuthig auf. Bertram! Hier, antwortet eine Stimme von drüben, aus dem dichtesten Gebüsch der jenseitigen Bergwand. Eine dertatzen gedrückt und verdrießlich die Augen geschlossen, als ob er längst Geduld und Lust verloren und eingeschlafen sei. Alles ist still. Ein paar Vögel schießen über die Schlucht daher, aber so lautlos wie die Wölkchen am blauen Himmel, wie die Sonnenstrahlen, die bereits schräge durch die Wipfel fallen und mit abendlicher Färbung um die grünen Laubbüschel blitzen. Da knistert etwas — Zweige biegen sich auseinander — es ist am andern Ufer des Baches — eine junge Rehkuh steckt ängstlich den Kopf durchs Dickicht; dann kommt sie vorsichtigen Schrittes, den Leib lässig in Wellenbewegungen schaukelnd, nieder, beugt den Hals und schlürft das klare Wasser ein. Der Hund hat sich auf die Vorderbeine erhoben; sein Auge funkelt; da jedoch sein Herr keine Bewegung macht und nur leise: à bas, Leo! flüstert, legt er sich wieder, als ob er sagen wolle: Hat sie für dich kein Interesse — mir ist die braunäugige Waldschönheit auch gleichgültig; und dann drückt er den Kopf so fest an den Boden und schaut so klug aus den intelligenten Augen, als ob er es jetzt zu seiner Unterhaltung durchaus darauf angelegt habe, rechts und links von seinen zottigen Ohren das Gras wachsen zu hören. Endlich richtet sich der junge Mann unmuthig auf. Bertram! Hier, antwortet eine Stimme von drüben, aus dem dichtesten Gebüsch der jenseitigen Bergwand. Eine <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0008"/> dertatzen gedrückt und verdrießlich die Augen geschlossen, als ob er längst Geduld und Lust verloren und eingeschlafen sei.</p><lb/> <p>Alles ist still. Ein paar Vögel schießen über die Schlucht daher, aber so lautlos wie die Wölkchen am blauen Himmel, wie die Sonnenstrahlen, die bereits schräge durch die Wipfel fallen und mit abendlicher Färbung um die grünen Laubbüschel blitzen. Da knistert etwas — Zweige biegen sich auseinander — es ist am andern Ufer des Baches — eine junge Rehkuh steckt ängstlich den Kopf durchs Dickicht; dann kommt sie vorsichtigen Schrittes, den Leib lässig in Wellenbewegungen schaukelnd, nieder, beugt den Hals und schlürft das klare Wasser ein.</p><lb/> <p>Der Hund hat sich auf die Vorderbeine erhoben; sein Auge funkelt; da jedoch sein Herr keine Bewegung macht und nur leise: à bas, Leo! flüstert, legt er sich wieder, als ob er sagen wolle: Hat sie für dich kein Interesse — mir ist die braunäugige Waldschönheit auch gleichgültig; und dann drückt er den Kopf so fest an den Boden und schaut so klug aus den intelligenten Augen, als ob er es jetzt zu seiner Unterhaltung durchaus darauf angelegt habe, rechts und links von seinen zottigen Ohren das Gras wachsen zu hören.</p><lb/> <p>Endlich richtet sich der junge Mann unmuthig auf.</p><lb/> <p>Bertram!</p><lb/> <p>Hier, antwortet eine Stimme von drüben, aus dem dichtesten Gebüsch der jenseitigen Bergwand. Eine<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0008]
dertatzen gedrückt und verdrießlich die Augen geschlossen, als ob er längst Geduld und Lust verloren und eingeschlafen sei.
Alles ist still. Ein paar Vögel schießen über die Schlucht daher, aber so lautlos wie die Wölkchen am blauen Himmel, wie die Sonnenstrahlen, die bereits schräge durch die Wipfel fallen und mit abendlicher Färbung um die grünen Laubbüschel blitzen. Da knistert etwas — Zweige biegen sich auseinander — es ist am andern Ufer des Baches — eine junge Rehkuh steckt ängstlich den Kopf durchs Dickicht; dann kommt sie vorsichtigen Schrittes, den Leib lässig in Wellenbewegungen schaukelnd, nieder, beugt den Hals und schlürft das klare Wasser ein.
Der Hund hat sich auf die Vorderbeine erhoben; sein Auge funkelt; da jedoch sein Herr keine Bewegung macht und nur leise: à bas, Leo! flüstert, legt er sich wieder, als ob er sagen wolle: Hat sie für dich kein Interesse — mir ist die braunäugige Waldschönheit auch gleichgültig; und dann drückt er den Kopf so fest an den Boden und schaut so klug aus den intelligenten Augen, als ob er es jetzt zu seiner Unterhaltung durchaus darauf angelegt habe, rechts und links von seinen zottigen Ohren das Gras wachsen zu hören.
Endlich richtet sich der junge Mann unmuthig auf.
Bertram!
Hier, antwortet eine Stimme von drüben, aus dem dichtesten Gebüsch der jenseitigen Bergwand. Eine
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