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Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Sie mußte sich erheben, sie durfte sich länger nicht der furchtbaren Last und Arbeit des neuen Tages entziehen. Gertrude kam sie anzukleiden und schüttete tausend Befürchtungen, Klagen, Verwünschungen der batavianischen Kammerfrau in den Busen ihrer Gebieterin aus.

Als Leonore gekleidet war, sah sie ihren Bruder unten auf der Gartentreppe stehen.

Herr im Himmel! rief Gertrude aus, dort drüben den Wiesenpfad entlang geht der Förster. Baron Joseph sieht mit seinem Augenglase nach ihm.

Leonore wurde bleich vor Schrecken -- wenn er die kurfürstliche Uniform bemerkt, so ist Alles verloren! stammelte sie.

Der schweift nur Ihnen zu lieb ums Haus, Fräulein, das können Sie glauben -- gestern um Mittag hab' ich ihn auch gesehen, wie er das Schloß anglotzte --

Schweig, Gertrude!

Das wird viel helfen -- ich wette darauf, daß wir ihn fortan täglich auf Schußweite zu Gesicht bekommen -- glauben Sie, ich hätte nicht bemerkt, wie er neulich Abends Ihnen die seltsamsten Augen von der Welt machte?

Leonore war im nächsten Augenblicke aus dem Zimmer und flog in den Garten hinab, um bei ihrem Bruder irgend etwas zur Erklärung der auffallenden Erscheinung eines fremden Jägers auf dem Grund und

Sie mußte sich erheben, sie durfte sich länger nicht der furchtbaren Last und Arbeit des neuen Tages entziehen. Gertrude kam sie anzukleiden und schüttete tausend Befürchtungen, Klagen, Verwünschungen der batavianischen Kammerfrau in den Busen ihrer Gebieterin aus.

Als Leonore gekleidet war, sah sie ihren Bruder unten auf der Gartentreppe stehen.

Herr im Himmel! rief Gertrude aus, dort drüben den Wiesenpfad entlang geht der Förster. Baron Joseph sieht mit seinem Augenglase nach ihm.

Leonore wurde bleich vor Schrecken — wenn er die kurfürstliche Uniform bemerkt, so ist Alles verloren! stammelte sie.

Der schweift nur Ihnen zu lieb ums Haus, Fräulein, das können Sie glauben — gestern um Mittag hab' ich ihn auch gesehen, wie er das Schloß anglotzte —

Schweig, Gertrude!

Das wird viel helfen — ich wette darauf, daß wir ihn fortan täglich auf Schußweite zu Gesicht bekommen — glauben Sie, ich hätte nicht bemerkt, wie er neulich Abends Ihnen die seltsamsten Augen von der Welt machte?

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[0061] Sie mußte sich erheben, sie durfte sich länger nicht der furchtbaren Last und Arbeit des neuen Tages entziehen. Gertrude kam sie anzukleiden und schüttete tausend Befürchtungen, Klagen, Verwünschungen der batavianischen Kammerfrau in den Busen ihrer Gebieterin aus. Als Leonore gekleidet war, sah sie ihren Bruder unten auf der Gartentreppe stehen. Herr im Himmel! rief Gertrude aus, dort drüben den Wiesenpfad entlang geht der Förster. Baron Joseph sieht mit seinem Augenglase nach ihm. Leonore wurde bleich vor Schrecken — wenn er die kurfürstliche Uniform bemerkt, so ist Alles verloren! stammelte sie. Der schweift nur Ihnen zu lieb ums Haus, Fräulein, das können Sie glauben — gestern um Mittag hab' ich ihn auch gesehen, wie er das Schloß anglotzte — Schweig, Gertrude! Das wird viel helfen — ich wette darauf, daß wir ihn fortan täglich auf Schußweite zu Gesicht bekommen — glauben Sie, ich hätte nicht bemerkt, wie er neulich Abends Ihnen die seltsamsten Augen von der Welt machte? Leonore war im nächsten Augenblicke aus dem Zimmer und flog in den Garten hinab, um bei ihrem Bruder irgend etwas zur Erklärung der auffallenden Erscheinung eines fremden Jägers auf dem Grund und

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T11:53:40Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T11:53:40Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schuecking_schwester_1910/61>, abgerufen am 12.05.2024.