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Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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wirst zu würdigen wissen. Du hast gesehen, wie die Barone von Windschrot zu Abend essen, und du kannst dir sagen: so ist Abend für Abend in diesem Hause servirt worden seit so viel hundert Jahren; nicht mehr, nicht weniger -- mag das Haus voll Gäste sein oder meine Schwester allein speisen -- dieselbe Anzahl Schüsseln, dieselbe würdige Einfachheit. Ihr habt bei euch die Sitte, sobald Gäste da sind, die Tafeln unter den ausgesuchtesten Leckerbissen sich biegen zu lassen, dagegen im Familienkreise frugal zu sein. Das ist nicht vornehm, Christine, nein, in der That nicht. Du siehst, hier ist es anders. Was das Edelfräulein Leonore Windschrot, wenn sie allein speis't, anständig findet, das darf sie auch als anständig Grafen und Fürsten bieten.

Daß Joseph diese Rede in holländischer Sprache hielt, braucht nicht angeführt zu werden.

V.

Leonore war am Abende in später Stunde todtmüde in die Kissen gesunken und eingeschlummert; erst als sie am andern Morgen erwachte, war es ihr möglich, ihre Gedanken zu sammeln und die Ereignisse und Gestalten des vorigen Tages an sich vorüberziehen zu

wirst zu würdigen wissen. Du hast gesehen, wie die Barone von Windschrot zu Abend essen, und du kannst dir sagen: so ist Abend für Abend in diesem Hause servirt worden seit so viel hundert Jahren; nicht mehr, nicht weniger — mag das Haus voll Gäste sein oder meine Schwester allein speisen — dieselbe Anzahl Schüsseln, dieselbe würdige Einfachheit. Ihr habt bei euch die Sitte, sobald Gäste da sind, die Tafeln unter den ausgesuchtesten Leckerbissen sich biegen zu lassen, dagegen im Familienkreise frugal zu sein. Das ist nicht vornehm, Christine, nein, in der That nicht. Du siehst, hier ist es anders. Was das Edelfräulein Leonore Windschrot, wenn sie allein speis't, anständig findet, das darf sie auch als anständig Grafen und Fürsten bieten.

Daß Joseph diese Rede in holländischer Sprache hielt, braucht nicht angeführt zu werden.

V.

Leonore war am Abende in später Stunde todtmüde in die Kissen gesunken und eingeschlummert; erst als sie am andern Morgen erwachte, war es ihr möglich, ihre Gedanken zu sammeln und die Ereignisse und Gestalten des vorigen Tages an sich vorüberziehen zu

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T11:53:40Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T11:53:40Z)

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Zitationshilfe: Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schuecking_schwester_1910/59>, abgerufen am 13.05.2024.