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Schuchardt, Hugo: Ueber die Lautgesetze. Gegen die Junggrammatiker. Berlin, 1885.

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dem Antheil den das Bewusstsein meines Erachtens
am Lautwandel hat, die Ausnahmslosigkeit der Laut-
gesetze für unvereinbar halte. Welchen Einfluss übt
nicht die Schule selbst da wo der öffentliche Unter-
richt die bescheidenste Rolle spielt? Wie weit ver-
breitet ist nicht unter den Ungebildeten das Bedürfniss
gebildet, unter den Provincialen das hauptstädtisch
zu reden? Rückt nicht im Militärschritt das Berliner
j für g immer tiefer und breiter nach Mitteldeutsch-
land vor? Dass in Frankreich und Deutschland (gut-
turales) r an Stelle von (dentalem) r seit langer Zeit
mehr und mehr in Mode kommt, ersehen wir aus
M. Trautmann's detaillirten Mitteilungen in der
Anglia III, 214 ff. (1880); vorher war gerade r = r
von Brugmann2 als Beispiel für die "blinde", d. h.
unbewusste Wirkung der Lautgesetze erwähnt worden.
Beiläufig erlaube ich mir eine Frage: Schmidt1 hat
später auch von "blind wirkenden" Lautgesetzen ge-
sprochen, wie kommt gerade Brugmann3, dazu zu sagen
dieser Ausdruck sei ihm bisher zweideutig gewesen?
Modischer, d. h. also mehr oder weniger bewusster
oder vielleicht besser gesagt willkürlicher Lautwandel
hat vielfach Neuerungen im Gefolge; er kann fälsch-
liche Anwendung erfahren, kann selbst um eine Stufe
gesteigert werden, kann parallelen Lautwandel her-
vorrufen. Wenn endlich, wie sich ja historisch belegen
lässt, irgend eine Lauteigenthümlichkeit einer wirklich
tonangebenden Persönlichkeit, eines Fürsten, Höflings,
Schauspielers in deren Kreis freiwillig copirt oder
die eines Lehrers von diesem seinen Schülern aufge-
zwungen wird, so lässt sich auch die Möglichkeit
nicht bestreiten dass der Ursprung eines Lautwan-
dels ein willkürlicher sei. Individueller Lautwandel

dem Antheil den das Bewusstsein meines Erachtens
am Lautwandel hat, die Ausnahmslosigkeit der Laut-
gesetze für unvereinbar halte. Welchen Einfluss übt
nicht die Schule selbst da wo der öffentliche Unter-
richt die bescheidenste Rolle spielt? Wie weit ver-
breitet ist nicht unter den Ungebildeten das Bedürfniss
gebildet, unter den Provincialen das hauptstädtisch
zu reden? Rückt nicht im Militärschritt das Berliner
j für g immer tiefer und breiter nach Mitteldeutsch-
land vor? Dass in Frankreich und Deutschland (gut-
turales) ϱ an Stelle von (dentalem) r seit langer Zeit
mehr und mehr in Mode kommt, ersehen wir aus
M. Trautmann's detaillirten Mitteilungen in der
Anglia III, 214 ff. (1880); vorher war gerade ϱ = r
von Brugmann2 als Beispiel für die „blinde“, d. h.
unbewusste Wirkung der Lautgesetze erwähnt worden.
Beiläufig erlaube ich mir eine Frage: Schmidt₁ hat
später auch von „blind wirkenden“ Lautgesetzen ge-
sprochen, wie kommt gerade Brugmann3, dazu zu sagen
dieser Ausdruck sei ihm bisher zweideutig gewesen?
Modischer, d. h. also mehr oder weniger bewusster
oder vielleicht besser gesagt willkürlicher Lautwandel
hat vielfach Neuerungen im Gefolge; er kann fälsch-
liche Anwendung erfahren, kann selbst um eine Stufe
gesteigert werden, kann parallelen Lautwandel her-
vorrufen. Wenn endlich, wie sich ja historisch belegen
lässt, irgend eine Lauteigenthümlichkeit einer wirklich
tonangebenden Persönlichkeit, eines Fürsten, Höflings,
Schauspielers in deren Kreis freiwillig copirt oder
die eines Lehrers von diesem seinen Schülern aufge-
zwungen wird, so lässt sich auch die Möglichkeit
nicht bestreiten dass der Ursprung eines Lautwan-
dels ein willkürlicher sei. Individueller Lautwandel

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[15/0027] dem Antheil den das Bewusstsein meines Erachtens am Lautwandel hat, die Ausnahmslosigkeit der Laut- gesetze für unvereinbar halte. Welchen Einfluss übt nicht die Schule selbst da wo der öffentliche Unter- richt die bescheidenste Rolle spielt? Wie weit ver- breitet ist nicht unter den Ungebildeten das Bedürfniss gebildet, unter den Provincialen das hauptstädtisch zu reden? Rückt nicht im Militärschritt das Berliner j für g immer tiefer und breiter nach Mitteldeutsch- land vor? Dass in Frankreich und Deutschland (gut- turales) ϱ an Stelle von (dentalem) r seit langer Zeit mehr und mehr in Mode kommt, ersehen wir aus M. Trautmann's detaillirten Mitteilungen in der Anglia III, 214 ff. (1880); vorher war gerade ϱ = r von Brugmann2 als Beispiel für die „blinde“, d. h. unbewusste Wirkung der Lautgesetze erwähnt worden. Beiläufig erlaube ich mir eine Frage: Schmidt₁ hat später auch von „blind wirkenden“ Lautgesetzen ge- sprochen, wie kommt gerade Brugmann3, dazu zu sagen dieser Ausdruck sei ihm bisher zweideutig gewesen? Modischer, d. h. also mehr oder weniger bewusster oder vielleicht besser gesagt willkürlicher Lautwandel hat vielfach Neuerungen im Gefolge; er kann fälsch- liche Anwendung erfahren, kann selbst um eine Stufe gesteigert werden, kann parallelen Lautwandel her- vorrufen. Wenn endlich, wie sich ja historisch belegen lässt, irgend eine Lauteigenthümlichkeit einer wirklich tonangebenden Persönlichkeit, eines Fürsten, Höflings, Schauspielers in deren Kreis freiwillig copirt oder die eines Lehrers von diesem seinen Schülern aufge- zwungen wird, so lässt sich auch die Möglichkeit nicht bestreiten dass der Ursprung eines Lautwan- dels ein willkürlicher sei. Individueller Lautwandel

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Zitationshilfe: Schuchardt, Hugo: Ueber die Lautgesetze. Gegen die Junggrammatiker. Berlin, 1885, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schuchardt_lautgesetze_1885/27>, abgerufen am 23.11.2024.