Schubin, Ossip: Vollmondzauber. In: Engelhorns Allgemeine Romanbibliothek (Fünfzehnter Jahrgang. Band 18). 2. Bd. Stuttgart, 1899.zeitgeschwärzten Stuckplafonds. Überall Sprünge und Risse, durch die der Wind hineindrang. Ein Wunder war es nicht, daß der Marchese sich nach etwas sehnte, seine Existenz aufzuhellen. An einem schönen Wintertag, Anfang Januar, brachte er der damals zwölfjährigen Emma eine Stiefmutter nach San Vitale, eine junge Römerin, die Ginas Mutter werden sollte. Sie war hoch und schlank von Gestalt, etwas größer als Gina; ihr Gesicht, von dunklen Haaren umrahmt, war wunderbar schön, wie aus Alabaster geschnitten und von zwei großen, schwarzen Augen durchleuchtet. Aber so schön die Augen auch waren, sie waren doch nicht danach geschaffen, irgend jemand wohl zu thun, irgend jemand zu erfreuen. Es war ein gespannter, unruhig aufhorchender Blick in ihnen, als fürchte sich die Marchesa vor einer Gefahr, die ihr aus weiter Ferne drohte. Das Meer feierte die Ankunft der jungen Frau mit wilder Musik, niemand hatte es noch so toben hören. Und die Marchesa konnte den Lärm nicht aushalten und suchte im ganzen Schloß ein Zimmer, in welchem sie das Meer nicht hören würde. Aber je fester sie ihre Fenster schloß und verhängte, je tiefer landeinwärts sie in dem weitläufigen Kastell sich eine Zufluchtsstätte suchte, um so lauter tobten die Wellen. Gegen Ende Januar mußte der Marchese verreisen. zeitgeschwärzten Stuckplafonds. Überall Sprünge und Risse, durch die der Wind hineindrang. Ein Wunder war es nicht, daß der Marchese sich nach etwas sehnte, seine Existenz aufzuhellen. An einem schönen Wintertag, Anfang Januar, brachte er der damals zwölfjährigen Emma eine Stiefmutter nach San Vitale, eine junge Römerin, die Ginas Mutter werden sollte. Sie war hoch und schlank von Gestalt, etwas größer als Gina; ihr Gesicht, von dunklen Haaren umrahmt, war wunderbar schön, wie aus Alabaster geschnitten und von zwei großen, schwarzen Augen durchleuchtet. Aber so schön die Augen auch waren, sie waren doch nicht danach geschaffen, irgend jemand wohl zu thun, irgend jemand zu erfreuen. Es war ein gespannter, unruhig aufhorchender Blick in ihnen, als fürchte sich die Marchesa vor einer Gefahr, die ihr aus weiter Ferne drohte. Das Meer feierte die Ankunft der jungen Frau mit wilder Musik, niemand hatte es noch so toben hören. Und die Marchesa konnte den Lärm nicht aushalten und suchte im ganzen Schloß ein Zimmer, in welchem sie das Meer nicht hören würde. Aber je fester sie ihre Fenster schloß und verhängte, je tiefer landeinwärts sie in dem weitläufigen Kastell sich eine Zufluchtsstätte suchte, um so lauter tobten die Wellen. Gegen Ende Januar mußte der Marchese verreisen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0030" n="30"/> zeitgeschwärzten Stuckplafonds. Überall Sprünge und Risse, durch die der Wind hineindrang.</p> <p>Ein Wunder war es nicht, daß der Marchese sich nach etwas sehnte, seine Existenz aufzuhellen.</p> <p>An einem schönen Wintertag, Anfang Januar, brachte er der damals zwölfjährigen Emma eine Stiefmutter nach San Vitale, eine junge Römerin, die Ginas Mutter werden sollte. Sie war hoch und schlank von Gestalt, etwas größer als Gina; ihr Gesicht, von dunklen Haaren umrahmt, war wunderbar schön, wie aus Alabaster geschnitten und von zwei großen, schwarzen Augen durchleuchtet.</p> <p>Aber so schön die Augen auch waren, sie waren doch nicht danach geschaffen, irgend jemand wohl zu thun, irgend jemand zu erfreuen. Es war ein gespannter, unruhig aufhorchender Blick in ihnen, als fürchte sich die Marchesa vor einer Gefahr, die ihr aus weiter Ferne drohte.</p> <p>Das Meer feierte die Ankunft der jungen Frau mit wilder Musik, niemand hatte es noch so toben hören. Und die Marchesa konnte den Lärm nicht aushalten und suchte im ganzen Schloß ein Zimmer, in welchem sie das Meer nicht hören würde. Aber je fester sie ihre Fenster schloß und verhängte, je tiefer landeinwärts sie in dem weitläufigen Kastell sich eine Zufluchtsstätte suchte, um so lauter tobten die Wellen.</p> <p>Gegen Ende Januar mußte der Marchese verreisen.</p> </div> </body> </text> </TEI> [30/0030]
zeitgeschwärzten Stuckplafonds. Überall Sprünge und Risse, durch die der Wind hineindrang.
Ein Wunder war es nicht, daß der Marchese sich nach etwas sehnte, seine Existenz aufzuhellen.
An einem schönen Wintertag, Anfang Januar, brachte er der damals zwölfjährigen Emma eine Stiefmutter nach San Vitale, eine junge Römerin, die Ginas Mutter werden sollte. Sie war hoch und schlank von Gestalt, etwas größer als Gina; ihr Gesicht, von dunklen Haaren umrahmt, war wunderbar schön, wie aus Alabaster geschnitten und von zwei großen, schwarzen Augen durchleuchtet.
Aber so schön die Augen auch waren, sie waren doch nicht danach geschaffen, irgend jemand wohl zu thun, irgend jemand zu erfreuen. Es war ein gespannter, unruhig aufhorchender Blick in ihnen, als fürchte sich die Marchesa vor einer Gefahr, die ihr aus weiter Ferne drohte.
Das Meer feierte die Ankunft der jungen Frau mit wilder Musik, niemand hatte es noch so toben hören. Und die Marchesa konnte den Lärm nicht aushalten und suchte im ganzen Schloß ein Zimmer, in welchem sie das Meer nicht hören würde. Aber je fester sie ihre Fenster schloß und verhängte, je tiefer landeinwärts sie in dem weitläufigen Kastell sich eine Zufluchtsstätte suchte, um so lauter tobten die Wellen.
Gegen Ende Januar mußte der Marchese verreisen.
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Zitationshilfe: | Schubin, Ossip: Vollmondzauber. In: Engelhorns Allgemeine Romanbibliothek (Fünfzehnter Jahrgang. Band 18). 2. Bd. Stuttgart, 1899, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubin_vollmondzauber02_1899/30>, abgerufen am 22.07.2024. |