Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schubin, Ossip: Etiquette. Eine Rococo-Arabeske. Berlin, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

Zeugniß ablegt für seine fabelhafte Selbstsucht, als für seine erstaunliche Hellseherei - und mit dem er sich über alle Verdrießlichkeiten seiner Regierung hinwegsetzte, beruhigte er sich auch über die Bresche, die er in die Tradition gerissen durch die Einführung der Dirne an den Hof von Versailles.

Sie hatte die naive Gewissenlosigkeit einer Zigeunerin, sie kannte weder Haß noch Liebe, noch Reue oder religiöse Scrupel oder irgend ein anderes von den sogenannten tieferen Gefühlen, welche das Herz schwer, und die Seele dunkel machen; sie war unbedeutend, herzlich unbedeutend - aber eine ganz kleine, unbezahlbare Kunst verstand sie doch, und das war: die schwarzen Schmetterlinge aus des Königs Nähe zu verjagen.

Ihre lustigen Pariser Liedchen, ihre grisettische Ausgelassenheit, ja selbst ihre zischelnde Aussprache - Alles amüsirte ihn an ihr. Sein Lebenlang von der Langenweile Derer, die der Unterhaltung leben, verfolgt, liebte er in ihr die einzige Person, die es je vermocht hatte, mit dieser Langenweile fertig zu werden.

Zeugniß ablegt für seine fabelhafte Selbstsucht, als für seine erstaunliche Hellseherei – und mit dem er sich über alle Verdrießlichkeiten seiner Regierung hinwegsetzte, beruhigte er sich auch über die Bresche, die er in die Tradition gerissen durch die Einführung der Dirne an den Hof von Versailles.

Sie hatte die naive Gewissenlosigkeit einer Zigeunerin, sie kannte weder Haß noch Liebe, noch Reue oder religiöse Scrupel oder irgend ein anderes von den sogenannten tieferen Gefühlen, welche das Herz schwer, und die Seele dunkel machen; sie war unbedeutend, herzlich unbedeutend – aber eine ganz kleine, unbezahlbare Kunst verstand sie doch, und das war: die schwarzen Schmetterlinge aus des Königs Nähe zu verjagen.

Ihre lustigen Pariser Liedchen, ihre grisettische Ausgelassenheit, ja selbst ihre zischelnde Aussprache – Alles amüsirte ihn an ihr. Sein Lebenlang von der Langenweile Derer, die der Unterhaltung leben, verfolgt, liebte er in ihr die einzige Person, die es je vermocht hatte, mit dieser Langenweile fertig zu werden.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0014" n="14"/>
Zeugniß ablegt für seine fabelhafte Selbstsucht, als für seine erstaunliche Hellseherei &#x2013; und mit dem er sich über alle Verdrießlichkeiten seiner Regierung hinwegsetzte, beruhigte er sich auch über die Bresche, die er in die Tradition gerissen durch die Einführung der Dirne an den Hof von Versailles.</p>
        <p>Sie hatte die naive Gewissenlosigkeit einer Zigeunerin, sie kannte weder Haß noch Liebe, noch Reue oder religiöse Scrupel oder irgend ein anderes von den sogenannten tieferen Gefühlen, welche das Herz schwer, und die Seele dunkel machen; sie war unbedeutend, herzlich unbedeutend &#x2013; aber eine ganz kleine, unbezahlbare Kunst verstand sie doch, und das war: die schwarzen Schmetterlinge aus des Königs Nähe zu verjagen.</p>
        <p>Ihre lustigen Pariser Liedchen, ihre grisettische Ausgelassenheit, ja selbst ihre zischelnde Aussprache &#x2013; Alles amüsirte ihn an ihr. Sein Lebenlang von der Langenweile Derer, die der Unterhaltung leben, verfolgt, liebte er in ihr die einzige Person, die es je vermocht hatte, mit dieser Langenweile fertig zu werden.</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[14/0014] Zeugniß ablegt für seine fabelhafte Selbstsucht, als für seine erstaunliche Hellseherei – und mit dem er sich über alle Verdrießlichkeiten seiner Regierung hinwegsetzte, beruhigte er sich auch über die Bresche, die er in die Tradition gerissen durch die Einführung der Dirne an den Hof von Versailles. Sie hatte die naive Gewissenlosigkeit einer Zigeunerin, sie kannte weder Haß noch Liebe, noch Reue oder religiöse Scrupel oder irgend ein anderes von den sogenannten tieferen Gefühlen, welche das Herz schwer, und die Seele dunkel machen; sie war unbedeutend, herzlich unbedeutend – aber eine ganz kleine, unbezahlbare Kunst verstand sie doch, und das war: die schwarzen Schmetterlinge aus des Königs Nähe zu verjagen. Ihre lustigen Pariser Liedchen, ihre grisettische Ausgelassenheit, ja selbst ihre zischelnde Aussprache – Alles amüsirte ihn an ihr. Sein Lebenlang von der Langenweile Derer, die der Unterhaltung leben, verfolgt, liebte er in ihr die einzige Person, die es je vermocht hatte, mit dieser Langenweile fertig zu werden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-29T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-29T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-29T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Die großen Umlaute ”Ue“ der Vorlage wurden der heutigen Schreibweise ”Ü“ angepasst.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schubin_etiquette_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schubin_etiquette_1887/14
Zitationshilfe: Schubin, Ossip: Etiquette. Eine Rococo-Arabeske. Berlin, 1887, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubin_etiquette_1887/14>, abgerufen am 25.04.2024.