Schubert-Feder, Cläre: Das Leben der Studentinnen in Zürich. Berlin, 1894.Zuzug der Russinnen, auf 114 anwuchs. Jene vielge- Zuzug der Russinnen, auf 114 anwuchs. Jene vielge- <TEI> <text> <body> <p><pb facs="#f0008" n="5"/> Zuzug der Russinnen, auf 114 anwuchs. Jene vielge-<lb/> schmähten Russinnen, meine verehrten Leser, mögen das<lb/> Studium wohl manchmal als Vorwand für politische<lb/> Zwecke benutzt haben, in ihrem Leben mag nicht eben alles<lb/> klipp und klar gewesen sein – aber so schlimm, wie es<lb/> von den Gegnern gemacht und durch die Tagespresse in<lb/> alle Welt posaunt worden, so schlimm ist's bei Weitem<lb/> nicht gewesen. Ein Arzt, welcher in Zürich studirt hat,<lb/> gerade in jener, für das Frauenstudium verhängnißvollen<lb/> Zeit, schreibt in dem Leitartikel „Weibliche Studenten“<lb/> (Braunschweigische Landes-Zeitung vom 13. Mai 1891):<lb/> „Weil die Russen überhaupt Anstoß erregt hatten, wurden<lb/> die weiblichen russischen Studenten ausgeschlossen; daß der<lb/> weibliche Theil büßen mußte, war nur in der Ordnung;<lb/> denn die geringe Verletzung der Sitte wirkt beim Weibe<lb/> schwerer, als die große beim Manne.“ Das ist an sich<lb/> ohne Zweifel richtig, obwohl es beinahe klingt wie eine<lb/> Beschönigung der Unsittlichkeit seitens des Mannes, für<lb/> welche uns jede Sympathie fehlen würde. Um der Wahr-<lb/> heit auf den Grund zu kommen, habe ich über die russischen<lb/> Colleginnen mehrfach mit älteren Professoren und ver-<lb/> ständigen Bürgersleuten gesprochen; es wurden von ihnen<lb/> die oben erwähnten Andeutungen gemacht, auch hie und da<lb/> eine Einzelheit berichtet, im Allgemeinen aber auf die viel-<lb/> bewährte Kunst des Multiplicirens verwiesen, welche das<lb/> Publikum bei Wiedergabe anrüchiger Berichte in so hohem<lb/> Maße liebe. Wir glauben‘s gern, ohne damit die That-<lb/> sachen irgend wie bemänteln oder entschuldigen zu wollen,<lb/> allerdings auch die Thatsache nicht, daß sich unter den<lb/> Professoren nur recht wenige Vertheidiger, ich meine öffent-<lb/> liche Vertheidiger, der studirenden Frauen fanden. Während<lb/> in den letzten Jahren, auch Professor von Meyer und der<lb/></p> </body> </text> </TEI> [5/0008]
Zuzug der Russinnen, auf 114 anwuchs. Jene vielge-
schmähten Russinnen, meine verehrten Leser, mögen das
Studium wohl manchmal als Vorwand für politische
Zwecke benutzt haben, in ihrem Leben mag nicht eben alles
klipp und klar gewesen sein – aber so schlimm, wie es
von den Gegnern gemacht und durch die Tagespresse in
alle Welt posaunt worden, so schlimm ist's bei Weitem
nicht gewesen. Ein Arzt, welcher in Zürich studirt hat,
gerade in jener, für das Frauenstudium verhängnißvollen
Zeit, schreibt in dem Leitartikel „Weibliche Studenten“
(Braunschweigische Landes-Zeitung vom 13. Mai 1891):
„Weil die Russen überhaupt Anstoß erregt hatten, wurden
die weiblichen russischen Studenten ausgeschlossen; daß der
weibliche Theil büßen mußte, war nur in der Ordnung;
denn die geringe Verletzung der Sitte wirkt beim Weibe
schwerer, als die große beim Manne.“ Das ist an sich
ohne Zweifel richtig, obwohl es beinahe klingt wie eine
Beschönigung der Unsittlichkeit seitens des Mannes, für
welche uns jede Sympathie fehlen würde. Um der Wahr-
heit auf den Grund zu kommen, habe ich über die russischen
Colleginnen mehrfach mit älteren Professoren und ver-
ständigen Bürgersleuten gesprochen; es wurden von ihnen
die oben erwähnten Andeutungen gemacht, auch hie und da
eine Einzelheit berichtet, im Allgemeinen aber auf die viel-
bewährte Kunst des Multiplicirens verwiesen, welche das
Publikum bei Wiedergabe anrüchiger Berichte in so hohem
Maße liebe. Wir glauben‘s gern, ohne damit die That-
sachen irgend wie bemänteln oder entschuldigen zu wollen,
allerdings auch die Thatsache nicht, daß sich unter den
Professoren nur recht wenige Vertheidiger, ich meine öffent-
liche Vertheidiger, der studirenden Frauen fanden. Während
in den letzten Jahren, auch Professor von Meyer und der
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