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Schubert-Feder, Cläre: Das Leben der Studentinnen in Zürich. Berlin, 1894.

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werth". Und am Ende ist es auch für einen ernster und
tiefer angelegten Menschen nichts gar so Schreckliches,
selbst in noch jungen Jahren, 4-5 Jahre lang das ge-
sellschaftliche Leben mit seinem "Drum und Dran" zu
missen und stille Einkehr in sich selbst zu halten; denn
wird man auch hier und da einmal in eine Züricher
Familie gebeten, so ist das doch als kein geselliges Ver-
gnügen zu bezeichnen.



Ueberall, wo starker Fremdenverkehr herrscht, hält sich
die einheimische Gesellschaft reservirter, abgeschlossener als
anderswo, und so ist es denn auch der Züricher, bei dem
bisweilen das etwas schwerfällige, fast möchte ich sagen, unbe-
holfene Wesen des Deutschschweizers diesen Eindruck noch ver-
schärft. Aber dabei ist er, und das dürfte nicht minder bekannt
sein, von großer Treue und Zuverlässigkeit, und hat man
die etwas harte Rinde, die scheinbar sein Herz umschließt,
durchbrechen können, - wozu unter Umständen freilich
recht lange Bekanntschaft gehört - dann darf man Häuser
auf ihn bauen. Hält es also auch schwer, daß eine Stu-
dentin Zutritt findet in echt züricherische Familien, so
kann sie dafür um so heimischer darin werden: mein Herz
schlägt in beständigem Dank für die freundschaftliche Liebe,
die ich in mehr denn einem Züricher Hause jahrelang er-
fuhr. Die Zaghaftigkeit bei neuen Bekanntschaften darf
bei dem beständigen Zuzug und Wechsel kaum in Er-
staunen setzen.



Es ist bei den Zürichern Sitte, den Studirenden be-
reits in den letzten Semestern als Doctor anzureden, und
unter Doctor versteht das große Publicum noch immer den
Mediciner; also heißt eine Candidatin der Medizin kurz-
weg: "es Fräule Docter". Das Fräulein Doctor nun

werth“. Und am Ende ist es auch für einen ernster und
tiefer angelegten Menschen nichts gar so Schreckliches,
selbst in noch jungen Jahren, 4-5 Jahre lang das ge-
sellschaftliche Leben mit seinem „Drum und Dran“ zu
missen und stille Einkehr in sich selbst zu halten; denn
wird man auch hier und da einmal in eine Züricher
Familie gebeten, so ist das doch als kein geselliges Ver-
gnügen zu bezeichnen.



Ueberall, wo starker Fremdenverkehr herrscht, hält sich
die einheimische Gesellschaft reservirter, abgeschlossener als
anderswo, und so ist es denn auch der Züricher, bei dem
bisweilen das etwas schwerfällige, fast möchte ich sagen, unbe-
holfene Wesen des Deutschschweizers diesen Eindruck noch ver-
schärft. Aber dabei ist er, und das dürfte nicht minder bekannt
sein, von großer Treue und Zuverlässigkeit, und hat man
die etwas harte Rinde, die scheinbar sein Herz umschließt,
durchbrechen können, – wozu unter Umständen freilich
recht lange Bekanntschaft gehört – dann darf man Häuser
auf ihn bauen. Hält es also auch schwer, daß eine Stu-
dentin Zutritt findet in echt züricherische Familien, so
kann sie dafür um so heimischer darin werden: mein Herz
schlägt in beständigem Dank für die freundschaftliche Liebe,
die ich in mehr denn einem Züricher Hause jahrelang er-
fuhr. Die Zaghaftigkeit bei neuen Bekanntschaften darf
bei dem beständigen Zuzug und Wechsel kaum in Er-
staunen setzen.



Es ist bei den Zürichern Sitte, den Studirenden be-
reits in den letzten Semestern als Doctor anzureden, und
unter Doctor versteht das große Publicum noch immer den
Mediciner; also heißt eine Candidatin der Medizin kurz-
weg: „es Fräule Docter“. Das Fräulein Doctor nun

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[23/0026] werth“. Und am Ende ist es auch für einen ernster und tiefer angelegten Menschen nichts gar so Schreckliches, selbst in noch jungen Jahren, 4-5 Jahre lang das ge- sellschaftliche Leben mit seinem „Drum und Dran“ zu missen und stille Einkehr in sich selbst zu halten; denn wird man auch hier und da einmal in eine Züricher Familie gebeten, so ist das doch als kein geselliges Ver- gnügen zu bezeichnen. Ueberall, wo starker Fremdenverkehr herrscht, hält sich die einheimische Gesellschaft reservirter, abgeschlossener als anderswo, und so ist es denn auch der Züricher, bei dem bisweilen das etwas schwerfällige, fast möchte ich sagen, unbe- holfene Wesen des Deutschschweizers diesen Eindruck noch ver- schärft. Aber dabei ist er, und das dürfte nicht minder bekannt sein, von großer Treue und Zuverlässigkeit, und hat man die etwas harte Rinde, die scheinbar sein Herz umschließt, durchbrechen können, – wozu unter Umständen freilich recht lange Bekanntschaft gehört – dann darf man Häuser auf ihn bauen. Hält es also auch schwer, daß eine Stu- dentin Zutritt findet in echt züricherische Familien, so kann sie dafür um so heimischer darin werden: mein Herz schlägt in beständigem Dank für die freundschaftliche Liebe, die ich in mehr denn einem Züricher Hause jahrelang er- fuhr. Die Zaghaftigkeit bei neuen Bekanntschaften darf bei dem beständigen Zuzug und Wechsel kaum in Er- staunen setzen. Es ist bei den Zürichern Sitte, den Studirenden be- reits in den letzten Semestern als Doctor anzureden, und unter Doctor versteht das große Publicum noch immer den Mediciner; also heißt eine Candidatin der Medizin kurz- weg: „es Fräule Docter“. Das Fräulein Doctor nun

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Zitationshilfe: Schubert-Feder, Cläre: Das Leben der Studentinnen in Zürich. Berlin, 1894, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubertfeder_studentinnen_1894/26>, abgerufen am 22.07.2024.