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Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814.

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uns, zugleich mit dem ewigen und göttlichen Sehnen,
oder selbst anstatt desselben, die Welt sinnlicher Nei-
gungen und Lüste; der Lebensquell selber ist vergiftet,
der Becher der Begeisterung, den der Liebende seiner
Jungfrau sandte, daß sie aus ihm Weihe des reinen,
göttlichen Sehnens tränke, ist ihr zum Reizbecher nie-
derer Lust, die reine in ihm wohnende Flamme, zum
Feuer niederen Taumels geworden.

Was Sprache des Wachens seyn sollte, ist uns
jetzt dunkle Sprache des Traumes, und überhaupt ist
nun die Region des Gefühles, selbst des ursprünglich
geistigeren und reineren, der Seele, so lange sie in
diesem mit doppelten, so entsetzlich verschiedenartigen
Saiten bespannten Instrumente wohnet, eine gefahr-
volle, unsichere Region geworden. Die niedere Natur
muß sterben, und obgleich dieses Unkraut neben dem
Waizen und mitten unter ihm aufwuchs; so stirbt die
ewige Natur doch nicht mit jener zugleich, und das
asbestene Gewebe gehet aus der Flamme, welche die mit-
eingewebten Fäden niederer Art verzehrte, nur reiner
und schöner hervor. Und diese Flamme ist eben jene Nacht
ohne Stern, jener Zustand der tiefen Verlassenheit,
des Mangels, selbst der reinsten und heiligsten Ge-
fühle. Die Seele, wenn sie nun Alles verlassen, um
jener einzigen Liebe willen, wähnet, an diesem Fel-
sen, den sie allein gesucht, in der Fluth des Wandel-
baren, und nach manchem Sturm gefunden, das
schwache Fahrzeug auf ewig befestigt, sie glaubt jene
Eine Liebe werde unsterblich seyn, ihre Treue und
Süße unwandelbar durch Zeit und Ewigkeit! Und
nun sieht sie sich auch von dieser verlassen, auch das

ein-

uns, zugleich mit dem ewigen und goͤttlichen Sehnen,
oder ſelbſt anſtatt deſſelben, die Welt ſinnlicher Nei-
gungen und Luͤſte; der Lebensquell ſelber iſt vergiftet,
der Becher der Begeiſterung, den der Liebende ſeiner
Jungfrau ſandte, daß ſie aus ihm Weihe des reinen,
goͤttlichen Sehnens traͤnke, iſt ihr zum Reizbecher nie-
derer Luſt, die reine in ihm wohnende Flamme, zum
Feuer niederen Taumels geworden.

Was Sprache des Wachens ſeyn ſollte, iſt uns
jetzt dunkle Sprache des Traumes, und uͤberhaupt iſt
nun die Region des Gefuͤhles, ſelbſt des urſpruͤnglich
geiſtigeren und reineren, der Seele, ſo lange ſie in
dieſem mit doppelten, ſo entſetzlich verſchiedenartigen
Saiten beſpannten Inſtrumente wohnet, eine gefahr-
volle, unſichere Region geworden. Die niedere Natur
muß ſterben, und obgleich dieſes Unkraut neben dem
Waizen und mitten unter ihm aufwuchs; ſo ſtirbt die
ewige Natur doch nicht mit jener zugleich, und das
asbeſtene Gewebe gehet aus der Flamme, welche die mit-
eingewebten Faͤden niederer Art verzehrte, nur reiner
und ſchoͤner hervor. Und dieſe Flamme iſt eben jene Nacht
ohne Stern, jener Zuſtand der tiefen Verlaſſenheit,
des Mangels, ſelbſt der reinſten und heiligſten Ge-
fuͤhle. Die Seele, wenn ſie nun Alles verlaſſen, um
jener einzigen Liebe willen, waͤhnet, an dieſem Fel-
ſen, den ſie allein geſucht, in der Fluth des Wandel-
baren, und nach manchem Sturm gefunden, das
ſchwache Fahrzeug auf ewig befeſtigt, ſie glaubt jene
Eine Liebe werde unſterblich ſeyn, ihre Treue und
Suͤße unwandelbar durch Zeit und Ewigkeit! Und
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[89/0099] uns, zugleich mit dem ewigen und goͤttlichen Sehnen, oder ſelbſt anſtatt deſſelben, die Welt ſinnlicher Nei- gungen und Luͤſte; der Lebensquell ſelber iſt vergiftet, der Becher der Begeiſterung, den der Liebende ſeiner Jungfrau ſandte, daß ſie aus ihm Weihe des reinen, goͤttlichen Sehnens traͤnke, iſt ihr zum Reizbecher nie- derer Luſt, die reine in ihm wohnende Flamme, zum Feuer niederen Taumels geworden. Was Sprache des Wachens ſeyn ſollte, iſt uns jetzt dunkle Sprache des Traumes, und uͤberhaupt iſt nun die Region des Gefuͤhles, ſelbſt des urſpruͤnglich geiſtigeren und reineren, der Seele, ſo lange ſie in dieſem mit doppelten, ſo entſetzlich verſchiedenartigen Saiten beſpannten Inſtrumente wohnet, eine gefahr- volle, unſichere Region geworden. Die niedere Natur muß ſterben, und obgleich dieſes Unkraut neben dem Waizen und mitten unter ihm aufwuchs; ſo ſtirbt die ewige Natur doch nicht mit jener zugleich, und das asbeſtene Gewebe gehet aus der Flamme, welche die mit- eingewebten Faͤden niederer Art verzehrte, nur reiner und ſchoͤner hervor. Und dieſe Flamme iſt eben jene Nacht ohne Stern, jener Zuſtand der tiefen Verlaſſenheit, des Mangels, ſelbſt der reinſten und heiligſten Ge- fuͤhle. Die Seele, wenn ſie nun Alles verlaſſen, um jener einzigen Liebe willen, waͤhnet, an dieſem Fel- ſen, den ſie allein geſucht, in der Fluth des Wandel- baren, und nach manchem Sturm gefunden, das ſchwache Fahrzeug auf ewig befeſtigt, ſie glaubt jene Eine Liebe werde unſterblich ſeyn, ihre Treue und Suͤße unwandelbar durch Zeit und Ewigkeit! Und nun ſieht ſie ſich auch von dieſer verlaſſen, auch das ein-

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Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/99>, abgerufen am 28.04.2024.