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Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814.

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schen fast allgemein in einem Verhältniß zu der Na-
tur und zu seiner eigenen sinnlichen Sphäre, das von
unserem jetzigen sehr verschieden war. Jener blutige
Naturdienst, jene furchtbare Verkehrtheit, welche alle
Gräuel der schändlichsten thierischen Lust zum Gottes-
dienst machen wollte, die Grausamkeit, welche, ganz
in der Natur des Wahnsinns, weder der eigenen
Kinder noch des eigenen Leibes verschonte, können doch
in der That nicht als Wirkungen einer in den Gren-
zen des Besseren gebliebenen Menschennatur betrachtet
werden, und mit Recht machte die Sage des Alter-
thums die ganze Natur zu einem Wohnsitze und ver-
mittelnden Organ von Dämonen. Jenem auserwähl-
ten Volke scheint deßhalb nicht ohne tieferen Grund,
durch ein ausdrückliches höheres Verbot, ein großer
Theil der äußeren Natur versagt und verschlossen wor-
den zu seyn, indem es weder auf Höhen noch in
Haynen, noch überhaupt irgend wo anders opfern
durfte, als in einem nach höherer Anweisung erbau-
ten Tempel, und indem ihm ein großer Theil der
äußeren Natur unrein war. Gleich mit dem Ein-
tritte des Christenthums hörte jene Einschränkung auf,
dem Menschen wurde wieder der Zutritt zu der gan-
zen Natur, als die von Gott gereinigt sey, freyge-
stellt. Von einer andern Seite fodert unter allen
Religionen bloß das Christenthum Dinge von uns,
die der sinnlichen Natur ganz und gerade zu entge-
egen laufen, und eine ungemeine Selbstverläugnung
voraussetzen, z. B. herzliche Liebe des Feindes u. dgl.
und bloß das Christenthum giebt auch (vermittelst des
rwähnten inneren Organes) zu der Erfüllung dieser
Foderung Kräfte, und zeigt in der Geschichte seiner

Be-

ſchen faſt allgemein in einem Verhaͤltniß zu der Na-
tur und zu ſeiner eigenen ſinnlichen Sphaͤre, das von
unſerem jetzigen ſehr verſchieden war. Jener blutige
Naturdienſt, jene furchtbare Verkehrtheit, welche alle
Graͤuel der ſchaͤndlichſten thieriſchen Luſt zum Gottes-
dienſt machen wollte, die Grauſamkeit, welche, ganz
in der Natur des Wahnſinns, weder der eigenen
Kinder noch des eigenen Leibes verſchonte, koͤnnen doch
in der That nicht als Wirkungen einer in den Gren-
zen des Beſſeren gebliebenen Menſchennatur betrachtet
werden, und mit Recht machte die Sage des Alter-
thums die ganze Natur zu einem Wohnſitze und ver-
mittelnden Organ von Daͤmonen. Jenem auserwaͤhl-
ten Volke ſcheint deßhalb nicht ohne tieferen Grund,
durch ein ausdruͤckliches hoͤheres Verbot, ein großer
Theil der aͤußeren Natur verſagt und verſchloſſen wor-
den zu ſeyn, indem es weder auf Hoͤhen noch in
Haynen, noch uͤberhaupt irgend wo anders opfern
durfte, als in einem nach hoͤherer Anweiſung erbau-
ten Tempel, und indem ihm ein großer Theil der
aͤußeren Natur unrein war. Gleich mit dem Ein-
tritte des Chriſtenthums hoͤrte jene Einſchraͤnkung auf,
dem Menſchen wurde wieder der Zutritt zu der gan-
zen Natur, als die von Gott gereinigt ſey, freyge-
ſtellt. Von einer andern Seite fodert unter allen
Religionen bloß das Chriſtenthum Dinge von uns,
die der ſinnlichen Natur ganz und gerade zu entge-
egen laufen, und eine ungemeine Selbſtverlaͤugnung
vorausſetzen, z. B. herzliche Liebe des Feindes u. dgl.
und bloß das Chriſtenthum giebt auch (vermittelſt des
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[192/0202] ſchen faſt allgemein in einem Verhaͤltniß zu der Na- tur und zu ſeiner eigenen ſinnlichen Sphaͤre, das von unſerem jetzigen ſehr verſchieden war. Jener blutige Naturdienſt, jene furchtbare Verkehrtheit, welche alle Graͤuel der ſchaͤndlichſten thieriſchen Luſt zum Gottes- dienſt machen wollte, die Grauſamkeit, welche, ganz in der Natur des Wahnſinns, weder der eigenen Kinder noch des eigenen Leibes verſchonte, koͤnnen doch in der That nicht als Wirkungen einer in den Gren- zen des Beſſeren gebliebenen Menſchennatur betrachtet werden, und mit Recht machte die Sage des Alter- thums die ganze Natur zu einem Wohnſitze und ver- mittelnden Organ von Daͤmonen. Jenem auserwaͤhl- ten Volke ſcheint deßhalb nicht ohne tieferen Grund, durch ein ausdruͤckliches hoͤheres Verbot, ein großer Theil der aͤußeren Natur verſagt und verſchloſſen wor- den zu ſeyn, indem es weder auf Hoͤhen noch in Haynen, noch uͤberhaupt irgend wo anders opfern durfte, als in einem nach hoͤherer Anweiſung erbau- ten Tempel, und indem ihm ein großer Theil der aͤußeren Natur unrein war. Gleich mit dem Ein- tritte des Chriſtenthums hoͤrte jene Einſchraͤnkung auf, dem Menſchen wurde wieder der Zutritt zu der gan- zen Natur, als die von Gott gereinigt ſey, freyge- ſtellt. Von einer andern Seite fodert unter allen Religionen bloß das Chriſtenthum Dinge von uns, die der ſinnlichen Natur ganz und gerade zu entge- egen laufen, und eine ungemeine Selbſtverlaͤugnung vorausſetzen, z. B. herzliche Liebe des Feindes u. dgl. und bloß das Chriſtenthum giebt auch (vermittelſt des rwaͤhnten inneren Organes) zu der Erfuͤllung dieſer Foderung Kraͤfte, und zeigt in der Geſchichte ſeiner Be-

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Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/202>, abgerufen am 30.04.2024.