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Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814.

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Oesterer und vielleicht sicherer, pflegt sich jedoch
jene höhere Liebe allmählig eines für sie empfänglichen
Herzens zu bemächtigen und dasselbe durch unmerkliche
Uebergänge in ihre göttliche Natur umzuwandeln. Es
ist dieser Weg der leichtere und sanftere, während der
andere, auf welchem die Uebergänge heftiger und plötz-
licher geschehen, nicht ohne gewaltige Kämpfe abgehet.
Mächtiger nämlich als jede andere, pflegt jene höchste
Liebe alle unsere Gefühle bis in ihre Wurzel zu erre-
gen. Wenn dann der Gegenstand der sie entflammte
auf Augenblicke sich ihnen entziehet und den noch nicht
geprüften Willen gleichsam sich selber überlässet, äu-
ßern sich jene Gefühle ihrer eigentlichen (sinnlichen)
Natur gemäß, als sinnliche Neigung. Und dieß mit
der ganzen Heftigkeit welche jene höchste Neigung in
ihnen erweckte, wie die einmal groß genährte Flamme,
wenn nun auch jener nährende Stoff von oben, an dem
sie erstarkt war, ihr entgangen, sich mit ihrer ganzen
Heftigkeit auf die sie umgebenden niederen Gegenstände
wendet und sie verzehrt. Es entstehet hieraus ein in-
neres Leiden, das sich auf doppelte Weise zu äußern
vermag. Entweder hört, jener im vorigen Abschnitte
erwähnten Sprachverschiedenheit wegen, die in die
Schranken ihrer niedern Natur zurückgekehrte Region
des Gefühles auf, der höheren Region verständlich und
vernehmlich zu seyn, und es tritt nun die früher er-
wähnte Scheidewand in ihrer ganzen Stärke zwischen
beyde ein -- die ganze Region des Gefühles, wie sie
völlig von jener höheren Liebe in Anspruch genommen
war, wird jetzt, zu ihrer ersten Beschränkung zurück-
gekehrt, dem Willen und Bewußtseyn entzogen. In
diesem Falle entstehet jenes Gefühl von Dürre und

Ver-

Oeſterer und vielleicht ſicherer, pflegt ſich jedoch
jene hoͤhere Liebe allmaͤhlig eines fuͤr ſie empfaͤnglichen
Herzens zu bemaͤchtigen und daſſelbe durch unmerkliche
Uebergaͤnge in ihre goͤttliche Natur umzuwandeln. Es
iſt dieſer Weg der leichtere und ſanftere, waͤhrend der
andere, auf welchem die Uebergaͤnge heftiger und ploͤtz-
licher geſchehen, nicht ohne gewaltige Kaͤmpfe abgehet.
Maͤchtiger naͤmlich als jede andere, pflegt jene hoͤchſte
Liebe alle unſere Gefuͤhle bis in ihre Wurzel zu erre-
gen. Wenn dann der Gegenſtand der ſie entflammte
auf Augenblicke ſich ihnen entziehet und den noch nicht
gepruͤften Willen gleichſam ſich ſelber uͤberlaͤſſet, aͤu-
ßern ſich jene Gefuͤhle ihrer eigentlichen (ſinnlichen)
Natur gemaͤß, als ſinnliche Neigung. Und dieß mit
der ganzen Heftigkeit welche jene hoͤchſte Neigung in
ihnen erweckte, wie die einmal groß genaͤhrte Flamme,
wenn nun auch jener naͤhrende Stoff von oben, an dem
ſie erſtarkt war, ihr entgangen, ſich mit ihrer ganzen
Heftigkeit auf die ſie umgebenden niederen Gegenſtaͤnde
wendet und ſie verzehrt. Es entſtehet hieraus ein in-
neres Leiden, das ſich auf doppelte Weiſe zu aͤußern
vermag. Entweder hoͤrt, jener im vorigen Abſchnitte
erwaͤhnten Sprachverſchiedenheit wegen, die in die
Schranken ihrer niedern Natur zuruͤckgekehrte Region
des Gefuͤhles auf, der hoͤheren Region verſtaͤndlich und
vernehmlich zu ſeyn, und es tritt nun die fruͤher er-
waͤhnte Scheidewand in ihrer ganzen Staͤrke zwiſchen
beyde ein — die ganze Region des Gefuͤhles, wie ſie
voͤllig von jener hoͤheren Liebe in Anſpruch genommen
war, wird jetzt, zu ihrer erſten Beſchraͤnkung zuruͤck-
gekehrt, dem Willen und Bewußtſeyn entzogen. In
dieſem Falle entſtehet jenes Gefuͤhl von Duͤrre und

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[183/0193] Oeſterer und vielleicht ſicherer, pflegt ſich jedoch jene hoͤhere Liebe allmaͤhlig eines fuͤr ſie empfaͤnglichen Herzens zu bemaͤchtigen und daſſelbe durch unmerkliche Uebergaͤnge in ihre goͤttliche Natur umzuwandeln. Es iſt dieſer Weg der leichtere und ſanftere, waͤhrend der andere, auf welchem die Uebergaͤnge heftiger und ploͤtz- licher geſchehen, nicht ohne gewaltige Kaͤmpfe abgehet. Maͤchtiger naͤmlich als jede andere, pflegt jene hoͤchſte Liebe alle unſere Gefuͤhle bis in ihre Wurzel zu erre- gen. Wenn dann der Gegenſtand der ſie entflammte auf Augenblicke ſich ihnen entziehet und den noch nicht gepruͤften Willen gleichſam ſich ſelber uͤberlaͤſſet, aͤu- ßern ſich jene Gefuͤhle ihrer eigentlichen (ſinnlichen) Natur gemaͤß, als ſinnliche Neigung. Und dieß mit der ganzen Heftigkeit welche jene hoͤchſte Neigung in ihnen erweckte, wie die einmal groß genaͤhrte Flamme, wenn nun auch jener naͤhrende Stoff von oben, an dem ſie erſtarkt war, ihr entgangen, ſich mit ihrer ganzen Heftigkeit auf die ſie umgebenden niederen Gegenſtaͤnde wendet und ſie verzehrt. Es entſtehet hieraus ein in- neres Leiden, das ſich auf doppelte Weiſe zu aͤußern vermag. Entweder hoͤrt, jener im vorigen Abſchnitte erwaͤhnten Sprachverſchiedenheit wegen, die in die Schranken ihrer niedern Natur zuruͤckgekehrte Region des Gefuͤhles auf, der hoͤheren Region verſtaͤndlich und vernehmlich zu ſeyn, und es tritt nun die fruͤher er- waͤhnte Scheidewand in ihrer ganzen Staͤrke zwiſchen beyde ein — die ganze Region des Gefuͤhles, wie ſie voͤllig von jener hoͤheren Liebe in Anſpruch genommen war, wird jetzt, zu ihrer erſten Beſchraͤnkung zuruͤck- gekehrt, dem Willen und Bewußtſeyn entzogen. In dieſem Falle entſtehet jenes Gefuͤhl von Duͤrre und Ver-

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Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/193>, abgerufen am 30.04.2024.