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Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814.

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kaum merklich durch einen elektrischen Körper, und
ein plötzlich auf sie einfallender Lichtstrahl, so wie ein
naher Ton, der doch verwandte Saiten stark in Be-
wegung setzt, scheinen gar keinen unmittelbaren Ein-
fluß auf sie zu haben; eben so weuig als im organischen
Körper der Gesichtssinn Töne, das Gehör Farben ver-
nimmt; eine einfache Parallele, welche zum Theil von
den Physikern übersehen worden. Schon Wesen von
Einer und derselben, oder von nahe verwandter Gat-
tung und Anlage, aber von verschiedener Neigung,
verstehen sich gegenseitig nicht; z. B. die Bruthenne
versteht nicht die Neigung der jungen unter ihren Kü-
chelchen befindlichen Ente zum Wasser; der gemeine,
geldgierige Sinn versteht nicht den poetischen; der böse
Mensch nicht den Guten. Mit andern Worten: nur
Wesen, die sich in Beziehung auf ihre Neigungen ver-
wandt sind, vermögen auf einander zu wirken, und
wenn in irgend einem, sonst dem Cerebralsystem un-
tergeordneten, willkührlich beweglichen Theile durch ei-
nen Umstand die bildende oder zerstörende Ganglien-
thätigkeit das Uebergewicht bekommt, wird dieser Theil
willkührlich unbeweglich -- erscheint gelähmt. Auf
diese Weise sind sich auch das in materieller Bildung
befangene Gangliensystem, und das psychisch thätige
Gehirn, gegenseitig unverständlich, sind gegenseitig
von einander isolirt.

Betrachten wir den Organismus bloß innerhalb
der Grenzen der Thierheit, so erscheinen an ihm das
Gehirn und die Sinne als jener Theil, der an dem
Geschäfte der materiellen Körperbildung, auf welches
doch im Thiere alles hinführt, keinen unmittelbaren

An-

kaum merklich durch einen elektriſchen Koͤrper, und
ein ploͤtzlich auf ſie einfallender Lichtſtrahl, ſo wie ein
naher Ton, der doch verwandte Saiten ſtark in Be-
wegung ſetzt, ſcheinen gar keinen unmittelbaren Ein-
fluß auf ſie zu haben; eben ſo weuig als im organiſchen
Koͤrper der Geſichtsſinn Toͤne, das Gehoͤr Farben ver-
nimmt; eine einfache Parallele, welche zum Theil von
den Phyſikern uͤberſehen worden. Schon Weſen von
Einer und derſelben, oder von nahe verwandter Gat-
tung und Anlage, aber von verſchiedener Neigung,
verſtehen ſich gegenſeitig nicht; z. B. die Bruthenne
verſteht nicht die Neigung der jungen unter ihren Kuͤ-
chelchen befindlichen Ente zum Waſſer; der gemeine,
geldgierige Sinn verſteht nicht den poetiſchen; der boͤſe
Menſch nicht den Guten. Mit andern Worten: nur
Weſen, die ſich in Beziehung auf ihre Neigungen ver-
wandt ſind, vermoͤgen auf einander zu wirken, und
wenn in irgend einem, ſonſt dem Cerebralſyſtem un-
tergeordneten, willkuͤhrlich beweglichen Theile durch ei-
nen Umſtand die bildende oder zerſtoͤrende Ganglien-
thaͤtigkeit das Uebergewicht bekommt, wird dieſer Theil
willkuͤhrlich unbeweglich — erſcheint gelaͤhmt. Auf
dieſe Weiſe ſind ſich auch das in materieller Bildung
befangene Ganglienſyſtem, und das pſychiſch thaͤtige
Gehirn, gegenſeitig unverſtaͤndlich, ſind gegenſeitig
von einander iſolirt.

Betrachten wir den Organismus bloß innerhalb
der Grenzen der Thierheit, ſo erſcheinen an ihm das
Gehirn und die Sinne als jener Theil, der an dem
Geſchaͤfte der materiellen Koͤrperbildung, auf welches
doch im Thiere alles hinfuͤhrt, keinen unmittelbaren

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[160/0170] kaum merklich durch einen elektriſchen Koͤrper, und ein ploͤtzlich auf ſie einfallender Lichtſtrahl, ſo wie ein naher Ton, der doch verwandte Saiten ſtark in Be- wegung ſetzt, ſcheinen gar keinen unmittelbaren Ein- fluß auf ſie zu haben; eben ſo weuig als im organiſchen Koͤrper der Geſichtsſinn Toͤne, das Gehoͤr Farben ver- nimmt; eine einfache Parallele, welche zum Theil von den Phyſikern uͤberſehen worden. Schon Weſen von Einer und derſelben, oder von nahe verwandter Gat- tung und Anlage, aber von verſchiedener Neigung, verſtehen ſich gegenſeitig nicht; z. B. die Bruthenne verſteht nicht die Neigung der jungen unter ihren Kuͤ- chelchen befindlichen Ente zum Waſſer; der gemeine, geldgierige Sinn verſteht nicht den poetiſchen; der boͤſe Menſch nicht den Guten. Mit andern Worten: nur Weſen, die ſich in Beziehung auf ihre Neigungen ver- wandt ſind, vermoͤgen auf einander zu wirken, und wenn in irgend einem, ſonſt dem Cerebralſyſtem un- tergeordneten, willkuͤhrlich beweglichen Theile durch ei- nen Umſtand die bildende oder zerſtoͤrende Ganglien- thaͤtigkeit das Uebergewicht bekommt, wird dieſer Theil willkuͤhrlich unbeweglich — erſcheint gelaͤhmt. Auf dieſe Weiſe ſind ſich auch das in materieller Bildung befangene Ganglienſyſtem, und das pſychiſch thaͤtige Gehirn, gegenſeitig unverſtaͤndlich, ſind gegenſeitig von einander iſolirt. Betrachten wir den Organismus bloß innerhalb der Grenzen der Thierheit, ſo erſcheinen an ihm das Gehirn und die Sinne als jener Theil, der an dem Geſchaͤfte der materiellen Koͤrperbildung, auf welches doch im Thiere alles hinfuͤhrt, keinen unmittelbaren An-

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Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/170>, abgerufen am 30.04.2024.