Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

bildungskraft, in einem genauen Zusammenhange mit
dem Gangliensysteme gefunden. Wenn wir uns je-
ne Rührungen unserer Sinne, jene Handlungen, wel-
che mit innerm Gefühl verbunden waren, dadurch zu-
rückrufen, daß wir diese Gefühle erneuern, so muß
nothwendig ein großer Theil der Empfindungen und
vormaligen Rührungen, welche im inneren Kreise des
Gangliensystemes ihren sammlenden Mittelpunkt hatten,
für die Erinnerung verloren gehen, weil unser Wille
vermöge der oben erwähnten Scheidewand, nicht im
Stande ist, Rührungen jenes Systemes nach Gefallen
hervorzubringen. In der Zeit der Jugend, bey ei-
nem höheren Stand der bildenden Lebenskraft, gelingt
der sinnlichen Natur die Vereinigung beyder Systeme
und das Aufheben der trennenden Scheidewand noch
eher, dagegen scheint sich bey dem zunehmenden Alter
die Grenze immer enger und fester um das Cerebral-
system herumzuziehen und dem Willen den Zugang zu
der Region der Gefühle abzuschneiden. Alte, dumpfe
Greise, wissen nichts mehr von allen jenen folgenrei-
chen, heitern oder trüben Begebenheiten, nichts mehr
von allen jenen vielumfassenden tiefen Kenntnissen, wo-
durch sie früher zu großen männlichen Thaten gereift
waren, Neuton und Kant verstehen ihre eigenen Wer-
ke nicht mehr, große, im Umgange der Alten grau
gewordene Philologen, straucheln an leichten Sprach-
regeln, alle, selbst die höchsten Bemühungen und
Kämpfe um geistige Vollendung und Tugend, schei-
nen mit allen dem, was durch sie errungen worden,
verloren und auf immer vergessen zu seyn, und dem
frommen, tiefer erleuchteten Greise, bleibt von allen
mühsam erworbenen religiösen Erkenntnissen, kaum noch

ein

bildungskraft, in einem genauen Zuſammenhange mit
dem Ganglienſyſteme gefunden. Wenn wir uns je-
ne Ruͤhrungen unſerer Sinne, jene Handlungen, wel-
che mit innerm Gefuͤhl verbunden waren, dadurch zu-
ruͤckrufen, daß wir dieſe Gefuͤhle erneuern, ſo muß
nothwendig ein großer Theil der Empfindungen und
vormaligen Ruͤhrungen, welche im inneren Kreiſe des
Ganglienſyſtemes ihren ſammlenden Mittelpunkt hatten,
fuͤr die Erinnerung verloren gehen, weil unſer Wille
vermoͤge der oben erwaͤhnten Scheidewand, nicht im
Stande iſt, Ruͤhrungen jenes Syſtemes nach Gefallen
hervorzubringen. In der Zeit der Jugend, bey ei-
nem hoͤheren Stand der bildenden Lebenskraft, gelingt
der ſinnlichen Natur die Vereinigung beyder Syſteme
und das Aufheben der trennenden Scheidewand noch
eher, dagegen ſcheint ſich bey dem zunehmenden Alter
die Grenze immer enger und feſter um das Cerebral-
ſyſtem herumzuziehen und dem Willen den Zugang zu
der Region der Gefuͤhle abzuſchneiden. Alte, dumpfe
Greiſe, wiſſen nichts mehr von allen jenen folgenrei-
chen, heitern oder truͤben Begebenheiten, nichts mehr
von allen jenen vielumfaſſenden tiefen Kenntniſſen, wo-
durch ſie fruͤher zu großen maͤnnlichen Thaten gereift
waren, Neuton und Kant verſtehen ihre eigenen Wer-
ke nicht mehr, große, im Umgange der Alten grau
gewordene Philologen, ſtraucheln an leichten Sprach-
regeln, alle, ſelbſt die hoͤchſten Bemuͤhungen und
Kaͤmpfe um geiſtige Vollendung und Tugend, ſchei-
nen mit allen dem, was durch ſie errungen worden,
verloren und auf immer vergeſſen zu ſeyn, und dem
frommen, tiefer erleuchteten Greiſe, bleibt von allen
muͤhſam erworbenen religioͤſen Erkenntniſſen, kaum noch

ein
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0153" n="143"/>
bildungskraft, in einem genauen Zu&#x017F;ammenhange mit<lb/>
dem Ganglien&#x017F;y&#x017F;teme gefunden. Wenn wir uns je-<lb/>
ne Ru&#x0364;hrungen un&#x017F;erer Sinne, jene Handlungen, wel-<lb/>
che mit innerm Gefu&#x0364;hl verbunden waren, dadurch zu-<lb/>
ru&#x0364;ckrufen, daß wir die&#x017F;e Gefu&#x0364;hle erneuern, &#x017F;o muß<lb/>
nothwendig ein großer Theil der Empfindungen und<lb/>
vormaligen Ru&#x0364;hrungen, welche im inneren Krei&#x017F;e des<lb/>
Ganglien&#x017F;y&#x017F;temes ihren &#x017F;ammlenden Mittelpunkt hatten,<lb/>
fu&#x0364;r die Erinnerung verloren gehen, weil un&#x017F;er Wille<lb/>
vermo&#x0364;ge der oben erwa&#x0364;hnten Scheidewand, nicht im<lb/>
Stande i&#x017F;t, Ru&#x0364;hrungen jenes Sy&#x017F;temes nach Gefallen<lb/>
hervorzubringen. In der Zeit der Jugend, bey ei-<lb/>
nem ho&#x0364;heren Stand der bildenden Lebenskraft, gelingt<lb/>
der &#x017F;innlichen Natur die Vereinigung beyder Sy&#x017F;teme<lb/>
und das Aufheben der trennenden Scheidewand noch<lb/>
eher, dagegen &#x017F;cheint &#x017F;ich bey dem zunehmenden Alter<lb/>
die Grenze immer enger und fe&#x017F;ter um das Cerebral-<lb/>
&#x017F;y&#x017F;tem herumzuziehen und dem Willen den Zugang zu<lb/>
der Region der Gefu&#x0364;hle abzu&#x017F;chneiden. Alte, dumpfe<lb/>
Grei&#x017F;e, wi&#x017F;&#x017F;en nichts mehr von allen jenen folgenrei-<lb/>
chen, heitern oder tru&#x0364;ben Begebenheiten, nichts mehr<lb/>
von allen jenen vielumfa&#x017F;&#x017F;enden tiefen Kenntni&#x017F;&#x017F;en, wo-<lb/>
durch &#x017F;ie fru&#x0364;her zu großen ma&#x0364;nnlichen Thaten gereift<lb/>
waren, Neuton und Kant ver&#x017F;tehen ihre eigenen Wer-<lb/>
ke nicht mehr, große, im Umgange der Alten grau<lb/>
gewordene Philologen, &#x017F;traucheln an leichten Sprach-<lb/>
regeln, alle, &#x017F;elb&#x017F;t die ho&#x0364;ch&#x017F;ten Bemu&#x0364;hungen und<lb/>
Ka&#x0364;mpfe um gei&#x017F;tige Vollendung und Tugend, &#x017F;chei-<lb/>
nen mit allen dem, was durch &#x017F;ie errungen worden,<lb/>
verloren und auf immer verge&#x017F;&#x017F;en zu &#x017F;eyn, und dem<lb/>
frommen, tiefer erleuchteten Grei&#x017F;e, bleibt von allen<lb/>
mu&#x0364;h&#x017F;am erworbenen religio&#x0364;&#x017F;en Erkenntni&#x017F;&#x017F;en, kaum noch<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ein</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[143/0153] bildungskraft, in einem genauen Zuſammenhange mit dem Ganglienſyſteme gefunden. Wenn wir uns je- ne Ruͤhrungen unſerer Sinne, jene Handlungen, wel- che mit innerm Gefuͤhl verbunden waren, dadurch zu- ruͤckrufen, daß wir dieſe Gefuͤhle erneuern, ſo muß nothwendig ein großer Theil der Empfindungen und vormaligen Ruͤhrungen, welche im inneren Kreiſe des Ganglienſyſtemes ihren ſammlenden Mittelpunkt hatten, fuͤr die Erinnerung verloren gehen, weil unſer Wille vermoͤge der oben erwaͤhnten Scheidewand, nicht im Stande iſt, Ruͤhrungen jenes Syſtemes nach Gefallen hervorzubringen. In der Zeit der Jugend, bey ei- nem hoͤheren Stand der bildenden Lebenskraft, gelingt der ſinnlichen Natur die Vereinigung beyder Syſteme und das Aufheben der trennenden Scheidewand noch eher, dagegen ſcheint ſich bey dem zunehmenden Alter die Grenze immer enger und feſter um das Cerebral- ſyſtem herumzuziehen und dem Willen den Zugang zu der Region der Gefuͤhle abzuſchneiden. Alte, dumpfe Greiſe, wiſſen nichts mehr von allen jenen folgenrei- chen, heitern oder truͤben Begebenheiten, nichts mehr von allen jenen vielumfaſſenden tiefen Kenntniſſen, wo- durch ſie fruͤher zu großen maͤnnlichen Thaten gereift waren, Neuton und Kant verſtehen ihre eigenen Wer- ke nicht mehr, große, im Umgange der Alten grau gewordene Philologen, ſtraucheln an leichten Sprach- regeln, alle, ſelbſt die hoͤchſten Bemuͤhungen und Kaͤmpfe um geiſtige Vollendung und Tugend, ſchei- nen mit allen dem, was durch ſie errungen worden, verloren und auf immer vergeſſen zu ſeyn, und dem frommen, tiefer erleuchteten Greiſe, bleibt von allen muͤhſam erworbenen religioͤſen Erkenntniſſen, kaum noch ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/153
Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/153>, abgerufen am 30.04.2024.