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Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808.

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Und in der Geschichte des Menschen selber, sehen wir
das neugebohrne Kind zuerst durch den Instinkt in sei-
ne neue Heymath eingeführt, und dieser früheste Be-
gleiter pflegt später, wo der Wille sich entwicklet, blos
ohnmächtiger zu werden, nie sich ganz zu entfernen.

Es pflegt das, was unmittelbar nach einem noth-
wendigen Naturgesetz geschieht, jene eigenthümliche
Vollendung, Selbstständigkeit und Zweckmäßigkeit in
sich zu vereinen, welche der Natur selber in allen ih-
ren Wirkungen eigenthümlich ist. Wir finden selten,
daß der natürliche Trieb Täuschungen oder Misgriffen
ausgesetzt sey, wohl aber ist dieses in gewisser Hinsicht
der Wille. Es müssen die Dinge, welche einen sol-
chen Kunsttrieb oder Instinkt ausüben, als unmittel-
bare Organe der Natur betrachtet werden, welche sich
die Einzelnen um so mehr unterordnet, je unvollkomm-
ner sie sind. Wenn es die eigenthümliche Bestim-
mung und das Wesen unsrer Natur ist, wodurch sie
sich von der Natur andrer Wesen unterscheidet, daß sie
zur Selbstständigkeit, zu einer freyen harmonischen
Ausübung eines guten und harmonischen Willens zu
gelangen strebt, wenn hierinn unsre höchste Vollen-
dung, unser höchstes Ziel besteht, so muß, wie in
der Natur Alles von einem geringeren Anfang ausgeht,
die Ausübung des freyen Willens bey dem ersten Ein-
tritt des Menschengeschlechts, eben so wie bey dem des
Kindes, unvollkommener gewesen seyn als sie es nun ist,
in demselben Verhältniß aber ist der Mensch mehr der

Und in der Geſchichte des Menſchen ſelber, ſehen wir
das neugebohrne Kind zuerſt durch den Inſtinkt in ſei-
ne neue Heymath eingefuͤhrt, und dieſer fruͤheſte Be-
gleiter pflegt ſpaͤter, wo der Wille ſich entwicklet, blos
ohnmaͤchtiger zu werden, nie ſich ganz zu entfernen.

Es pflegt das, was unmittelbar nach einem noth-
wendigen Naturgeſetz geſchieht, jene eigenthuͤmliche
Vollendung, Selbſtſtaͤndigkeit und Zweckmaͤßigkeit in
ſich zu vereinen, welche der Natur ſelber in allen ih-
ren Wirkungen eigenthuͤmlich iſt. Wir finden ſelten,
daß der natuͤrliche Trieb Taͤuſchungen oder Misgriffen
ausgeſetzt ſey, wohl aber iſt dieſes in gewiſſer Hinſicht
der Wille. Es muͤſſen die Dinge, welche einen ſol-
chen Kunſttrieb oder Inſtinkt ausuͤben, als unmittel-
bare Organe der Natur betrachtet werden, welche ſich
die Einzelnen um ſo mehr unterordnet, je unvollkomm-
ner ſie ſind. Wenn es die eigenthuͤmliche Beſtim-
mung und das Weſen unſrer Natur iſt, wodurch ſie
ſich von der Natur andrer Weſen unterſcheidet, daß ſie
zur Selbſtſtaͤndigkeit, zu einer freyen harmoniſchen
Ausuͤbung eines guten und harmoniſchen Willens zu
gelangen ſtrebt, wenn hierinn unſre hoͤchſte Vollen-
dung, unſer hoͤchſtes Ziel beſteht, ſo muß, wie in
der Natur Alles von einem geringeren Anfang ausgeht,
die Ausuͤbung des freyen Willens bey dem erſten Ein-
tritt des Menſchengeſchlechts, eben ſo wie bey dem des
Kindes, unvollkommener geweſen ſeyn als ſie es nun iſt,
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[28/0042] Und in der Geſchichte des Menſchen ſelber, ſehen wir das neugebohrne Kind zuerſt durch den Inſtinkt in ſei- ne neue Heymath eingefuͤhrt, und dieſer fruͤheſte Be- gleiter pflegt ſpaͤter, wo der Wille ſich entwicklet, blos ohnmaͤchtiger zu werden, nie ſich ganz zu entfernen. Es pflegt das, was unmittelbar nach einem noth- wendigen Naturgeſetz geſchieht, jene eigenthuͤmliche Vollendung, Selbſtſtaͤndigkeit und Zweckmaͤßigkeit in ſich zu vereinen, welche der Natur ſelber in allen ih- ren Wirkungen eigenthuͤmlich iſt. Wir finden ſelten, daß der natuͤrliche Trieb Taͤuſchungen oder Misgriffen ausgeſetzt ſey, wohl aber iſt dieſes in gewiſſer Hinſicht der Wille. Es muͤſſen die Dinge, welche einen ſol- chen Kunſttrieb oder Inſtinkt ausuͤben, als unmittel- bare Organe der Natur betrachtet werden, welche ſich die Einzelnen um ſo mehr unterordnet, je unvollkomm- ner ſie ſind. Wenn es die eigenthuͤmliche Beſtim- mung und das Weſen unſrer Natur iſt, wodurch ſie ſich von der Natur andrer Weſen unterſcheidet, daß ſie zur Selbſtſtaͤndigkeit, zu einer freyen harmoniſchen Ausuͤbung eines guten und harmoniſchen Willens zu gelangen ſtrebt, wenn hierinn unſre hoͤchſte Vollen- dung, unſer hoͤchſtes Ziel beſteht, ſo muß, wie in der Natur Alles von einem geringeren Anfang ausgeht, die Ausuͤbung des freyen Willens bey dem erſten Ein- tritt des Menſchengeſchlechts, eben ſo wie bey dem des Kindes, unvollkommener geweſen ſeyn als ſie es nun iſt, in demſelben Verhaͤltniß aber iſt der Menſch mehr der

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Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808/42>, abgerufen am 23.11.2024.