Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808.nach dem Tode, und selbst nach zerstörtem Schedel das Eine andre Verwandschaft zeigt der Somnambu- Wenn es nämlich unläugbar ist, daß die Metalle Gegend, die Geschichte des Fräuleins Ludwiger zu Dessau, wovon einige Zeugen noch leben. Diese hatte einst in ih- rer frühesten Kindheit, die Unachtsamkeit der Wärterin der sie die eben abwesende Mutter vertraut täuschend, eine große Menge sehr starken Brandwein getrunken, und die nur mit Mühe vom Tode Gerettete, erhielt seitdem nie wie- der Bewußtseyn, Sprache und Beweglichkeit der Glie- der, und an Gestalt immer einem Kinde ähnlich bleibend, lag sie verschiedene Jahre in dumpfer Starrheit zu Bette. Die Pflege des hülflosen Kindes, befiehlt die sterbende Mut- ter ihren andern Töchtern noch in der letzten Stunde an, und diese nehmen sich des zurückgelassenen Kindes mit un- ermüdeter Sorgfalt an. Nur an einem einzigen Tage, (dem Hochzeittag der einen Schwester) vergißt man dem Kinde seine Nahrung zu reichen. Zuletzt, mitten in den Zerstreuungen des Festes, erinnern sich alle drey Schwe- stern zugleich der versäumten Pflicht, und zugleich nach dem Zimmer der Kranken hineilend, sehen sie das Kind, das sich sonst nie ohne fremde Hulfe aufrichten konnte, sich frey und mit einer heitern Miene emporheben, und den staunenden Schwestern versichern: "die Mutter sey eben hier gewesen und habe ihr schon ihr Essen gereicht." Es war dieses das erste und das letzte Wort des kranken Kindes, das einige Zeit hernach starb, ohne daß sich jemals wieder etwas Aehnliches an ihm gezeigt hätte. Z 2
nach dem Tode, und ſelbſt nach zerſtoͤrtem Schedel das Eine andre Verwandſchaft zeigt der Somnambu- Wenn es naͤmlich unlaͤugbar iſt, daß die Metalle Gegend, die Geſchichte des Fraͤuleins Ludwiger zu Deſſau, wovon einige Zeugen noch leben. Dieſe hatte einſt in ih- rer fruͤheſten Kindheit, die Unachtſamkeit der Waͤrterin der ſie die eben abweſende Mutter vertraut taͤuſchend, eine große Menge ſehr ſtarken Brandwein getrunken, und die nur mit Muͤhe vom Tode Gerettete, erhielt ſeitdem nie wie- der Bewußtſeyn, Sprache und Beweglichkeit der Glie- der, und an Geſtalt immer einem Kinde aͤhnlich bleibend, lag ſie verſchiedene Jahre in dumpfer Starrheit zu Bette. Die Pflege des huͤlfloſen Kindes, befiehlt die ſterbende Mut- ter ihren andern Toͤchtern noch in der letzten Stunde an, und dieſe nehmen ſich des zuruͤckgelaſſenen Kindes mit un- ermuͤdeter Sorgfalt an. Nur an einem einzigen Tage, (dem Hochzeittag der einen Schweſter) vergißt man dem Kinde ſeine Nahrung zu reichen. Zuletzt, mitten in den Zerſtreuungen des Feſtes, erinnern ſich alle drey Schwe- ſtern zugleich der verſaͤumten Pflicht, und zugleich nach dem Zimmer der Kranken hineilend, ſehen ſie das Kind, das ſich ſonſt nie ohne fremde Hulfe aufrichten konnte, ſich frey und mit einer heitern Miene emporheben, und den ſtaunenden Schweſtern verſichern: „die Mutter ſey eben hier geweſen und habe ihr ſchon ihr Eſſen gereicht.“ Es war dieſes das erſte und das letzte Wort des kranken Kindes, das einige Zeit hernach ſtarb, ohne daß ſich jemals wieder etwas Aehnliches an ihm gezeigt haͤtte. Z 2
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nach dem Tode, und ſelbſt nach zerſtoͤrtem Schedel das
Geſicht noch auf einmal veredelt und verklart.
Eine andre Verwandſchaft zeigt der Somnambu-
lismus mit dem neuerlich ſehr zur Sprache gekommenen
Gefuͤhl fuͤr Metalle.
Wenn es naͤmlich unlaͤugbar iſt, daß die Metalle
auf alle magnetiſch Schlafenden, ſelbſt aus einiger Ent-
fernung, wie ſchon in Heineckens vielfaͤltigen, und bis
zur hoͤchſten Qual der Somnambuͤlen wiederholten Ver-
ſuchen ſichtbar wird, heftig einwirken, ſo wird hier-
aus dieſe Gabe, die ſich an gewiſſen Menſchen auch
im geſunden Zuſtand gezeigt hat, begreiflicher. Es
iſt ſchon aus Humbolds fruͤheren Verſuchen bekannt,
daß ſelbſt die vom Koͤrper getrennten, ſchon faſt toden
Nerven, bey der Wirkung der Metalle im Galvanismus,
eine Art von Atmosphaͤre um ſich zeigen, und daß des-
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*) Gegend, die Geſchichte des Fraͤuleins Ludwiger zu Deſſau,
wovon einige Zeugen noch leben. Dieſe hatte einſt in ih-
rer fruͤheſten Kindheit, die Unachtſamkeit der Waͤrterin
der ſie die eben abweſende Mutter vertraut taͤuſchend, eine
große Menge ſehr ſtarken Brandwein getrunken, und die
nur mit Muͤhe vom Tode Gerettete, erhielt ſeitdem nie wie-
der Bewußtſeyn, Sprache und Beweglichkeit der Glie-
der, und an Geſtalt immer einem Kinde aͤhnlich bleibend,
lag ſie verſchiedene Jahre in dumpfer Starrheit zu Bette.
Die Pflege des huͤlfloſen Kindes, befiehlt die ſterbende Mut-
ter ihren andern Toͤchtern noch in der letzten Stunde an,
und dieſe nehmen ſich des zuruͤckgelaſſenen Kindes mit un-
ermuͤdeter Sorgfalt an. Nur an einem einzigen Tage,
(dem Hochzeittag der einen Schweſter) vergißt man dem
Kinde ſeine Nahrung zu reichen. Zuletzt, mitten in den
Zerſtreuungen des Feſtes, erinnern ſich alle drey Schwe-
ſtern zugleich der verſaͤumten Pflicht, und zugleich nach
dem Zimmer der Kranken hineilend, ſehen ſie das Kind,
das ſich ſonſt nie ohne fremde Hulfe aufrichten konnte,
ſich frey und mit einer heitern Miene emporheben, und
den ſtaunenden Schweſtern verſichern: „die Mutter ſey
eben hier geweſen und habe ihr ſchon ihr Eſſen gereicht.“
Es war dieſes das erſte und das letzte Wort des kranken
Kindes, das einige Zeit hernach ſtarb, ohne daß ſich jemals
wieder etwas Aehnliches an ihm gezeigt haͤtte.
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