Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

kannt ist, von der gefährlichen Krankheit seiner
weit entfernten geliebten Schwester nicht unter-
richtet. In derselben Nacht aber wo sie starb, sieht
ihn sein in demselben Zimmer schlafender Mitschüler
mit verschlossenen Augen aufstehen, und mit vielen
Klagen etwas niederschreiben. Jener erinnert sich am
andern Morgen an nichts mehr, selbst nicht daß ihm
etwas Aehnliches geträumt habe. Das Papier das er
in der vergangnen Nacht beschrieben, wird hervorge-
holt, um ihn mit den Zügen seiner eignen Hand zu
überzeugen, und man findet ein Gedicht auf den Tod
einer geliebten Schwester. --

Es ist bekannt, wie selbst einer unsern Kantischen
Philosophen, einen ähnlichen Fall, wo ein junger
Mensch den Tod seiner Geliebten durch eine Vision vor-
aus wußte, selber bezeugt. Doch ungleich merkwür-
diger als diese Fälle, deren es eine unzählige Menge
giebt, sind die zum Theil von Aerzten bezeugten, wo,
besonders Wahnsinnige oder Nervenkranke, zuweilen
aber auch gesunde Personen, ein seltsames Vorgefühl
von dem nahen Tod andrer ganz fremder Menschen
zeigten. Die Geschichte jenes römischen Mönches,
der dieses Vorgefühl auf dem Krankenlager hatte, und
dessen Vorhersagung bey allen genau eintraf, ist be-
kannt. Merkwürdig ist auch in dieser Hinsicht die Pest
zu Basel (am Ende des 16ten Jahrhunderts) wo die
Ansteckung mit einer Art von Bewußtseyn geschahe,
und wo fast jeder Sterbende, selbst in den bewußtlo-
sen Phantasien der letzten Augenblicke, den Nahmen

kannt iſt, von der gefaͤhrlichen Krankheit ſeiner
weit entfernten geliebten Schweſter nicht unter-
richtet. In derſelben Nacht aber wo ſie ſtarb, ſieht
ihn ſein in demſelben Zimmer ſchlafender Mitſchuͤler
mit verſchloſſenen Augen aufſtehen, und mit vielen
Klagen etwas niederſchreiben. Jener erinnert ſich am
andern Morgen an nichts mehr, ſelbſt nicht daß ihm
etwas Aehnliches getraͤumt habe. Das Papier das er
in der vergangnen Nacht beſchrieben, wird hervorge-
holt, um ihn mit den Zuͤgen ſeiner eignen Hand zu
uͤberzeugen, und man findet ein Gedicht auf den Tod
einer geliebten Schweſter. —

Es iſt bekannt, wie ſelbſt einer unſern Kantiſchen
Philoſophen, einen aͤhnlichen Fall, wo ein junger
Menſch den Tod ſeiner Geliebten durch eine Viſion vor-
aus wußte, ſelber bezeugt. Doch ungleich merkwuͤr-
diger als dieſe Faͤlle, deren es eine unzaͤhlige Menge
giebt, ſind die zum Theil von Aerzten bezeugten, wo,
beſonders Wahnſinnige oder Nervenkranke, zuweilen
aber auch geſunde Perſonen, ein ſeltſames Vorgefuͤhl
von dem nahen Tod andrer ganz fremder Menſchen
zeigten. Die Geſchichte jenes roͤmiſchen Moͤnches,
der dieſes Vorgefuͤhl auf dem Krankenlager hatte, und
deſſen Vorherſagung bey allen genau eintraf, iſt be-
kannt. Merkwuͤrdig iſt auch in dieſer Hinſicht die Peſt
zu Baſel (am Ende des 16ten Jahrhunderts) wo die
Anſteckung mit einer Art von Bewußtſeyn geſchahe,
und wo faſt jeder Sterbende, ſelbſt in den bewußtlo-
ſen Phantaſien der letzten Augenblicke, den Nahmen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0365" n="351"/>
kannt i&#x017F;t, von der gefa&#x0364;hrlichen Krankheit &#x017F;einer<lb/>
weit entfernten geliebten Schwe&#x017F;ter nicht unter-<lb/>
richtet. In der&#x017F;elben Nacht aber wo &#x017F;ie &#x017F;tarb, &#x017F;ieht<lb/>
ihn &#x017F;ein in dem&#x017F;elben Zimmer &#x017F;chlafender Mit&#x017F;chu&#x0364;ler<lb/>
mit ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen Augen auf&#x017F;tehen, und mit vielen<lb/>
Klagen etwas nieder&#x017F;chreiben. Jener erinnert &#x017F;ich am<lb/>
andern Morgen an nichts mehr, &#x017F;elb&#x017F;t nicht daß ihm<lb/>
etwas Aehnliches getra&#x0364;umt habe. Das Papier das er<lb/>
in der vergangnen Nacht be&#x017F;chrieben, wird hervorge-<lb/>
holt, um ihn mit den Zu&#x0364;gen &#x017F;einer eignen Hand zu<lb/>
u&#x0364;berzeugen, und man findet ein Gedicht auf den Tod<lb/>
einer geliebten Schwe&#x017F;ter. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Es i&#x017F;t bekannt, wie &#x017F;elb&#x017F;t einer un&#x017F;ern Kanti&#x017F;chen<lb/>
Philo&#x017F;ophen, einen a&#x0364;hnlichen Fall, wo ein junger<lb/>
Men&#x017F;ch den Tod &#x017F;einer Geliebten durch eine Vi&#x017F;ion vor-<lb/>
aus wußte, &#x017F;elber bezeugt. Doch ungleich merkwu&#x0364;r-<lb/>
diger als die&#x017F;e Fa&#x0364;lle, deren es eine unza&#x0364;hlige Menge<lb/>
giebt, &#x017F;ind die zum Theil von Aerzten bezeugten, wo,<lb/>
be&#x017F;onders Wahn&#x017F;innige oder Nervenkranke, zuweilen<lb/>
aber auch ge&#x017F;unde Per&#x017F;onen, ein &#x017F;elt&#x017F;ames Vorgefu&#x0364;hl<lb/>
von dem nahen Tod andrer ganz fremder Men&#x017F;chen<lb/>
zeigten. Die Ge&#x017F;chichte jenes ro&#x0364;mi&#x017F;chen Mo&#x0364;nches,<lb/>
der die&#x017F;es Vorgefu&#x0364;hl auf dem Krankenlager hatte, und<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Vorher&#x017F;agung bey allen genau eintraf, i&#x017F;t be-<lb/>
kannt. Merkwu&#x0364;rdig i&#x017F;t auch in die&#x017F;er Hin&#x017F;icht die Pe&#x017F;t<lb/>
zu Ba&#x017F;el (am Ende des 16ten Jahrhunderts) wo die<lb/>
An&#x017F;teckung mit einer Art von Bewußt&#x017F;eyn ge&#x017F;chahe,<lb/>
und wo fa&#x017F;t jeder Sterbende, &#x017F;elb&#x017F;t in den bewußtlo-<lb/>
&#x017F;en Phanta&#x017F;ien der letzten Augenblicke, den Nahmen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[351/0365] kannt iſt, von der gefaͤhrlichen Krankheit ſeiner weit entfernten geliebten Schweſter nicht unter- richtet. In derſelben Nacht aber wo ſie ſtarb, ſieht ihn ſein in demſelben Zimmer ſchlafender Mitſchuͤler mit verſchloſſenen Augen aufſtehen, und mit vielen Klagen etwas niederſchreiben. Jener erinnert ſich am andern Morgen an nichts mehr, ſelbſt nicht daß ihm etwas Aehnliches getraͤumt habe. Das Papier das er in der vergangnen Nacht beſchrieben, wird hervorge- holt, um ihn mit den Zuͤgen ſeiner eignen Hand zu uͤberzeugen, und man findet ein Gedicht auf den Tod einer geliebten Schweſter. — Es iſt bekannt, wie ſelbſt einer unſern Kantiſchen Philoſophen, einen aͤhnlichen Fall, wo ein junger Menſch den Tod ſeiner Geliebten durch eine Viſion vor- aus wußte, ſelber bezeugt. Doch ungleich merkwuͤr- diger als dieſe Faͤlle, deren es eine unzaͤhlige Menge giebt, ſind die zum Theil von Aerzten bezeugten, wo, beſonders Wahnſinnige oder Nervenkranke, zuweilen aber auch geſunde Perſonen, ein ſeltſames Vorgefuͤhl von dem nahen Tod andrer ganz fremder Menſchen zeigten. Die Geſchichte jenes roͤmiſchen Moͤnches, der dieſes Vorgefuͤhl auf dem Krankenlager hatte, und deſſen Vorherſagung bey allen genau eintraf, iſt be- kannt. Merkwuͤrdig iſt auch in dieſer Hinſicht die Peſt zu Baſel (am Ende des 16ten Jahrhunderts) wo die Anſteckung mit einer Art von Bewußtſeyn geſchahe, und wo faſt jeder Sterbende, ſelbſt in den bewußtlo- ſen Phantaſien der letzten Augenblicke, den Nahmen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808/365
Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808/365>, abgerufen am 12.05.2024.