Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

Wie kann ich aber hierbey besser thun, als wenn
ich mich treu an die Arbeit eines meiner Freunde (des
Landschaftsmahlers Friedrich) anschließe, und treu-
lich die Bildungsgeschichte unsrer Natur, wie sie von
ihm in den 4 Jahres- und Lebenszeiten dargestellt ist,
erzähle; sollte es auch geschehen, daß die Worte hinter
seinem Pinsel weit zurückblieben.

Wir wissen nicht, welcher tiefe Reiz über der er-
sten Kindheit ruhet. Sey es daß ein Nachklang jenes
unbekannten Traumes, aus welchem wir kamen,
oder daß jener Abglanz des Göttlichen sie verherrlicht,
welcher am reinsten über dem Stillen und Kindlichen
schwebet. Wir finden uns da, wo wir aus jenem
Traum erwachen, wie in der Morgenröthe eines be-
ständigen Frühlingstages, dessen heitres Grün keine
Spur eines schon vorübergegangnen Herbstes unter-
bricht. Am klaren Quell des Lebens, in welchem sich
der ewige Himmel noch in der ersten Reinheit abspie-
gelt, unter Blumen erwachen wir. Noch strebt der
Sinn nicht über den Saum der nahen Hügel hinaus,
wir suchen und erkennen in der Natur nur die Blüthen,
und das Leben erscheint uns noch unter dem Bild der
spielenden, unschuldigen Lämmer. Da berührt ein
frühe aufblühendes Gemüth der erste Strahl jenes Seh-
nens *) das uns von der Wiege bis zum Grabe führt,

*) Einem von den Kindern fallen die ersten Strahlen der
aufgehenden Sonne an die Stirne. Es will ihr mit aus-

Wie kann ich aber hierbey beſſer thun, als wenn
ich mich treu an die Arbeit eines meiner Freunde (des
Landſchaftsmahlers Friedrich) anſchließe, und treu-
lich die Bildungsgeſchichte unſrer Natur, wie ſie von
ihm in den 4 Jahres- und Lebenszeiten dargeſtellt iſt,
erzaͤhle; ſollte es auch geſchehen, daß die Worte hinter
ſeinem Pinſel weit zuruͤckblieben.

Wir wiſſen nicht, welcher tiefe Reiz uͤber der er-
ſten Kindheit ruhet. Sey es daß ein Nachklang jenes
unbekannten Traumes, aus welchem wir kamen,
oder daß jener Abglanz des Goͤttlichen ſie verherrlicht,
welcher am reinſten uͤber dem Stillen und Kindlichen
ſchwebet. Wir finden uns da, wo wir aus jenem
Traum erwachen, wie in der Morgenroͤthe eines be-
ſtaͤndigen Fruͤhlingstages, deſſen heitres Gruͤn keine
Spur eines ſchon voruͤbergegangnen Herbſtes unter-
bricht. Am klaren Quell des Lebens, in welchem ſich
der ewige Himmel noch in der erſten Reinheit abſpie-
gelt, unter Blumen erwachen wir. Noch ſtrebt der
Sinn nicht uͤber den Saum der nahen Huͤgel hinaus,
wir ſuchen und erkennen in der Natur nur die Bluͤthen,
und das Leben erſcheint uns noch unter dem Bild der
ſpielenden, unſchuldigen Laͤmmer. Da beruͤhrt ein
fruͤhe aufbluͤhendes Gemuͤth der erſte Strahl jenes Seh-
nens *) das uns von der Wiege bis zum Grabe fuͤhrt,

*) Einem von den Kindern fallen die erſten Strahlen der
aufgehenden Sonne an die Stirne. Es will ihr mit aus-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0317" n="303"/>
        <p>Wie kann ich aber hierbey be&#x017F;&#x017F;er thun, als wenn<lb/>
ich mich treu an die Arbeit eines meiner Freunde (des<lb/>
Land&#x017F;chaftsmahlers <hi rendition="#g">Friedrich</hi>) an&#x017F;chließe, und treu-<lb/>
lich die Bildungsge&#x017F;chichte un&#x017F;rer Natur, wie &#x017F;ie von<lb/>
ihm in den 4 Jahres- und Lebenszeiten darge&#x017F;tellt i&#x017F;t,<lb/>
erza&#x0364;hle; &#x017F;ollte es auch ge&#x017F;chehen, daß die Worte hinter<lb/>
&#x017F;einem Pin&#x017F;el weit zuru&#x0364;ckblieben.</p><lb/>
        <p>Wir wi&#x017F;&#x017F;en nicht, welcher tiefe Reiz u&#x0364;ber der er-<lb/>
&#x017F;ten Kindheit ruhet. Sey es daß ein Nachklang jenes<lb/>
unbekannten Traumes, aus welchem wir kamen,<lb/>
oder daß jener Abglanz des Go&#x0364;ttlichen &#x017F;ie verherrlicht,<lb/>
welcher am rein&#x017F;ten u&#x0364;ber dem Stillen und Kindlichen<lb/>
&#x017F;chwebet. Wir finden uns da, wo wir aus jenem<lb/>
Traum erwachen, wie in der Morgenro&#x0364;the eines be-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;ndigen Fru&#x0364;hlingstages, de&#x017F;&#x017F;en heitres Gru&#x0364;n keine<lb/>
Spur eines &#x017F;chon voru&#x0364;bergegangnen Herb&#x017F;tes unter-<lb/>
bricht. Am klaren Quell des Lebens, in welchem &#x017F;ich<lb/>
der ewige Himmel noch in der er&#x017F;ten Reinheit ab&#x017F;pie-<lb/>
gelt, unter Blumen erwachen wir. Noch &#x017F;trebt der<lb/>
Sinn nicht u&#x0364;ber den Saum der nahen Hu&#x0364;gel hinaus,<lb/>
wir &#x017F;uchen und erkennen in der Natur nur die Blu&#x0364;then,<lb/>
und das Leben er&#x017F;cheint uns noch unter dem Bild der<lb/>
&#x017F;pielenden, un&#x017F;chuldigen La&#x0364;mmer. Da beru&#x0364;hrt ein<lb/>
fru&#x0364;he aufblu&#x0364;hendes Gemu&#x0364;th der er&#x017F;te Strahl jenes Seh-<lb/>
nens <note xml:id="seg2pn_6_1" next="#seg2pn_6_2" place="foot" n="*)">Einem von den Kindern fallen die er&#x017F;ten Strahlen der<lb/>
aufgehenden Sonne an die Stirne. Es will ihr mit aus-</note> das uns von der Wiege bis zum Grabe fu&#x0364;hrt,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[303/0317] Wie kann ich aber hierbey beſſer thun, als wenn ich mich treu an die Arbeit eines meiner Freunde (des Landſchaftsmahlers Friedrich) anſchließe, und treu- lich die Bildungsgeſchichte unſrer Natur, wie ſie von ihm in den 4 Jahres- und Lebenszeiten dargeſtellt iſt, erzaͤhle; ſollte es auch geſchehen, daß die Worte hinter ſeinem Pinſel weit zuruͤckblieben. Wir wiſſen nicht, welcher tiefe Reiz uͤber der er- ſten Kindheit ruhet. Sey es daß ein Nachklang jenes unbekannten Traumes, aus welchem wir kamen, oder daß jener Abglanz des Goͤttlichen ſie verherrlicht, welcher am reinſten uͤber dem Stillen und Kindlichen ſchwebet. Wir finden uns da, wo wir aus jenem Traum erwachen, wie in der Morgenroͤthe eines be- ſtaͤndigen Fruͤhlingstages, deſſen heitres Gruͤn keine Spur eines ſchon voruͤbergegangnen Herbſtes unter- bricht. Am klaren Quell des Lebens, in welchem ſich der ewige Himmel noch in der erſten Reinheit abſpie- gelt, unter Blumen erwachen wir. Noch ſtrebt der Sinn nicht uͤber den Saum der nahen Huͤgel hinaus, wir ſuchen und erkennen in der Natur nur die Bluͤthen, und das Leben erſcheint uns noch unter dem Bild der ſpielenden, unſchuldigen Laͤmmer. Da beruͤhrt ein fruͤhe aufbluͤhendes Gemuͤth der erſte Strahl jenes Seh- nens *) das uns von der Wiege bis zum Grabe fuͤhrt, *) Einem von den Kindern fallen die erſten Strahlen der aufgehenden Sonne an die Stirne. Es will ihr mit aus-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808/317
Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808/317>, abgerufen am 24.11.2024.