Und vielleicht nicht von einer, sondern von vie- len Seiten nähert sich das Pflanzenreich seinen höchsten Formen, und entfernet sich hernach auf der andern Seite wieder eben so weit von denselben. Die niedri- gen Grasarten, welche einen großen Theil unsrer nor- dischen Ebenen und Hügel bedecken, sind mit andern Grasarten der südlichen Länder verwandt, welche von baumartiger Gestalt erscheinen, und öfters von einer Höhe sind, welche die unsrer Eichen übertrift. Diese scheinen, durch einige Mittelglieder, Uebergänge wiederum in die vollendetsten Pflanzenformen zu bil- den, so daß vielleicht auch hier von den unvollkommen- sten Grasarten, die kaum eine Stufe höher zu stehen scheinen als die niedrigen Moose, eine stettige Reihe, bis hinauf zu den Palmengewächsen aufgezeigt werden könnte.
So müssen wir schon im Pflanzenreich, bey einer genauen Betrachtung seiner Formen, die Meynung von der in nur einer ununterbrochner Richtung fortgehen- den Ausbildung von unvollendeteren Formen zu immer vollkommneren aufgeben, und wir werden dasselbe her- nach auch im Thierreich müssen.
Wenn aber Uebergänge von der Pflanze zum Thier sollen aufgezeigt werden, so lassen sich diese fast von jeder oder doch vielen Pflanzen von vollkommnerer Art finden. Nicht blos die empfindlichen Mimosen, deren Blätter bey jeder äußeren Berührung, wie ein em-
Und vielleicht nicht von einer, ſondern von vie- len Seiten naͤhert ſich das Pflanzenreich ſeinen hoͤchſten Formen, und entfernet ſich hernach auf der andern Seite wieder eben ſo weit von denſelben. Die niedri- gen Grasarten, welche einen großen Theil unſrer nor- diſchen Ebenen und Huͤgel bedecken, ſind mit andern Grasarten der ſuͤdlichen Laͤnder verwandt, welche von baumartiger Geſtalt erſcheinen, und oͤfters von einer Hoͤhe ſind, welche die unſrer Eichen uͤbertrift. Dieſe ſcheinen, durch einige Mittelglieder, Uebergaͤnge wiederum in die vollendetſten Pflanzenformen zu bil- den, ſo daß vielleicht auch hier von den unvollkommen- ſten Grasarten, die kaum eine Stufe hoͤher zu ſtehen ſcheinen als die niedrigen Mooſe, eine ſtettige Reihe, bis hinauf zu den Palmengewaͤchſen aufgezeigt werden koͤnnte.
So muͤſſen wir ſchon im Pflanzenreich, bey einer genauen Betrachtung ſeiner Formen, die Meynung von der in nur einer ununterbrochner Richtung fortgehen- den Ausbildung von unvollendeteren Formen zu immer vollkommneren aufgeben, und wir werden daſſelbe her- nach auch im Thierreich muͤſſen.
Wenn aber Uebergaͤnge von der Pflanze zum Thier ſollen aufgezeigt werden, ſo laſſen ſich dieſe faſt von jeder oder doch vielen Pflanzen von vollkommnerer Art finden. Nicht blos die empfindlichen Mimoſen, deren Blaͤtter bey jeder aͤußeren Beruͤhrung, wie ein em-
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Und vielleicht nicht von einer, ſondern von vie-
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Formen, und entfernet ſich hernach auf der andern
Seite wieder eben ſo weit von denſelben. Die niedri-
gen Grasarten, welche einen großen Theil unſrer nor-
diſchen Ebenen und Huͤgel bedecken, ſind mit andern
Grasarten der ſuͤdlichen Laͤnder verwandt, welche
von baumartiger Geſtalt erſcheinen, und oͤfters von
einer Hoͤhe ſind, welche die unſrer Eichen uͤbertrift.
Dieſe ſcheinen, durch einige Mittelglieder, Uebergaͤnge
wiederum in die vollendetſten Pflanzenformen zu bil-
den, ſo daß vielleicht auch hier von den unvollkommen-
ſten Grasarten, die kaum eine Stufe hoͤher zu ſtehen
ſcheinen als die niedrigen Mooſe, eine ſtettige Reihe,
bis hinauf zu den Palmengewaͤchſen aufgezeigt werden
koͤnnte.
So muͤſſen wir ſchon im Pflanzenreich, bey einer
genauen Betrachtung ſeiner Formen, die Meynung von
der in nur einer ununterbrochner Richtung fortgehen-
den Ausbildung von unvollendeteren Formen zu immer
vollkommneren aufgeben, und wir werden daſſelbe her-
nach auch im Thierreich muͤſſen.
Wenn aber Uebergaͤnge von der Pflanze zum Thier
ſollen aufgezeigt werden, ſo laſſen ſich dieſe faſt von
jeder oder doch vielen Pflanzen von vollkommnerer Art
finden. Nicht blos die empfindlichen Mimoſen, deren
Blaͤtter bey jeder aͤußeren Beruͤhrung, wie ein em-
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Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808/259>, abgerufen am 25.11.2024.
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