bild des eignen Willens. Es gefällt dem Menschen, die Erde, welche vorhin anzubauen heiliges Gesetz war, zu zerstören, der Fruchtbarkeit seines Ge- schlechts, vorhin als ein Symbol des Göttlichen ver- ehrt, durch blutige Kriege Einhalt zu thun, und wie in der alten Zeit das Einzelne vollkommen dem Bun- de mit dem Ganzen sich ergeben, so kämpft diese nach- folgende, daß die Natur, daß das ganze Geschlecht dem Einzelnen untergeordnet sey.
In jenem dumpfen Kampfe, noch ohne Bewußt- seyn, ist die hohe Kultur, welche der ursprüngliche Zustand des Menschen war, bey ganzen Völkern un- tergegangen, und in entarteter Rohheit, harren diese noch jezt des neuen Morgens. Andre sind in gewalti- gem Unglück früher gereift, und wir sehen den harten Kampf und die wüste Zerstörung jener Zeit, nir- gends so mächtig wüthen, als im westlichsten Asien und im südlichen Europa. Da wird plötzlich, aus den Trümmern der alten Zeit, wie die Stimme eines Träumenden, die Sehnsucht des Menschen nach dem höheren und göttlicheren Ideal vernommen, und die zerstörte Welt von dem ersten matten Schimmer des neuen Morgens erhellt. Einzelne Weise, welche wie Wächter auf der Zinne, die Stunden der Nacht bewah- ren, verkünden die Nähe des Morgenroths. Hierauf werden von einem bangen Sehnen nach etwas Höhe- rem, ganze damalige Völker ergriffen, und unter der eisernen Last des Römerreichs, unter dem blutigen
bild des eignen Willens. Es gefaͤllt dem Menſchen, die Erde, welche vorhin anzubauen heiliges Geſetz war, zu zerſtoͤren, der Fruchtbarkeit ſeines Ge- ſchlechts, vorhin als ein Symbol des Goͤttlichen ver- ehrt, durch blutige Kriege Einhalt zu thun, und wie in der alten Zeit das Einzelne vollkommen dem Bun- de mit dem Ganzen ſich ergeben, ſo kaͤmpft dieſe nach- folgende, daß die Natur, daß das ganze Geſchlecht dem Einzelnen untergeordnet ſey.
In jenem dumpfen Kampfe, noch ohne Bewußt- ſeyn, iſt die hohe Kultur, welche der urſpruͤngliche Zuſtand des Menſchen war, bey ganzen Voͤlkern un- tergegangen, und in entarteter Rohheit, harren dieſe noch jezt des neuen Morgens. Andre ſind in gewalti- gem Ungluͤck fruͤher gereift, und wir ſehen den harten Kampf und die wuͤſte Zerſtoͤrung jener Zeit, nir- gends ſo maͤchtig wuͤthen, als im weſtlichſten Aſien und im ſuͤdlichen Europa. Da wird ploͤtzlich, aus den Truͤmmern der alten Zeit, wie die Stimme eines Traͤumenden, die Sehnſucht des Menſchen nach dem hoͤheren und goͤttlicheren Ideal vernommen, und die zerſtoͤrte Welt von dem erſten matten Schimmer des neuen Morgens erhellt. Einzelne Weiſe, welche wie Waͤchter auf der Zinne, die Stunden der Nacht bewah- ren, verkuͤnden die Naͤhe des Morgenroths. Hierauf werden von einem bangen Sehnen nach etwas Hoͤhe- rem, ganze damalige Voͤlker ergriffen, und unter der eiſernen Laſt des Roͤmerreichs, unter dem blutigen
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bild des eignen Willens. Es gefaͤllt dem Menſchen,
die Erde, welche vorhin anzubauen heiliges Geſetz
war, zu zerſtoͤren, der Fruchtbarkeit ſeines Ge-
ſchlechts, vorhin als ein Symbol des Goͤttlichen ver-
ehrt, durch blutige Kriege Einhalt zu thun, und wie
in der alten Zeit das Einzelne vollkommen dem Bun-
de mit dem Ganzen ſich ergeben, ſo kaͤmpft dieſe nach-
folgende, daß die Natur, daß das ganze Geſchlecht
dem Einzelnen untergeordnet ſey.
In jenem dumpfen Kampfe, noch ohne Bewußt-
ſeyn, iſt die hohe Kultur, welche der urſpruͤngliche
Zuſtand des Menſchen war, bey ganzen Voͤlkern un-
tergegangen, und in entarteter Rohheit, harren dieſe
noch jezt des neuen Morgens. Andre ſind in gewalti-
gem Ungluͤck fruͤher gereift, und wir ſehen den harten
Kampf und die wuͤſte Zerſtoͤrung jener Zeit, nir-
gends ſo maͤchtig wuͤthen, als im weſtlichſten Aſien
und im ſuͤdlichen Europa. Da wird ploͤtzlich, aus
den Truͤmmern der alten Zeit, wie die Stimme eines
Traͤumenden, die Sehnſucht des Menſchen nach dem
hoͤheren und goͤttlicheren Ideal vernommen, und die
zerſtoͤrte Welt von dem erſten matten Schimmer des
neuen Morgens erhellt. Einzelne Weiſe, welche wie
Waͤchter auf der Zinne, die Stunden der Nacht bewah-
ren, verkuͤnden die Naͤhe des Morgenroths. Hierauf
werden von einem bangen Sehnen nach etwas Hoͤhe-
rem, ganze damalige Voͤlker ergriffen, und unter der
eiſernen Laſt des Roͤmerreichs, unter dem blutigen
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Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808/24>, abgerufen am 22.11.2024.
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