Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

Wo bey Völkern, an denen sich der Charakter der
neuen Zeit schon zu entfalten angefangen, noch Etwas
aus der alten Zeit übrig geblieben, erschien dieses mehr
krankhaft. Von der Art krankhafter Erscheinungen
waren vorzüglich die Orakel, welche im jüngeren Hey-
denthum nach einen Nachhall des eigentlichen und al-
ten erkünstelten. Krankhafte Erscheinungen in der Ge-
schichte des menschlichen Geistes sind sie gewesen, nicht
aber durchaus Betrügerey, wie Einige Erklärer des Al-
terthums gewollt haben. Denn wenn auch in den
letzten Zeiten des Verfalls dieser heydnischen Institute,
der Eigennutz und die Hinterlist der Priester oft genug
das seit Jahrhunderten begründete Ansehen der Orakel
zu Vetrügereyen misbrauchte, ist doch eben dieses
langdauernde Ansehen bey ganzen Generationen, sind
viele Thatsachen, die wir noch aus der Geschichte der
Orakel wissen, eben so wenig aus Täuschung zu er-
klären, als alle Erscheinungen des Somnambulismus.
Dieser groben Ansicht, welche den Knoten, den sie
nicht zu lösen vermag, geradezu zerhaut, ist die der
ersten Christen, welche jene dunklen Erscheinungen ge-
radezu aus der Einwirkung eines schlimmen (krankhaf-
ten) Naturgeistes herleiteten, noch weit vorzuziehen.

Der Blick in das Zukünftige, die Gabe der Vor-
ahndungen, ist der menschlichen Natur nicht fremd.
Doch giebt es eben sowohl eine von kranker und fal-
scher als eine von gesunder und wahrhaft ächter Art,

Wo bey Voͤlkern, an denen ſich der Charakter der
neuen Zeit ſchon zu entfalten angefangen, noch Etwas
aus der alten Zeit uͤbrig geblieben, erſchien dieſes mehr
krankhaft. Von der Art krankhafter Erſcheinungen
waren vorzuͤglich die Orakel, welche im juͤngeren Hey-
denthum nach einen Nachhall des eigentlichen und al-
ten erkuͤnſtelten. Krankhafte Erſcheinungen in der Ge-
ſchichte des menſchlichen Geiſtes ſind ſie geweſen, nicht
aber durchaus Betruͤgerey, wie Einige Erklaͤrer des Al-
terthums gewollt haben. Denn wenn auch in den
letzten Zeiten des Verfalls dieſer heydniſchen Inſtitute,
der Eigennutz und die Hinterliſt der Prieſter oft genug
das ſeit Jahrhunderten begruͤndete Anſehen der Orakel
zu Vetruͤgereyen misbrauchte, iſt doch eben dieſes
langdauernde Anſehen bey ganzen Generationen, ſind
viele Thatſachen, die wir noch aus der Geſchichte der
Orakel wiſſen, eben ſo wenig aus Taͤuſchung zu er-
klaͤren, als alle Erſcheinungen des Somnambulismus.
Dieſer groben Anſicht, welche den Knoten, den ſie
nicht zu loͤſen vermag, geradezu zerhaut, iſt die der
erſten Chriſten, welche jene dunklen Erſcheinungen ge-
radezu aus der Einwirkung eines ſchlimmen (krankhaf-
ten) Naturgeiſtes herleiteten, noch weit vorzuziehen.

Der Blick in das Zukuͤnftige, die Gabe der Vor-
ahndungen, iſt der menſchlichen Natur nicht fremd.
Doch giebt es eben ſowohl eine von kranker und fal-
ſcher als eine von geſunder und wahrhaft aͤchter Art,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0104" n="90"/>
        <p>Wo bey Vo&#x0364;lkern, an denen &#x017F;ich der Charakter der<lb/>
neuen Zeit &#x017F;chon zu entfalten angefangen, noch Etwas<lb/>
aus der alten Zeit u&#x0364;brig geblieben, er&#x017F;chien die&#x017F;es mehr<lb/>
krankhaft. Von der Art krankhafter Er&#x017F;cheinungen<lb/>
waren vorzu&#x0364;glich die Orakel, welche im ju&#x0364;ngeren Hey-<lb/>
denthum nach einen Nachhall des eigentlichen und al-<lb/>
ten erku&#x0364;n&#x017F;telten. Krankhafte Er&#x017F;cheinungen in der Ge-<lb/>
&#x017F;chichte des men&#x017F;chlichen Gei&#x017F;tes &#x017F;ind &#x017F;ie gewe&#x017F;en, nicht<lb/>
aber durchaus Betru&#x0364;gerey, wie Einige Erkla&#x0364;rer des Al-<lb/>
terthums gewollt haben. Denn wenn auch in den<lb/>
letzten Zeiten des Verfalls die&#x017F;er heydni&#x017F;chen In&#x017F;titute,<lb/>
der Eigennutz und die Hinterli&#x017F;t der Prie&#x017F;ter oft genug<lb/>
das &#x017F;eit Jahrhunderten begru&#x0364;ndete An&#x017F;ehen der Orakel<lb/>
zu Vetru&#x0364;gereyen misbrauchte, i&#x017F;t doch eben die&#x017F;es<lb/>
langdauernde An&#x017F;ehen bey ganzen Generationen, &#x017F;ind<lb/>
viele That&#x017F;achen, die wir noch aus der Ge&#x017F;chichte der<lb/>
Orakel wi&#x017F;&#x017F;en, eben &#x017F;o wenig aus Ta&#x0364;u&#x017F;chung zu er-<lb/>
kla&#x0364;ren, als alle Er&#x017F;cheinungen des Somnambulismus.<lb/>
Die&#x017F;er groben An&#x017F;icht, welche den Knoten, den &#x017F;ie<lb/>
nicht zu lo&#x0364;&#x017F;en vermag, geradezu zerhaut, i&#x017F;t die der<lb/>
er&#x017F;ten Chri&#x017F;ten, welche jene dunklen Er&#x017F;cheinungen ge-<lb/>
radezu aus der Einwirkung eines &#x017F;chlimmen (krankhaf-<lb/>
ten) Naturgei&#x017F;tes herleiteten, noch weit vorzuziehen.</p><lb/>
        <p>Der Blick in das Zuku&#x0364;nftige, die Gabe der Vor-<lb/>
ahndungen, i&#x017F;t der men&#x017F;chlichen Natur nicht fremd.<lb/>
Doch giebt es eben &#x017F;owohl eine von kranker und fal-<lb/>
&#x017F;cher als eine von ge&#x017F;under und wahrhaft a&#x0364;chter Art,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[90/0104] Wo bey Voͤlkern, an denen ſich der Charakter der neuen Zeit ſchon zu entfalten angefangen, noch Etwas aus der alten Zeit uͤbrig geblieben, erſchien dieſes mehr krankhaft. Von der Art krankhafter Erſcheinungen waren vorzuͤglich die Orakel, welche im juͤngeren Hey- denthum nach einen Nachhall des eigentlichen und al- ten erkuͤnſtelten. Krankhafte Erſcheinungen in der Ge- ſchichte des menſchlichen Geiſtes ſind ſie geweſen, nicht aber durchaus Betruͤgerey, wie Einige Erklaͤrer des Al- terthums gewollt haben. Denn wenn auch in den letzten Zeiten des Verfalls dieſer heydniſchen Inſtitute, der Eigennutz und die Hinterliſt der Prieſter oft genug das ſeit Jahrhunderten begruͤndete Anſehen der Orakel zu Vetruͤgereyen misbrauchte, iſt doch eben dieſes langdauernde Anſehen bey ganzen Generationen, ſind viele Thatſachen, die wir noch aus der Geſchichte der Orakel wiſſen, eben ſo wenig aus Taͤuſchung zu er- klaͤren, als alle Erſcheinungen des Somnambulismus. Dieſer groben Anſicht, welche den Knoten, den ſie nicht zu loͤſen vermag, geradezu zerhaut, iſt die der erſten Chriſten, welche jene dunklen Erſcheinungen ge- radezu aus der Einwirkung eines ſchlimmen (krankhaf- ten) Naturgeiſtes herleiteten, noch weit vorzuziehen. Der Blick in das Zukuͤnftige, die Gabe der Vor- ahndungen, iſt der menſchlichen Natur nicht fremd. Doch giebt es eben ſowohl eine von kranker und fal- ſcher als eine von geſunder und wahrhaft aͤchter Art,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808/104
Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808/104>, abgerufen am 16.07.2024.