So wenn z. B. von geraden Linien in einer Ebene die Rede ist, mögen wir gewisse Paare (oder auch Systeme, Scharen) von solchen Geraden als "Parallele" mit einem positiven, andere als "Nicht-parallele" mittelst nega- tiven Namens darstellen. Nichts hindert aber auch, die erstern als "Nicht- schneidende (Gerade)" negativ, die letztern als "(einander) Schneidende (Ge- rade)" positiv zu benennen.
Positiv oder negativ zu sein, ist daher blos ein äusserliches, sozusagen grammatikalisches Merkmal des Namens, welchem in seiner Bedeutung kein bestimmtes Merkmal entspricht, ein logischer Gehalt überhaupt nicht zu- kommt, unter Umständen aber wol ein psychologischer.
Nur die Beziehung, der Gegensatz zwischen dem durch eine Be- jahung und dem durch deren Verneinung gebildeten Namen fällt wirk- lich dem Bereich der Logik anheim, und mit diesem Gegensatz werden wir uns auch noch eingehend zu beschäftigen haben. (Genaueres hierüber und über die auf diesen Punkt bezüglichen Kontroversen siehe in der siebenten und achten Vorlesung.)
Einen Stein kann man als "nicht-sehend", dagegen nicht wol als "blind" bezeichnen. Demgemäss noch gewisse unter den für negativ angesehenen Namen als "privative" hinzustellen -- wie "blind", "taub", "lahm" etc. -- hat nur dann Sinn und ist nur motivirbar, wenn uns eine bestimmte Gattung vorschwebt, zu der ein so prädizirtes Individuum gehört. Entbehrt das In- dividuum nur eines Merkmals, welches seinesgleichen (den andern Indivi- duen ebendieser Gattung) in der Regel (von rechtswegen, im "normalen" Zustande) zukommt, so legen wir jenem das "privative" Prädikat oder At- tribut bei. Wegen der einerseits willkürlichen, andrerseits so komplizirten Voraussetzungen (denn was hat wol als "normal" zu gelten?), auf welchen solche Distinktion beruht, ist dieselbe aber für die elementare Logik von ganz untergeordnetem Interesse.
x2) Dagegen lässt eine wirkliche Einteilung der Namen sich gründen auf ihre Unterscheidung als absolute (nicht-relative) und rela- tive. Ein "relativer" Name ist ein solcher, welcher einem Dinge auf Grund des Umstands beigelegt wird, dass es in einer bestimmten Art von Beziehung (Relation) zu einem oder mehreren andern Dingen steht -- ein Name also, bei dessen Deutung das Vorhandensein auch dieser letzteren Dinge eine Voraussetzung oder Unterstellung bildet.
Z. B. "Ursache, Wirkung, Grund, Folge, Entfernung, Vater, Sohn, ähn- lich, gleich, unähnlich, verschieden" sind lauter relative Namen.
Nichts kann als eine "Ursache" bezeichnet werden, es sei denn als Ursache von etwas (anderem), welches seine "Wirkung" zu nennen sein wird. Niemand kann Vater heissen, er sei denn Vater von Kindern. "Ent- fernung" hat keinen Sinn für sich, sondern nur als Entfernung zweier Punkte, Körper oder Dinge im Raume von einander.
Wenn in der Parodie des "Tannhäuser", welche die Breslauer Studenten-
Einleitung.
So wenn z. B. von geraden Linien in einer Ebene die Rede ist, mögen wir gewisse Paare (oder auch Systeme, Scharen) von solchen Geraden als „Parallele“ mit einem positiven, andere als „Nicht-parallele“ mittelst nega- tiven Namens darstellen. Nichts hindert aber auch, die erstern als „Nicht- schneidende (Gerade)“ negativ, die letztern als „(einander) Schneidende (Ge- rade)“ positiv zu benennen.
Positiv oder negativ zu sein, ist daher blos ein äusserliches, sozusagen grammatikalisches Merkmal des Namens, welchem in seiner Bedeutung kein bestimmtes Merkmal entspricht, ein logischer Gehalt überhaupt nicht zu- kommt, unter Umständen aber wol ein psychologischer.
Nur die Beziehung, der Gegensatz zwischen dem durch eine Be- jahung und dem durch deren Verneinung gebildeten Namen fällt wirk- lich dem Bereich der Logik anheim, und mit diesem Gegensatz werden wir uns auch noch eingehend zu beschäftigen haben. (Genaueres hierüber und über die auf diesen Punkt bezüglichen Kontroversen siehe in der siebenten und achten Vorlesung.)
Einen Stein kann man als „nicht-sehend“, dagegen nicht wol als „blind“ bezeichnen. Demgemäss noch gewisse unter den für negativ angesehenen Namen als „privative“ hinzustellen — wie „blind“, „taub“, „lahm“ etc. — hat nur dann Sinn und ist nur motivirbar, wenn uns eine bestimmte Gattung vorschwebt, zu der ein so prädizirtes Individuum gehört. Entbehrt das In- dividuum nur eines Merkmals, welches seinesgleichen (den andern Indivi- duen ebendieser Gattung) in der Regel (von rechtswegen, im „normalen“ Zustande) zukommt, so legen wir jenem das „privative“ Prädikat oder At- tribut bei. Wegen der einerseits willkürlichen, andrerseits so komplizirten Voraussetzungen (denn was hat wol als „normal“ zu gelten?), auf welchen solche Distinktion beruht, ist dieselbe aber für die elementare Logik von ganz untergeordnetem Interesse.
ξ2) Dagegen lässt eine wirkliche Einteilung der Namen sich gründen auf ihre Unterscheidung als absolute (nicht-relative) und rela- tive. Ein „relativer“ Name ist ein solcher, welcher einem Dinge auf Grund des Umstands beigelegt wird, dass es in einer bestimmten Art von Beziehung (Relation) zu einem oder mehreren andern Dingen steht — ein Name also, bei dessen Deutung das Vorhandensein auch dieser letzteren Dinge eine Voraussetzung oder Unterstellung bildet.
Z. B. „Ursache, Wirkung, Grund, Folge, Entfernung, Vater, Sohn, ähn- lich, gleich, unähnlich, verschieden“ sind lauter relative Namen.
Nichts kann als eine „Ursache“ bezeichnet werden, es sei denn als Ursache von etwas (anderem), welches seine „Wirkung“ zu nennen sein wird. Niemand kann Vater heissen, er sei denn Vater von Kindern. „Ent- fernung“ hat keinen Sinn für sich, sondern nur als Entfernung zweier Punkte, Körper oder Dinge im Raume von einander.
Wenn in der Parodie des „Tannhäuser“, welche die Breslauer Studenten-
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Einleitung.
So wenn z. B. von geraden Linien in einer Ebene die Rede ist, mögen
wir gewisse Paare (oder auch Systeme, Scharen) von solchen Geraden als
„Parallele“ mit einem positiven, andere als „Nicht-parallele“ mittelst nega-
tiven Namens darstellen. Nichts hindert aber auch, die erstern als „Nicht-
schneidende (Gerade)“ negativ, die letztern als „(einander) Schneidende (Ge-
rade)“ positiv zu benennen.
Positiv oder negativ zu sein, ist daher blos ein äusserliches, sozusagen
grammatikalisches Merkmal des Namens, welchem in seiner Bedeutung kein
bestimmtes Merkmal entspricht, ein logischer Gehalt überhaupt nicht zu-
kommt, unter Umständen aber wol ein psychologischer.
Nur die Beziehung, der Gegensatz zwischen dem durch eine Be-
jahung und dem durch deren Verneinung gebildeten Namen fällt wirk-
lich dem Bereich der Logik anheim, und mit diesem Gegensatz werden
wir uns auch noch eingehend zu beschäftigen haben. (Genaueres hierüber
und über die auf diesen Punkt bezüglichen Kontroversen siehe in der
siebenten und achten Vorlesung.)
Einen Stein kann man als „nicht-sehend“, dagegen nicht wol als „blind“
bezeichnen. Demgemäss noch gewisse unter den für negativ angesehenen
Namen als „privative“ hinzustellen — wie „blind“, „taub“, „lahm“ etc. —
hat nur dann Sinn und ist nur motivirbar, wenn uns eine bestimmte Gattung
vorschwebt, zu der ein so prädizirtes Individuum gehört. Entbehrt das In-
dividuum nur eines Merkmals, welches seinesgleichen (den andern Indivi-
duen ebendieser Gattung) in der Regel (von rechtswegen, im „normalen“
Zustande) zukommt, so legen wir jenem das „privative“ Prädikat oder At-
tribut bei. Wegen der einerseits willkürlichen, andrerseits so komplizirten
Voraussetzungen (denn was hat wol als „normal“ zu gelten?), auf welchen
solche Distinktion beruht, ist dieselbe aber für die elementare Logik von
ganz untergeordnetem Interesse.
ξ2) Dagegen lässt eine wirkliche Einteilung der Namen sich
gründen auf ihre Unterscheidung als absolute (nicht-relative) und rela-
tive. Ein „relativer“ Name ist ein solcher, welcher einem Dinge auf
Grund des Umstands beigelegt wird, dass es in einer bestimmten Art
von Beziehung (Relation) zu einem oder mehreren andern Dingen steht
— ein Name also, bei dessen Deutung das Vorhandensein auch dieser
letzteren Dinge eine Voraussetzung oder Unterstellung bildet.
Z. B. „Ursache, Wirkung, Grund, Folge, Entfernung, Vater, Sohn, ähn-
lich, gleich, unähnlich, verschieden“ sind lauter relative Namen.
Nichts kann als eine „Ursache“ bezeichnet werden, es sei denn als
Ursache von etwas (anderem), welches seine „Wirkung“ zu nennen sein
wird. Niemand kann Vater heissen, er sei denn Vater von Kindern. „Ent-
fernung“ hat keinen Sinn für sich, sondern nur als Entfernung zweier
Punkte, Körper oder Dinge im Raume von einander.
Wenn in der Parodie des „Tannhäuser“, welche die Breslauer Studenten-
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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/96>, abgerufen am 29.11.2024.
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