Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite
Einleitung.

Ein Ding heisst ein konkretes, wenn es einerseits vollkommen
isolirt denkbar, andrerseits mit allen seinen Merkmalen (Teilen, Attri-
buten und Beziehungen) gemeint ist oder genommen werden soll. So
vermögen wir uns den Erdball ganz gut für sich allein zu denken,
und wenn wir von ihm reden, so meinen wir denselben mit allem
"was darum und daran ist", ohne irgend etwas ausschliessen zu wollen,
was gültig von ihm ausgesagt werden könnte.

Die Gegenstände der materiellen Welt sowol als auch die in ihr
wahrnehmbaren lebenden Wesen, Pflanzen, Tiere, Personen und Gruppen
von solchen (z. B. der Odenwald, die Familie des N. N., die Güter
dieser Familie, das 24. Regiment der gegenwärtigen deutschen Armee,
etc. -- nicht minder aber auch erdichtete persönliche Wesen, wie
Cerberus, Circe, Polyphem und Bucentaur) können darnach als kon-
krete Objekte des Denkens bezeichnet und mag dementsprechend ihr
Name ein nomen concretum jeweils genannt werden.

a2) Aus der Vorstellung eines konkreten Dinges vermögen wir
nun aber auch gewisse Elemente abzusondern und mehr oder minder
vollkommen in unserm Geiste zu isoliren, eventuell erst, nachdem diese
Vorstellung nach gewissen Richtungen noch weiter ausgebildet, ent-
wickelt oder vollendet worden ist. Solche Teilvorstellungen im weitesten
Sinne des Worts (resp. das ihnen zugrunde liegend gedachte Wirkliche)
nennen wir "Merkmale" desselben (nota, mark -- im Singular).

Gelingt solche Isolirung vollkommen, so heisst das Merkmal ein
Teil (pars, part) des Dinges*) und wird sich auch seinerseits wieder
als ein konkreter Gegenstand in's Auge fassen lassen.

So ist der Dunstkreis der Erde (die etwa bis zu 1 mm Druckhöhe
gerechnete Atmosphäre), so sind die unsre Erde zusammenhängend be-
deckenden Wassermassen, der afrikanische Kontinent, ein Berg etc.
als Teile des Erdballs, so ist der Kopf, die Hand als Teil eines Menschen
zu bezeichnen. Sie sind auch selbst konkrete Gegenstände. Nichts
hindert, sie uns auch ohne die übrigen Teile, mit denen sie verbunden

*) Es ist dabei erforderlich und vorausgesetzt, dass man sich das Ding selbst
erst isolirt denke. Würden wir einen Körper mitsamt seinem Schatten als das
Ding hinstellen, so wäre auch der Schatten als ein "Teil dieses Dinges" zu be-
zeichnen; er ist deshalb aber doch nicht ein "Teil des Körpers", weil letzterer von
vornherein ohne den Schatten zu denken gewesen wäre. Eine solche Exempli-
fikation muss aber hier ausgeschlossen erscheinen, da wir den Schatten nur als
solchen über oder in etwas, als auf einem materiellen Körper haftend, zu denken
vermögen, und ihn darum selbst nicht als Konkretum (für sich, oder auch mit
ganz anderm verknüpft) hinstellen durften.
Einleitung.

Ein Ding heisst ein konkretes, wenn es einerseits vollkommen
isolirt denkbar, andrerseits mit allen seinen Merkmalen (Teilen, Attri-
buten und Beziehungen) gemeint ist oder genommen werden soll. So
vermögen wir uns den Erdball ganz gut für sich allein zu denken,
und wenn wir von ihm reden, so meinen wir denselben mit allem
„was darum und daran ist“, ohne irgend etwas ausschliessen zu wollen,
was gültig von ihm ausgesagt werden könnte.

Die Gegenstände der materiellen Welt sowol als auch die in ihr
wahrnehmbaren lebenden Wesen, Pflanzen, Tiere, Personen und Gruppen
von solchen (z. B. der Odenwald, die Familie des N. N., die Güter
dieser Familie, das 24. Regiment der gegenwärtigen deutschen Armee,
etc. — nicht minder aber auch erdichtete persönliche Wesen, wie
Cerberus, Circe, Polyphem und Bucentaur) können darnach als kon-
krete Objekte des Denkens bezeichnet und mag dementsprechend ihr
Name ein nomen concretum jeweils genannt werden.

α2) Aus der Vorstellung eines konkreten Dinges vermögen wir
nun aber auch gewisse Elemente abzusondern und mehr oder minder
vollkommen in unserm Geiste zu isoliren, eventuell erst, nachdem diese
Vorstellung nach gewissen Richtungen noch weiter ausgebildet, ent-
wickelt oder vollendet worden ist. Solche Teilvorstellungen im weitesten
Sinne des Worts (resp. das ihnen zugrunde liegend gedachte Wirkliche)
nennen wir „Merkmale“ desselben (nota, mark — im Singular).

Gelingt solche Isolirung vollkommen, so heisst das Merkmal ein
Teil (pars, part) des Dinges*) und wird sich auch seinerseits wieder
als ein konkreter Gegenstand in's Auge fassen lassen.

So ist der Dunstkreis der Erde (die etwa bis zu 1 mm Druckhöhe
gerechnete Atmosphäre), so sind die unsre Erde zusammenhängend be-
deckenden Wassermassen, der afrikanische Kontinent, ein Berg etc.
als Teile des Erdballs, so ist der Kopf, die Hand als Teil eines Menschen
zu bezeichnen. Sie sind auch selbst konkrete Gegenstände. Nichts
hindert, sie uns auch ohne die übrigen Teile, mit denen sie verbunden

*) Es ist dabei erforderlich und vorausgesetzt, dass man sich das Ding selbst
erst isolirt denke. Würden wir einen Körper mitsamt seinem Schatten als das
Ding hinstellen, so wäre auch der Schatten als ein „Teil dieses Dinges“ zu be-
zeichnen; er ist deshalb aber doch nicht ein „Teil des Körpers“, weil letzterer von
vornherein ohne den Schatten zu denken gewesen wäre. Eine solche Exempli-
fikation muss aber hier ausgeschlossen erscheinen, da wir den Schatten nur als
solchen über oder in etwas, als auf einem materiellen Körper haftend, zu denken
vermögen, und ihn darum selbst nicht als Konkretum (für sich, oder auch mit
ganz anderm verknüpft) hinstellen durften.
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0077" n="57"/>
          <fw place="top" type="header">Einleitung.</fw><lb/>
          <p>Ein Ding heisst ein konkretes, wenn es einerseits vollkommen<lb/>
isolirt denkbar, andrerseits mit allen seinen Merkmalen (Teilen, Attri-<lb/>
buten und Beziehungen) gemeint ist oder genommen werden soll. So<lb/>
vermögen wir uns den Erdball ganz gut für sich allein zu denken,<lb/>
und wenn wir von ihm reden, so meinen wir denselben mit allem<lb/>
&#x201E;was darum und daran ist&#x201C;, ohne irgend etwas ausschliessen zu wollen,<lb/>
was gültig von ihm ausgesagt werden könnte.</p><lb/>
          <p>Die Gegenstände der materiellen Welt sowol als auch die in ihr<lb/>
wahrnehmbaren lebenden Wesen, Pflanzen, Tiere, Personen und Gruppen<lb/>
von solchen (z. B. der Odenwald, die Familie des N. N., die Güter<lb/>
dieser Familie, das 24. Regiment der gegenwärtigen deutschen Armee,<lb/>
etc. &#x2014; nicht minder aber auch erdichtete persönliche Wesen, wie<lb/>
Cerberus, Circe, Polyphem und Bucentaur) können darnach als kon-<lb/>
krete Objekte des Denkens bezeichnet und mag dementsprechend ihr<lb/>
Name ein nomen <hi rendition="#i">concretum</hi> jeweils genannt werden.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#i">&#x03B1;</hi><hi rendition="#sub">2</hi>) Aus der Vorstellung eines konkreten Dinges vermögen wir<lb/>
nun aber auch gewisse Elemente abzusondern und mehr oder minder<lb/>
vollkommen in unserm Geiste zu isoliren, eventuell erst, nachdem diese<lb/>
Vorstellung nach gewissen Richtungen noch weiter ausgebildet, ent-<lb/>
wickelt oder vollendet worden ist. Solche Teilvorstellungen im weitesten<lb/>
Sinne des Worts (resp. das ihnen zugrunde liegend gedachte Wirkliche)<lb/>
nennen wir &#x201E;<hi rendition="#i">Merkmale</hi>&#x201C; desselben (nota, mark &#x2014; im Singular).</p><lb/>
          <p>Gelingt solche Isolirung vollkommen, so heisst das Merkmal ein<lb/><hi rendition="#i">Teil</hi> (pars, part) des Dinges<note place="foot" n="*)">Es ist dabei erforderlich und vorausgesetzt, dass man sich das Ding selbst<lb/>
erst isolirt denke. Würden wir einen Körper mitsamt seinem Schatten als das<lb/>
Ding hinstellen, so wäre auch der Schatten als ein &#x201E;Teil dieses Dinges&#x201C; zu be-<lb/>
zeichnen; er ist deshalb aber doch nicht ein &#x201E;Teil des Körpers&#x201C;, weil letzterer von<lb/>
vornherein ohne den Schatten zu denken gewesen wäre. Eine solche Exempli-<lb/>
fikation muss aber hier ausgeschlossen erscheinen, da wir den Schatten nur als<lb/>
solchen über oder in etwas, als auf einem materiellen Körper haftend, zu denken<lb/>
vermögen, und ihn darum selbst nicht als Konkretum (für sich, oder auch mit<lb/>
ganz anderm verknüpft) hinstellen durften.</note> und wird sich auch seinerseits wieder<lb/>
als ein konkreter Gegenstand in's Auge fassen lassen.</p><lb/>
          <p>So ist der Dunstkreis der Erde (die etwa bis zu 1 mm Druckhöhe<lb/>
gerechnete Atmosphäre), so sind die unsre Erde zusammenhängend be-<lb/>
deckenden Wassermassen, der afrikanische Kontinent, ein Berg etc.<lb/>
als Teile des Erdballs, so ist der Kopf, die Hand als Teil eines Menschen<lb/>
zu bezeichnen. Sie sind auch selbst konkrete Gegenstände. Nichts<lb/>
hindert, sie uns auch ohne die übrigen Teile, mit denen sie verbunden<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[57/0077] Einleitung. Ein Ding heisst ein konkretes, wenn es einerseits vollkommen isolirt denkbar, andrerseits mit allen seinen Merkmalen (Teilen, Attri- buten und Beziehungen) gemeint ist oder genommen werden soll. So vermögen wir uns den Erdball ganz gut für sich allein zu denken, und wenn wir von ihm reden, so meinen wir denselben mit allem „was darum und daran ist“, ohne irgend etwas ausschliessen zu wollen, was gültig von ihm ausgesagt werden könnte. Die Gegenstände der materiellen Welt sowol als auch die in ihr wahrnehmbaren lebenden Wesen, Pflanzen, Tiere, Personen und Gruppen von solchen (z. B. der Odenwald, die Familie des N. N., die Güter dieser Familie, das 24. Regiment der gegenwärtigen deutschen Armee, etc. — nicht minder aber auch erdichtete persönliche Wesen, wie Cerberus, Circe, Polyphem und Bucentaur) können darnach als kon- krete Objekte des Denkens bezeichnet und mag dementsprechend ihr Name ein nomen concretum jeweils genannt werden. α2) Aus der Vorstellung eines konkreten Dinges vermögen wir nun aber auch gewisse Elemente abzusondern und mehr oder minder vollkommen in unserm Geiste zu isoliren, eventuell erst, nachdem diese Vorstellung nach gewissen Richtungen noch weiter ausgebildet, ent- wickelt oder vollendet worden ist. Solche Teilvorstellungen im weitesten Sinne des Worts (resp. das ihnen zugrunde liegend gedachte Wirkliche) nennen wir „Merkmale“ desselben (nota, mark — im Singular). Gelingt solche Isolirung vollkommen, so heisst das Merkmal ein Teil (pars, part) des Dinges *) und wird sich auch seinerseits wieder als ein konkreter Gegenstand in's Auge fassen lassen. So ist der Dunstkreis der Erde (die etwa bis zu 1 mm Druckhöhe gerechnete Atmosphäre), so sind die unsre Erde zusammenhängend be- deckenden Wassermassen, der afrikanische Kontinent, ein Berg etc. als Teile des Erdballs, so ist der Kopf, die Hand als Teil eines Menschen zu bezeichnen. Sie sind auch selbst konkrete Gegenstände. Nichts hindert, sie uns auch ohne die übrigen Teile, mit denen sie verbunden *) Es ist dabei erforderlich und vorausgesetzt, dass man sich das Ding selbst erst isolirt denke. Würden wir einen Körper mitsamt seinem Schatten als das Ding hinstellen, so wäre auch der Schatten als ein „Teil dieses Dinges“ zu be- zeichnen; er ist deshalb aber doch nicht ein „Teil des Körpers“, weil letzterer von vornherein ohne den Schatten zu denken gewesen wäre. Eine solche Exempli- fikation muss aber hier ausgeschlossen erscheinen, da wir den Schatten nur als solchen über oder in etwas, als auf einem materiellen Körper haftend, zu denken vermögen, und ihn darum selbst nicht als Konkretum (für sich, oder auch mit ganz anderm verknüpft) hinstellen durften.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/77
Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/77>, abgerufen am 05.12.2024.