erschaffenen Wörterschatze für das sinnlich Wahrnehmbare in der materiellen Welt. Sie musste so neben der "eigentlichen" und ursprünglichen, der Be- deutung "katexochenn" oder "par excellence" auch noch eine "uneigentliche", "übertragene" oder "metaphorische" Bedeutung den entlehnten Wörtern (oder ihren Zusammensetzungen) beilegen -- wie dies z. B. geschieht, wenn wir von einer glänzenden That, einem brillanten Geschäft, einer bittern Ent- täuschung u. s. w. reden.
Wer solchen Unterschied missachtet, wird leichtlich den Regeln der Logik gemäss zu absurden oder lächerlichen Folgerungen geführt werden. Treffend illustrirt dies De Morgan, indem er darauf aufmerksam macht, dass der Satz "Nur der Weise ist (wirklich) reich" (Solus sapiens est dives) logisch vollkommen äquivalent ist mit dem Ausspruche "Jeder Reiche ist weise" (Omnis dives est sapiens) -- jedenfalls sehr schmeichelhaft für die Reichen! Natürlich war das erste "reich" im übertragenen Sinne genommen, als: reich an inneren, an Schätzen des Gemütes, gesegnet mit Zufrieden- heit, etc., das zweite aber konnte -- ohne weiteres -- nur im eigentlichen Sinne als "reich an Geld und (äusserm) Gut" -- aus psychologischen Gründen -- verstanden werden.
Von jenem Recht der Metapher macht auch heute noch die Sprache fortgesetzt und in erspriesslicher Weise Gebrauch, vornehmlich in ihren poetischen Produktionen, und da ist es keineswegs der Wissenschaft und Logik zur Last zu legen, wenn dieselbe mit ihrer Analyse, mit logisch- wissenschaftlicher Zergliederung oft gleichsam den prachtvollen Farbenschmelz von den Flügeln des Schmetterlinges abzustreifen und blos ein kahles Ge- rippe übrig zu lassen scheint -- sondern nur ihrer unvollkommnen Anwen- dung. Wir missgönnen der Poesie ihre Freiheit nicht, wir bewundern sie vielmehr ob der Geschicklichkeit und Macht, mit der sie auf die Verede- lung des Geschmackes, des ganzen Fühlens und Denkens breiter Bevölkerungs- schichten hinzuwirken und gelegentlich auch -- vornehmlich auf ethischem Gebiete -- erhebende und wichtige Wahrheiten grossen Volksklassen, dem Einfältigen gleichwie dem Gebildeten, zum Bewusstsein und zu Anerkennung zu bringen versteht, allein wir müssen aus dem uns hier vorliegenden Unter- suchungsfelde solche Freiheit thunlichst bannen.
ps1) Wir haben bis jetzt hauptsächlich gehandelt von Dingen, Vor- stellungen und Namen, indem wir uns bestrebten, hierüber eine erste, zum Teil auch wol unerlässliche Basis zu fernerer Verständigung zu gewinnen.
... Im Einklang etwa mit De Morgan's2 Kapitelüberschrift "On ob- jects, ideas and names". Dem letzten dieser Themata pflegen deutsche Werke über Logik entweder gar keine oder doch nur eine sehr stiefmütter- liche Behandlung angedeihen zu lassen, wie mir dieselben denn überhaupt von Anfang ihren Flug meistens zu hoch zu nehmen scheinen. Ausführ- liche und gründlichere Betrachtungen dagegen finden sich diesem Gegen- stand häufig in englischen Darstellungen der Logik gewidmet und sind in dieser Hinsicht vor allem die Werke von Mill1 und Jevons6 empfehlend hervorzuheben (neunte resp. siebente Auflage). Dieselben zeigen hierin sich
Einleitung.
erschaffenen Wörterschatze für das sinnlich Wahrnehmbare in der materiellen Welt. Sie musste so neben der „eigentlichen“ und ursprünglichen, der Be- deutung „katexochēn“ oder „par excellence“ auch noch eine „uneigentliche“, „übertragene“ oder „metaphorische“ Bedeutung den entlehnten Wörtern (oder ihren Zusammensetzungen) beilegen — wie dies z. B. geschieht, wenn wir von einer glänzenden That, einem brillanten Geschäft, einer bittern Ent- täuschung u. s. w. reden.
Wer solchen Unterschied missachtet, wird leichtlich den Regeln der Logik gemäss zu absurden oder lächerlichen Folgerungen geführt werden. Treffend illustrirt dies De Morgan, indem er darauf aufmerksam macht, dass der Satz „Nur der Weise ist (wirklich) reich“ (Solus sapiens est dives) logisch vollkommen äquivalent ist mit dem Ausspruche „Jeder Reiche ist weise“ (Omnis dives est sapiens) — jedenfalls sehr schmeichelhaft für die Reichen! Natürlich war das erste „reich“ im übertragenen Sinne genommen, als: reich an inneren, an Schätzen des Gemütes, gesegnet mit Zufrieden- heit, etc., das zweite aber konnte — ohne weiteres — nur im eigentlichen Sinne als „reich an Geld und (äusserm) Gut“ — aus psychologischen Gründen — verstanden werden.
Von jenem Recht der Metapher macht auch heute noch die Sprache fortgesetzt und in erspriesslicher Weise Gebrauch, vornehmlich in ihren poetischen Produktionen, und da ist es keineswegs der Wissenschaft und Logik zur Last zu legen, wenn dieselbe mit ihrer Analyse, mit logisch- wissenschaftlicher Zergliederung oft gleichsam den prachtvollen Farbenschmelz von den Flügeln des Schmetterlinges abzustreifen und blos ein kahles Ge- rippe übrig zu lassen scheint — sondern nur ihrer unvollkommnen Anwen- dung. Wir missgönnen der Poesie ihre Freiheit nicht, wir bewundern sie vielmehr ob der Geschicklichkeit und Macht, mit der sie auf die Verede- lung des Geschmackes, des ganzen Fühlens und Denkens breiter Bevölkerungs- schichten hinzuwirken und gelegentlich auch — vornehmlich auf ethischem Gebiete — erhebende und wichtige Wahrheiten grossen Volksklassen, dem Einfältigen gleichwie dem Gebildeten, zum Bewusstsein und zu Anerkennung zu bringen versteht, allein wir müssen aus dem uns hier vorliegenden Unter- suchungsfelde solche Freiheit thunlichst bannen.
ψ1) Wir haben bis jetzt hauptsächlich gehandelt von Dingen, Vor- stellungen und Namen, indem wir uns bestrebten, hierüber eine erste, zum Teil auch wol unerlässliche Basis zu fernerer Verständigung zu gewinnen.
… Im Einklang etwa mit De Morgan's2 Kapitelüberschrift „On ob- jects, ideas and names“. Dem letzten dieser Themata pflegen deutsche Werke über Logik entweder gar keine oder doch nur eine sehr stiefmütter- liche Behandlung angedeihen zu lassen, wie mir dieselben denn überhaupt von Anfang ihren Flug meistens zu hoch zu nehmen scheinen. Ausführ- liche und gründlichere Betrachtungen dagegen finden sich diesem Gegen- stand häufig in englischen Darstellungen der Logik gewidmet und sind in dieser Hinsicht vor allem die Werke von Mill1 und Jevons6 empfehlend hervorzuheben (neunte resp. siebente Auflage). Dieselben zeigen hierin sich
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Einleitung.
erschaffenen Wörterschatze für das sinnlich Wahrnehmbare in der materiellen
Welt. Sie musste so neben der „eigentlichen“ und ursprünglichen, der Be-
deutung „katexochēn“ oder „par excellence“ auch noch eine „uneigentliche“,
„übertragene“ oder „metaphorische“ Bedeutung den entlehnten Wörtern (oder
ihren Zusammensetzungen) beilegen — wie dies z. B. geschieht, wenn wir
von einer glänzenden That, einem brillanten Geschäft, einer bittern Ent-
täuschung u. s. w. reden.
Wer solchen Unterschied missachtet, wird leichtlich den Regeln der
Logik gemäss zu absurden oder lächerlichen Folgerungen geführt werden.
Treffend illustrirt dies De Morgan, indem er darauf aufmerksam macht,
dass der Satz „Nur der Weise ist (wirklich) reich“ (Solus sapiens est dives)
logisch vollkommen äquivalent ist mit dem Ausspruche „Jeder Reiche ist
weise“ (Omnis dives est sapiens) — jedenfalls sehr schmeichelhaft für die
Reichen! Natürlich war das erste „reich“ im übertragenen Sinne genommen,
als: reich an inneren, an Schätzen des Gemütes, gesegnet mit Zufrieden-
heit, etc., das zweite aber konnte — ohne weiteres — nur im eigentlichen
Sinne als „reich an Geld und (äusserm) Gut“ — aus psychologischen
Gründen — verstanden werden.
Von jenem Recht der Metapher macht auch heute noch die Sprache
fortgesetzt und in erspriesslicher Weise Gebrauch, vornehmlich in ihren
poetischen Produktionen, und da ist es keineswegs der Wissenschaft und
Logik zur Last zu legen, wenn dieselbe mit ihrer Analyse, mit logisch-
wissenschaftlicher Zergliederung oft gleichsam den prachtvollen Farbenschmelz
von den Flügeln des Schmetterlinges abzustreifen und blos ein kahles Ge-
rippe übrig zu lassen scheint — sondern nur ihrer unvollkommnen Anwen-
dung. Wir missgönnen der Poesie ihre Freiheit nicht, wir bewundern sie
vielmehr ob der Geschicklichkeit und Macht, mit der sie auf die Verede-
lung des Geschmackes, des ganzen Fühlens und Denkens breiter Bevölkerungs-
schichten hinzuwirken und gelegentlich auch — vornehmlich auf ethischem
Gebiete — erhebende und wichtige Wahrheiten grossen Volksklassen, dem
Einfältigen gleichwie dem Gebildeten, zum Bewusstsein und zu Anerkennung
zu bringen versteht, allein wir müssen aus dem uns hier vorliegenden Unter-
suchungsfelde solche Freiheit thunlichst bannen.
ψ1) Wir haben bis jetzt hauptsächlich gehandelt von Dingen, Vor-
stellungen und Namen, indem wir uns bestrebten, hierüber eine erste,
zum Teil auch wol unerlässliche Basis zu fernerer Verständigung zu
gewinnen.
… Im Einklang etwa mit De Morgan's2 Kapitelüberschrift „On ob-
jects, ideas and names“. Dem letzten dieser Themata pflegen deutsche
Werke über Logik entweder gar keine oder doch nur eine sehr stiefmütter-
liche Behandlung angedeihen zu lassen, wie mir dieselben denn überhaupt
von Anfang ihren Flug meistens zu hoch zu nehmen scheinen. Ausführ-
liche und gründlichere Betrachtungen dagegen finden sich diesem Gegen-
stand häufig in englischen Darstellungen der Logik gewidmet und sind in
dieser Hinsicht vor allem die Werke von Mill1 und Jevons6 empfehlend
hervorzuheben (neunte resp. siebente Auflage). Dieselben zeigen hierin sich
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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/75>, abgerufen am 05.12.2024.
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