bestimmt zu denken, und bildete dies, wie wir gesehen haben, eine unerläss- liche Voraussetzung der Erkenntnisslehre. Die letztere dürfte sogar der Überzeugung nicht wol entraten können, dass diese Vorstellung nach hin- reichend gründlicher Prüfung des Dinges bei allen Intelligenzen in letzter Instanz dieselbe werden muss, dass von dem richtig erkannten Dinge die Vorstellung eine (mathematische) Funktion ist, und soferne die Erkenntniss vollständig ist, auch das Ding eine Funktion der Vorstellung -- eine Wechselbeziehung, die wir dann als ein gegenseitig eindeutiges Entsprechen hinzustellen berechtigt waren.
Man kann allerdings ein "Ding an sich" auf verschiedene Sinnesener- gieen einwirken lassen und dadurch verschiedene Teilvorstellungen von demselben erhalten; es ist zunächst die aus diesen resultirende Gesamt- vorstellung, welche bei der vorstehenden Auseinandersetzung gemeint war, welche letztere dann aber auch für (irgend) eine bestimmte dieser Teil- vorstellungen in Anspruch genommen werden kann. Durch die Thatsachen der Farbenblindheit, Taubheit etc. erscheint es wol noch geboten, hierzu das Zugeständniss zu machen, dass in jener Gesamtvorstellung oder in Bezug auf gewisse von den Teilvorstellungen anfänglich ein Ausfall bei mangel- haft organisirten Individuen möglich ist, der jedoch mittelst induktiver Schlüsse indirekt ergänzt zu werden vermag: es kann z. B. auch ein Farben- blinder das Vorhandensein roten Lichtes durch die Wärmewirkung im Spektrum von dem des grünen unterscheiden, und ein Tauber mittelst des Tastgefühls die im Tönen begriffene Saite von der lautlos ruhenden.
t1) Für ein Ding, soweit es für uns erkennbar ist, mehrere ver- schiedene Namen zu haben, ist allerdings mit den Zwecken der Ge- dankenmitteilung sehr wohl vereinbar und es darf dies nicht als ein eigentlicher Misstand, sondern höchstens als ein Luxus, vielleicht eine Verschwendung, hingestellt werden.
In der That stehen uns für dasselbe Ding zunächst oft verschie- dene Namen zugebote, indem es möglich ist, dasselbe von sehr ver- schiedenen Gesichtspunkten aus zu beschreiben -- welche Beschreibung dann jedesmal als ein Name für das Ding angesehen werden kann, und manche wissenschaftliche Untersuchung dreht sich darum, ob ein auf diese und ein auf jene Weise definirtes, eingeführtes, beschriebenes Ding das nämliche sein muss, oder ein anderes. Sind aber solche Untersuchungen beendet, ist das Ding voll erkannt, so wird es, auch im erstern Falle, doch praktisch erscheinen, fortan nur eine, und zwar die als die zweckmässigste erscheinende von allen Benennungen des Dinges als seine "offizielle" Bezeichnung (standard notation) in der Wissenschaft beizubehalten.
Wie es nun überhaupt möglich gemacht werden kann, dass eine Mehrheit von Menschen dasselbe vorgestellte Ding je mit dem gleichen Namen (eindeutig) bezeichne, und zwar nicht nur auf dem Gebiete der
Schröder, Algebra der Logik. 4
Einleitung.
bestimmt zu denken, und bildete dies, wie wir gesehen haben, eine unerläss- liche Voraussetzung der Erkenntnisslehre. Die letztere dürfte sogar der Überzeugung nicht wol entraten können, dass diese Vorstellung nach hin- reichend gründlicher Prüfung des Dinges bei allen Intelligenzen in letzter Instanz dieselbe werden muss, dass von dem richtig erkannten Dinge die Vorstellung eine (mathematische) Funktion ist, und soferne die Erkenntniss vollständig ist, auch das Ding eine Funktion der Vorstellung — eine Wechselbeziehung, die wir dann als ein gegenseitig eindeutiges Entsprechen hinzustellen berechtigt waren.
Man kann allerdings ein „Ding an sich“ auf verschiedene Sinnesener- gieen einwirken lassen und dadurch verschiedene Teilvorstellungen von demselben erhalten; es ist zunächst die aus diesen resultirende Gesamt- vorstellung, welche bei der vorstehenden Auseinandersetzung gemeint war, welche letztere dann aber auch für (irgend) eine bestimmte dieser Teil- vorstellungen in Anspruch genommen werden kann. Durch die Thatsachen der Farbenblindheit, Taubheit etc. erscheint es wol noch geboten, hierzu das Zugeständniss zu machen, dass in jener Gesamtvorstellung oder in Bezug auf gewisse von den Teilvorstellungen anfänglich ein Ausfall bei mangel- haft organisirten Individuen möglich ist, der jedoch mittelst induktiver Schlüsse indirekt ergänzt zu werden vermag: es kann z. B. auch ein Farben- blinder das Vorhandensein roten Lichtes durch die Wärmewirkung im Spektrum von dem des grünen unterscheiden, und ein Tauber mittelst des Tastgefühls die im Tönen begriffene Saite von der lautlos ruhenden.
τ1) Für ein Ding, soweit es für uns erkennbar ist, mehrere ver- schiedene Namen zu haben, ist allerdings mit den Zwecken der Ge- dankenmitteilung sehr wohl vereinbar und es darf dies nicht als ein eigentlicher Misstand, sondern höchstens als ein Luxus, vielleicht eine Verschwendung, hingestellt werden.
In der That stehen uns für dasselbe Ding zunächst oft verschie- dene Namen zugebote, indem es möglich ist, dasselbe von sehr ver- schiedenen Gesichtspunkten aus zu beschreiben — welche Beschreibung dann jedesmal als ein Name für das Ding angesehen werden kann, und manche wissenschaftliche Untersuchung dreht sich darum, ob ein auf diese und ein auf jene Weise definirtes, eingeführtes, beschriebenes Ding das nämliche sein muss, oder ein anderes. Sind aber solche Untersuchungen beendet, ist das Ding voll erkannt, so wird es, auch im erstern Falle, doch praktisch erscheinen, fortan nur eine, und zwar die als die zweckmässigste erscheinende von allen Benennungen des Dinges als seine „offizielle“ Bezeichnung (standard notation) in der Wissenschaft beizubehalten.
Wie es nun überhaupt möglich gemacht werden kann, dass eine Mehrheit von Menschen dasselbe vorgestellte Ding je mit dem gleichen Namen (eindeutig) bezeichne, und zwar nicht nur auf dem Gebiete der
Schröder, Algebra der Logik. 4
<TEI><text><front><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0069"n="49"/><fwplace="top"type="header">Einleitung.</fw><lb/>
bestimmt zu denken, und bildete dies, wie wir gesehen haben, eine unerläss-<lb/>
liche Voraussetzung der Erkenntnisslehre. Die letztere dürfte sogar der<lb/>
Überzeugung nicht wol entraten können, dass diese Vorstellung nach hin-<lb/>
reichend gründlicher Prüfung des Dinges bei allen Intelligenzen in letzter<lb/>
Instanz dieselbe werden <hirendition="#i">muss,</hi> dass von dem richtig erkannten Dinge die<lb/>
Vorstellung eine (mathematische) Funktion ist, und soferne die Erkenntniss<lb/>
vollständig ist, auch das Ding eine Funktion der Vorstellung — eine<lb/>
Wechselbeziehung, die wir dann als ein gegenseitig eindeutiges Entsprechen<lb/>
hinzustellen berechtigt waren.</p><lb/><p>Man kann allerdings ein „Ding an sich“ auf verschiedene Sinnesener-<lb/>
gieen einwirken lassen und dadurch verschiedene Teilvorstellungen von<lb/>
demselben erhalten; es ist zunächst die aus diesen resultirende Gesamt-<lb/>
vorstellung, welche bei der vorstehenden Auseinandersetzung gemeint war,<lb/>
welche letztere dann aber auch für (irgend) eine bestimmte dieser Teil-<lb/>
vorstellungen in Anspruch genommen werden kann. Durch die Thatsachen<lb/>
der Farbenblindheit, Taubheit etc. erscheint es wol noch geboten, hierzu<lb/>
das Zugeständniss zu machen, dass in jener Gesamtvorstellung oder in Bezug<lb/>
auf gewisse von den Teilvorstellungen anfänglich ein Ausfall bei mangel-<lb/>
haft organisirten Individuen möglich ist, der jedoch mittelst induktiver<lb/>
Schlüsse indirekt ergänzt zu werden vermag: es kann z. B. auch ein Farben-<lb/>
blinder das Vorhandensein roten Lichtes durch die Wärmewirkung im Spektrum<lb/>
von dem des grünen unterscheiden, und ein Tauber mittelst des Tastgefühls<lb/>
die im Tönen begriffene Saite von der lautlos ruhenden.</p><lb/><p><hirendition="#i">τ</hi><hirendition="#sub">1</hi>) Für ein Ding, soweit es für uns erkennbar ist, mehrere ver-<lb/>
schiedene Namen zu haben, ist allerdings mit den Zwecken der Ge-<lb/>
dankenmitteilung sehr wohl vereinbar und es darf dies nicht als ein<lb/>
eigentlicher Misstand, sondern höchstens als ein Luxus, vielleicht eine<lb/>
Verschwendung, hingestellt werden.</p><lb/><p>In der That stehen uns für dasselbe Ding zunächst oft verschie-<lb/>
dene Namen zugebote, indem es möglich ist, dasselbe von sehr ver-<lb/>
schiedenen Gesichtspunkten aus zu beschreiben — welche Beschreibung<lb/>
dann jedesmal als ein Name für das Ding angesehen werden kann,<lb/>
und manche wissenschaftliche Untersuchung dreht sich darum, ob ein<lb/>
auf diese und ein auf jene Weise definirtes, eingeführtes, beschriebenes<lb/>
Ding das nämliche sein muss, oder ein anderes. Sind aber solche<lb/>
Untersuchungen beendet, ist das Ding voll erkannt, so wird es, auch<lb/>
im erstern Falle, doch praktisch erscheinen, fortan nur <hirendition="#i">eine</hi>, und zwar<lb/>
die als die zweckmässigste erscheinende von allen Benennungen des<lb/>
Dinges als seine „offizielle“ Bezeichnung (standard notation) in der<lb/>
Wissenschaft beizubehalten.</p><lb/><p>Wie es nun überhaupt möglich gemacht werden kann, dass eine<lb/>
Mehrheit von Menschen dasselbe vorgestellte Ding je mit dem gleichen<lb/>
Namen (eindeutig) bezeichne, und zwar nicht nur auf dem Gebiete der<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#k">Schröder</hi>, Algebra der Logik. 4</fw><lb/></p></div></div></front></text></TEI>
[49/0069]
Einleitung.
bestimmt zu denken, und bildete dies, wie wir gesehen haben, eine unerläss-
liche Voraussetzung der Erkenntnisslehre. Die letztere dürfte sogar der
Überzeugung nicht wol entraten können, dass diese Vorstellung nach hin-
reichend gründlicher Prüfung des Dinges bei allen Intelligenzen in letzter
Instanz dieselbe werden muss, dass von dem richtig erkannten Dinge die
Vorstellung eine (mathematische) Funktion ist, und soferne die Erkenntniss
vollständig ist, auch das Ding eine Funktion der Vorstellung — eine
Wechselbeziehung, die wir dann als ein gegenseitig eindeutiges Entsprechen
hinzustellen berechtigt waren.
Man kann allerdings ein „Ding an sich“ auf verschiedene Sinnesener-
gieen einwirken lassen und dadurch verschiedene Teilvorstellungen von
demselben erhalten; es ist zunächst die aus diesen resultirende Gesamt-
vorstellung, welche bei der vorstehenden Auseinandersetzung gemeint war,
welche letztere dann aber auch für (irgend) eine bestimmte dieser Teil-
vorstellungen in Anspruch genommen werden kann. Durch die Thatsachen
der Farbenblindheit, Taubheit etc. erscheint es wol noch geboten, hierzu
das Zugeständniss zu machen, dass in jener Gesamtvorstellung oder in Bezug
auf gewisse von den Teilvorstellungen anfänglich ein Ausfall bei mangel-
haft organisirten Individuen möglich ist, der jedoch mittelst induktiver
Schlüsse indirekt ergänzt zu werden vermag: es kann z. B. auch ein Farben-
blinder das Vorhandensein roten Lichtes durch die Wärmewirkung im Spektrum
von dem des grünen unterscheiden, und ein Tauber mittelst des Tastgefühls
die im Tönen begriffene Saite von der lautlos ruhenden.
τ1) Für ein Ding, soweit es für uns erkennbar ist, mehrere ver-
schiedene Namen zu haben, ist allerdings mit den Zwecken der Ge-
dankenmitteilung sehr wohl vereinbar und es darf dies nicht als ein
eigentlicher Misstand, sondern höchstens als ein Luxus, vielleicht eine
Verschwendung, hingestellt werden.
In der That stehen uns für dasselbe Ding zunächst oft verschie-
dene Namen zugebote, indem es möglich ist, dasselbe von sehr ver-
schiedenen Gesichtspunkten aus zu beschreiben — welche Beschreibung
dann jedesmal als ein Name für das Ding angesehen werden kann,
und manche wissenschaftliche Untersuchung dreht sich darum, ob ein
auf diese und ein auf jene Weise definirtes, eingeführtes, beschriebenes
Ding das nämliche sein muss, oder ein anderes. Sind aber solche
Untersuchungen beendet, ist das Ding voll erkannt, so wird es, auch
im erstern Falle, doch praktisch erscheinen, fortan nur eine, und zwar
die als die zweckmässigste erscheinende von allen Benennungen des
Dinges als seine „offizielle“ Bezeichnung (standard notation) in der
Wissenschaft beizubehalten.
Wie es nun überhaupt möglich gemacht werden kann, dass eine
Mehrheit von Menschen dasselbe vorgestellte Ding je mit dem gleichen
Namen (eindeutig) bezeichne, und zwar nicht nur auf dem Gebiete der
Schröder, Algebra der Logik. 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/69>, abgerufen am 05.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.