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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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Logischer Kalkul mit Gruppen.
dung gefunden. Sind doch Herrn Dedekind's Zahlenkörper, Kronecker's
Rationalitätsbereiche, etc. nichts anderes wie "Gruppen", und wie die Sub-
stitutionentheorie sich fast nur um Gruppen von Substitutionen dreht, so
haben auch für die Geometrie Herrn Walter Dyck's gruppentheoretische
Untersuchungen, für die höhere Analysis Herrn Sophus Lie's Trans-
formationsgruppen etc. eine fundamentale Wichtigkeit erlangt. Nicht minder
sah die Mechanik sich genötigt "Gruppen" von Bewegungen (Translationen
und Rotationen) zu studiren, und ist mit deren Studium durch Camille
Jordan
u. a. die Bravais-Sohncke'sche Erklärung der Krystallstruktur
erwachsen, u. s. w.

Unter solchen Umständen dürfte es wohl verlohnen, die Gesetze, nach
welchen alle Forscher, die sich mit Gruppen beschäftigen, wenn auch viel-
leicht unbewusst, denken, sich einmal gründlich zum Bewusstsein zu
bringen, zumal diese Gesetze in ihren elementarsten Grundzügen sich als
keine andern erweisen als die der Logik überhaupt und des identischen
Kalkuls, bis exclusive zur zweiten Subsumtion des Distributionsgesetzes.

Ist ein System von Dingen gegeben, die wir "Elemente" nennen
wollen, und kennen wir einen Prozess, durch welchen aus irgend-
welchen von diesen Elementen sich neue Gebilde erzeugen, herstellen,
"ableiten" lassen, so vermögen wir auch die letzteren als weitere
"Elemente" zu dem System der bisherigen hinzuzuschlagen, sie sozu-
sagen dem Systeme als neue Errungenschaft "anzugliedern".

Auf diese Weise kann man fortfahren, und den gleichen Prozess
auch auf die (oder irgendwelche) Elemente des so erweiterten Elemente-
systems anwenden, solange überhaupt der Prozess noch neue Dinge als
Elemente zu liefern vermag und auf die hinzutretenden anwendbar bleibt.

Den Prozess haben wir uns hienach begrifflich bestimmt zu denken
als eine gewisse Art von Prozessen. Sofern wir ihn eigenmächtig aus-
führen können, mögen wir ihn auch eine "Operation" nennen, oder, wenn
sich an dieser verschiedene Stadien unterscheiden lassen, ihn hinstellen als
ein "System von Operationen" (den Teiloperationen der vorerwähnten als-
dann "zusammengesetzten" Operationen); die Reihenfolge solcher Teil-
operationen kann eine vorgeschriebene, oder auch ganz oder teilweise in
unser Belieben gestellte sein, je nach der Art, wie der Prozess begrifflich
bestimmt erscheint. Operationen können (als "uni-näre"?) schon aus einem
Elemente (zuweilen oder immer) ein neues erzeugen, oder aber als
"Knüpfungen" deren zweie oder mehrere bedürfen um ein neues Element
hervorzubringen ("binäre", "ternäre" und "multi-näre"? Knüpfungen). Als
auf Beispiele sei auf Negation und Multiplikation als solche Operationen
hingewiesen.

Durch die Vorschrift, welche die Natur des Prozesses bestimmt
und durch die ursprünglich gegebenen Elemente ist in allen Fällen
die Mannigfaltigkeit der Objekte des Denkens bestimmt, welche durch
den Prozess aus jenen Elementen ableitbar sind.

Logischer Kalkul mit Gruppen.
dung gefunden. Sind doch Herrn Dedekind's Zahlenkörper, Kronecker's
Rationalitätsbereiche, etc. nichts anderes wie „Gruppen“, und wie die Sub-
stitutionentheorie sich fast nur um Gruppen von Substitutionen dreht, so
haben auch für die Geometrie Herrn Walter Dyck's gruppentheoretische
Untersuchungen, für die höhere Analysis Herrn Sophus Lie's Trans-
formationsgruppen etc. eine fundamentale Wichtigkeit erlangt. Nicht minder
sah die Mechanik sich genötigt „Gruppen“ von Bewegungen (Translationen
und Rotationen) zu studiren, und ist mit deren Studium durch Camille
Jordan
u. a. die Bravais-Sohncke'sche Erklärung der Krystallstruktur
erwachsen, u. s. w.

Unter solchen Umständen dürfte es wohl verlohnen, die Gesetze, nach
welchen alle Forscher, die sich mit Gruppen beschäftigen, wenn auch viel-
leicht unbewusst, denken, sich einmal gründlich zum Bewusstsein zu
bringen, zumal diese Gesetze in ihren elementarsten Grundzügen sich als
keine andern erweisen als die der Logik überhaupt und des identischen
Kalkuls, bis exclusive zur zweiten Subsumtion des Distributionsgesetzes.

Ist ein System von Dingen gegeben, die wir „Elemente“ nennen
wollen, und kennen wir einen Prozess, durch welchen aus irgend-
welchen von diesen Elementen sich neue Gebilde erzeugen, herstellen,
„ableiten“ lassen, so vermögen wir auch die letzteren als weitere
„Elemente“ zu dem System der bisherigen hinzuzuschlagen, sie sozu-
sagen dem Systeme als neue Errungenschaft „anzugliedern“.

Auf diese Weise kann man fortfahren, und den gleichen Prozess
auch auf die (oder irgendwelche) Elemente des so erweiterten Elemente-
systems anwenden, solange überhaupt der Prozess noch neue Dinge als
Elemente zu liefern vermag und auf die hinzutretenden anwendbar bleibt.

Den Prozess haben wir uns hienach begrifflich bestimmt zu denken
als eine gewisse Art von Prozessen. Sofern wir ihn eigenmächtig aus-
führen können, mögen wir ihn auch eine „Operation“ nennen, oder, wenn
sich an dieser verschiedene Stadien unterscheiden lassen, ihn hinstellen als
ein „System von Operationen“ (den Teiloperationen der vorerwähnten als-
dann „zusammengesetzten“ Operationen); die Reihenfolge solcher Teil-
operationen kann eine vorgeschriebene, oder auch ganz oder teilweise in
unser Belieben gestellte sein, je nach der Art, wie der Prozess begrifflich
bestimmt erscheint. Operationen können (als „uni-näre“?) schon aus einem
Elemente (zuweilen oder immer) ein neues erzeugen, oder aber als
„Knüpfungen“ deren zweie oder mehrere bedürfen um ein neues Element
hervorzubringen („binäre“, „ternäre“ und „multi-näre“? Knüpfungen). Als
auf Beispiele sei auf Negation und Multiplikation als solche Operationen
hingewiesen.

Durch die Vorschrift, welche die Natur des Prozesses bestimmt
und durch die ursprünglich gegebenen Elemente ist in allen Fällen
die Mannigfaltigkeit der Objekte des Denkens bestimmt, welche durch
den Prozess aus jenen Elementen ableitbar sind.

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[629/0649] Logischer Kalkul mit Gruppen. dung gefunden. Sind doch Herrn Dedekind's Zahlenkörper, Kronecker's Rationalitätsbereiche, etc. nichts anderes wie „Gruppen“, und wie die Sub- stitutionentheorie sich fast nur um Gruppen von Substitutionen dreht, so haben auch für die Geometrie Herrn Walter Dyck's gruppentheoretische Untersuchungen, für die höhere Analysis Herrn Sophus Lie's Trans- formationsgruppen etc. eine fundamentale Wichtigkeit erlangt. Nicht minder sah die Mechanik sich genötigt „Gruppen“ von Bewegungen (Translationen und Rotationen) zu studiren, und ist mit deren Studium durch Camille Jordan u. a. die Bravais-Sohncke'sche Erklärung der Krystallstruktur erwachsen, u. s. w. Unter solchen Umständen dürfte es wohl verlohnen, die Gesetze, nach welchen alle Forscher, die sich mit Gruppen beschäftigen, wenn auch viel- leicht unbewusst, denken, sich einmal gründlich zum Bewusstsein zu bringen, zumal diese Gesetze in ihren elementarsten Grundzügen sich als keine andern erweisen als die der Logik überhaupt und des identischen Kalkuls, bis exclusive zur zweiten Subsumtion des Distributionsgesetzes. Ist ein System von Dingen gegeben, die wir „Elemente“ nennen wollen, und kennen wir einen Prozess, durch welchen aus irgend- welchen von diesen Elementen sich neue Gebilde erzeugen, herstellen, „ableiten“ lassen, so vermögen wir auch die letzteren als weitere „Elemente“ zu dem System der bisherigen hinzuzuschlagen, sie sozu- sagen dem Systeme als neue Errungenschaft „anzugliedern“. Auf diese Weise kann man fortfahren, und den gleichen Prozess auch auf die (oder irgendwelche) Elemente des so erweiterten Elemente- systems anwenden, solange überhaupt der Prozess noch neue Dinge als Elemente zu liefern vermag und auf die hinzutretenden anwendbar bleibt. Den Prozess haben wir uns hienach begrifflich bestimmt zu denken als eine gewisse Art von Prozessen. Sofern wir ihn eigenmächtig aus- führen können, mögen wir ihn auch eine „Operation“ nennen, oder, wenn sich an dieser verschiedene Stadien unterscheiden lassen, ihn hinstellen als ein „System von Operationen“ (den Teiloperationen der vorerwähnten als- dann „zusammengesetzten“ Operationen); die Reihenfolge solcher Teil- operationen kann eine vorgeschriebene, oder auch ganz oder teilweise in unser Belieben gestellte sein, je nach der Art, wie der Prozess begrifflich bestimmt erscheint. Operationen können (als „uni-näre“?) schon aus einem Elemente (zuweilen oder immer) ein neues erzeugen, oder aber als „Knüpfungen“ deren zweie oder mehrere bedürfen um ein neues Element hervorzubringen („binäre“, „ternäre“ und „multi-näre“? Knüpfungen). Als auf Beispiele sei auf Negation und Multiplikation als solche Operationen hingewiesen. Durch die Vorschrift, welche die Natur des Prozesses bestimmt und durch die ursprünglich gegebenen Elemente ist in allen Fällen die Mannigfaltigkeit der Objekte des Denkens bestimmt, welche durch den Prozess aus jenen Elementen ableitbar sind.

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 629. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/649>, abgerufen am 22.07.2024.