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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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Einleitung.
viele vorgestellte Dinge zunächst nur Absichten fassen, uns Ziele oder
Zwecke vorsetzen können und diese durch Mittel zu erreichen suchen
müssen, dass wir sie oft erst auf Umwegen zu verwirklichen, zu rea-
lisiren im stande sind.

Alles Erkennen der Aussenwelt konnte schon die Voraussetzung
nicht entbehren, dass die von den Dingen auf uns ausgeübten Ein-
wirkungen, dass die Art, wie die Dinge uns "erscheinen", von einer
Notwendigkeit geregelt seien (bestimmt durch die Natur der Dinge an
sich, die Natur unsres Wahrnehmungsvermögens und durch die Be-
ziehung, gegenseitige Lage, in welche die Dinge und unsre Sinnes-
organe zu einander stehen oder von uns gebracht werden). Und ebenso
wäre das Verfolgen von Zwecken durch Mittel aussichtslos, sinnlos, ohne
die Annahme, dass die aufzuwendenden Mittel notwendige Wirkungen
haben, genauer gesagt: spezifische Wirkungen notwendig haben müssen.
Es wird sich uns in letztrer Hinsicht nur darum handeln, diese Wir-
kungen richtig vorauszusehen, die Gesetze dieser Wirkungen zu erkennen.

Gesetze in dem Sinne von "Naturgesetzen" pflegt man dahin zu formu-
liren, dass unter gleichen Bedingungen auch jedesmal gleiche Folgen aus-
nahmslos eintreten. Gleiche Ursachen haben gleiche Wirkungen. Statt
"gleiche" wäre beidemal wol genauer zu sagen: "ähnliche, d. i. solche, die
einander in einer bestimmten Hinsicht gleichen". Versucht man aber ge-
nauer festzustellen, worin das Einandergleichsein von sei es Ursachen, sei
es Wirkungen, in der betreffenden Hinsicht besteht, so zeigt sich, dass das-
selbe zurückzuführen ist auf die Übereinstimmung zwischen Eindrücken, Em-
pfindungen, die sie unter bestimmten Umständen in unserm Geist hervorrufen,
zurückkommt auf die Gleichheit ihrer Erscheinung für unser Erkenntniss-
vermögen, die als solche unmittelbar empfunden und von der Nichtüberein-
stimmung unterschieden wird. Dieser Rückschluss aber von unsern Em-
pfindungen auf die Dinge, die sie hervorrufen, beruht wieder wesentlich auf
der Annahme, dass jene von diesen mit Notwendigkeit abhängen, ihnen in
gegebener Weise mit unabänderlicher Prädestination entsprechen. Notwendig-
keit also erscheint als der ursprünglichere und höhere Begriff, ohne welchen
auch derjenige einer Gesetzmässigkeit in der Aussenwelt nicht erklärt zu
werden vermöchte.

b1) Unsre eignen Empfindungen -- z. B. Schmerz --, unsre Vor-
stellungen, Affekte und Willenszustände werden wir unmittelbar inne
als dasjenige, was sie sind; sie sind gerade das, als was sie in unser
Bewusstsein eintreten. Auf die analogen Vorgänge im Bewusstsein
andrer Menschen vermögen wir darum auch -- mit einiger Wahr-
scheinlichkeit -- zu schliessen.

g1) Im Gegensatz aber zu den Erkenntnissobjekten der angeführten
Klasse, welche sonach als dasjenige, was sie "an sich" sind, von uns

Einleitung.
viele vorgestellte Dinge zunächst nur Absichten fassen, uns Ziele oder
Zwecke vorsetzen können und diese durch Mittel zu erreichen suchen
müssen, dass wir sie oft erst auf Umwegen zu verwirklichen, zu rea-
lisiren im stande sind.

Alles Erkennen der Aussenwelt konnte schon die Voraussetzung
nicht entbehren, dass die von den Dingen auf uns ausgeübten Ein-
wirkungen, dass die Art, wie die Dinge uns „erscheinen“, von einer
Notwendigkeit geregelt seien (bestimmt durch die Natur der Dinge an
sich, die Natur unsres Wahrnehmungsvermögens und durch die Be-
ziehung, gegenseitige Lage, in welche die Dinge und unsre Sinnes-
organe zu einander stehen oder von uns gebracht werden). Und ebenso
wäre das Verfolgen von Zwecken durch Mittel aussichtslos, sinnlos, ohne
die Annahme, dass die aufzuwendenden Mittel notwendige Wirkungen
haben, genauer gesagt: spezifische Wirkungen notwendig haben müssen.
Es wird sich uns in letztrer Hinsicht nur darum handeln, diese Wir-
kungen richtig vorauszusehen, die Gesetze dieser Wirkungen zu erkennen.

Gesetze in dem Sinne von „Naturgesetzen“ pflegt man dahin zu formu-
liren, dass unter gleichen Bedingungen auch jedesmal gleiche Folgen aus-
nahmslos eintreten. Gleiche Ursachen haben gleiche Wirkungen. Statt
„gleiche“ wäre beidemal wol genauer zu sagen: „ähnliche, d. i. solche, die
einander in einer bestimmten Hinsicht gleichen“. Versucht man aber ge-
nauer festzustellen, worin das Einandergleichsein von sei es Ursachen, sei
es Wirkungen, in der betreffenden Hinsicht besteht, so zeigt sich, dass das-
selbe zurückzuführen ist auf die Übereinstimmung zwischen Eindrücken, Em-
pfindungen, die sie unter bestimmten Umständen in unserm Geist hervorrufen,
zurückkommt auf die Gleichheit ihrer Erscheinung für unser Erkenntniss-
vermögen, die als solche unmittelbar empfunden und von der Nichtüberein-
stimmung unterschieden wird. Dieser Rückschluss aber von unsern Em-
pfindungen auf die Dinge, die sie hervorrufen, beruht wieder wesentlich auf
der Annahme, dass jene von diesen mit Notwendigkeit abhängen, ihnen in
gegebener Weise mit unabänderlicher Prädestination entsprechen. Notwendig-
keit also erscheint als der ursprünglichere und höhere Begriff, ohne welchen
auch derjenige einer Gesetzmässigkeit in der Aussenwelt nicht erklärt zu
werden vermöchte.

β1) Unsre eignen Empfindungen — z. B. Schmerz —, unsre Vor-
stellungen, Affekte und Willenszustände werden wir unmittelbar inne
als dasjenige, was sie sind; sie sind gerade das, als was sie in unser
Bewusstsein eintreten. Auf die analogen Vorgänge im Bewusstsein
andrer Menschen vermögen wir darum auch — mit einiger Wahr-
scheinlichkeit — zu schliessen.

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Klasse, welche sonach als dasjenige, was sie „an sich“ sind, von uns

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[29/0049] Einleitung. viele vorgestellte Dinge zunächst nur Absichten fassen, uns Ziele oder Zwecke vorsetzen können und diese durch Mittel zu erreichen suchen müssen, dass wir sie oft erst auf Umwegen zu verwirklichen, zu rea- lisiren im stande sind. Alles Erkennen der Aussenwelt konnte schon die Voraussetzung nicht entbehren, dass die von den Dingen auf uns ausgeübten Ein- wirkungen, dass die Art, wie die Dinge uns „erscheinen“, von einer Notwendigkeit geregelt seien (bestimmt durch die Natur der Dinge an sich, die Natur unsres Wahrnehmungsvermögens und durch die Be- ziehung, gegenseitige Lage, in welche die Dinge und unsre Sinnes- organe zu einander stehen oder von uns gebracht werden). Und ebenso wäre das Verfolgen von Zwecken durch Mittel aussichtslos, sinnlos, ohne die Annahme, dass die aufzuwendenden Mittel notwendige Wirkungen haben, genauer gesagt: spezifische Wirkungen notwendig haben müssen. Es wird sich uns in letztrer Hinsicht nur darum handeln, diese Wir- kungen richtig vorauszusehen, die Gesetze dieser Wirkungen zu erkennen. Gesetze in dem Sinne von „Naturgesetzen“ pflegt man dahin zu formu- liren, dass unter gleichen Bedingungen auch jedesmal gleiche Folgen aus- nahmslos eintreten. Gleiche Ursachen haben gleiche Wirkungen. Statt „gleiche“ wäre beidemal wol genauer zu sagen: „ähnliche, d. i. solche, die einander in einer bestimmten Hinsicht gleichen“. Versucht man aber ge- nauer festzustellen, worin das Einandergleichsein von sei es Ursachen, sei es Wirkungen, in der betreffenden Hinsicht besteht, so zeigt sich, dass das- selbe zurückzuführen ist auf die Übereinstimmung zwischen Eindrücken, Em- pfindungen, die sie unter bestimmten Umständen in unserm Geist hervorrufen, zurückkommt auf die Gleichheit ihrer Erscheinung für unser Erkenntniss- vermögen, die als solche unmittelbar empfunden und von der Nichtüberein- stimmung unterschieden wird. Dieser Rückschluss aber von unsern Em- pfindungen auf die Dinge, die sie hervorrufen, beruht wieder wesentlich auf der Annahme, dass jene von diesen mit Notwendigkeit abhängen, ihnen in gegebener Weise mit unabänderlicher Prädestination entsprechen. Notwendig- keit also erscheint als der ursprünglichere und höhere Begriff, ohne welchen auch derjenige einer Gesetzmässigkeit in der Aussenwelt nicht erklärt zu werden vermöchte. β1) Unsre eignen Empfindungen — z. B. Schmerz —, unsre Vor- stellungen, Affekte und Willenszustände werden wir unmittelbar inne als dasjenige, was sie sind; sie sind gerade das, als was sie in unser Bewusstsein eintreten. Auf die analogen Vorgänge im Bewusstsein andrer Menschen vermögen wir darum auch — mit einiger Wahr- scheinlichkeit — zu schliessen. γ1) Im Gegensatz aber zu den Erkenntnissobjekten der angeführten Klasse, welche sonach als dasjenige, was sie „an sich“ sind, von uns

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/49>, abgerufen am 20.04.2024.