Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 12. Prinzip zur Vertretung des unbeweisbaren Satzes.
lichen Definition im Klassenkalkul teihaftig geworden, auf welche
solche Argumentationen in strenger Beweisführung erst zu basiren
wären. Um aber solche Definition und Beweisführung zu verwirk-
lichen (vergl. § 47) werden wir längst schon des vollen Distribu-
tionsgesetzes zum Aufbau unsrer Disziplin bedurft haben und vielfach
in der Lage gewesen sein, desselben nicht entraten zu können.

Aus diesen Gründen verharren wir bei dem gewählten Prin-
zipe IIIx.

Unverkennbar geht die Arithmetik einen umgekehrten Weg: sie fängt
bei Aufstellung ihrer Zahlbegriffe und ersten Sätze eben mit "Argumen-
tationen auf die Individuen" als den plausibelsten Überlegungen des Men-
schengeistes an. In didaktischer Hinsicht dürfte solches Verfahren auch
die grössten Vorzüge besitzen, und tadeln wir sie keineswegs darob. Wir
verlangen jedoch, dass entweder das Eine oder aber das Andre konsequent
durchgeführt werde! Hier nun haben wir nicht den Begriff des Indivi-
duums sondern den der Einordnung zwischen Gebieten, Subsumtion, an die
Spitze gestellt; wir haben bereits den entgegengesetzten Weg eingeschlagen
und müssen ihn nun auch zu Ende gehen; wir dürfen darum jenen Begriff
auch noch nicht voraussetzen (es sei denn ganz nebenher bei den Illustra-
tionen durch Beispiele oder den Nutzanwendungen des Kalkuls), sondern
werden erst verhältnissmässig spät im stande sein, eine Definition des In-
dividuums, Punktes aufzustellen.

Wir begnügen uns, einstweilen mit Peirce zu sagen, der obige
"Beweis" sei nicht syllogistisch, sondern "dilemmatisch" und verweisen
in Bezug auf die als ein "Dilemma" hinzustellende Art des Schliessens
auf § 45 des mehrerwähnten Aussagenkalkuls, sowie schon auf das
Schema der Aufgabe i1) des § 18. [Der vorgerücktere Leser wird
leicht diese Schlussform als eine hier wirklich mit zur Anwendung
gekommene erkennen, indem er sich das s des Schema's als a (b + c),
das p desselben als a b + a c deutet -- ohne dass wir nötig hätten,
hierauf nochmals zurückzukommen.] Den vorgreifenden Charakter des
"Beweises", zufolge dessen er hier noch nicht am Platze, noch depla-
cirt erscheint, erblicke ich aber wesentlich nicht darin, dass diese
Schlussform in ihm zur Anwendung kommt, sondern vielmehr in dem
erwähnten "Argumentiren auf Individuen".

Dual entsprechend könnte der andre Satz:
26+) (a + b) (a + c) a + b c,
-- in Worten: "Was a oder b und zugleich a oder c ist, ist entweder a
oder: b und c" auch dilemmatisch so "bewiesen" werden: Dasselbe ist
entweder a oder nicht. Ist es nicht a, so muss es nach dem ersten Teil
der Voraussetzung b und nach dem zweiten c sein; also ist es entweder a
oder "b und c".

§ 12. Prinzip zur Vertretung des unbeweisbaren Satzes.
lichen Definition im Klassenkalkul teihaftig geworden, auf welche
solche Argumentationen in strenger Beweisführung erst zu basiren
wären. Um aber solche Definition und Beweisführung zu verwirk-
lichen (vergl. § 47) werden wir längst schon des vollen Distribu-
tionsgesetzes zum Aufbau unsrer Disziplin bedurft haben und vielfach
in der Lage gewesen sein, desselben nicht entraten zu können.

Aus diesen Gründen verharren wir bei dem gewählten Prin-
zipe III×.

Unverkennbar geht die Arithmetik einen umgekehrten Weg: sie fängt
bei Aufstellung ihrer Zahlbegriffe und ersten Sätze eben mit „Argumen-
tationen auf die Individuen“ als den plausibelsten Überlegungen des Men-
schengeistes an. In didaktischer Hinsicht dürfte solches Verfahren auch
die grössten Vorzüge besitzen, und tadeln wir sie keineswegs darob. Wir
verlangen jedoch, dass entweder das Eine oder aber das Andre konsequent
durchgeführt werde! Hier nun haben wir nicht den Begriff des Indivi-
duums sondern den der Einordnung zwischen Gebieten, Subsumtion, an die
Spitze gestellt; wir haben bereits den entgegengesetzten Weg eingeschlagen
und müssen ihn nun auch zu Ende gehen; wir dürfen darum jenen Begriff
auch noch nicht voraussetzen (es sei denn ganz nebenher bei den Illustra-
tionen durch Beispiele oder den Nutzanwendungen des Kalkuls), sondern
werden erst verhältnissmässig spät im stande sein, eine Definition des In-
dividuums, Punktes aufzustellen.

Wir begnügen uns, einstweilen mit Peirce zu sagen, der obige
„Beweis“ sei nicht syllogistisch, sondern „dilemmatisch“ und verweisen
in Bezug auf die als ein „Dilemma“ hinzustellende Art des Schliessens
auf § 45 des mehrerwähnten Aussagenkalkuls, sowie schon auf das
Schema der Aufgabe ι1) des § 18. [Der vorgerücktere Leser wird
leicht diese Schlussform als eine hier wirklich mit zur Anwendung
gekommene erkennen, indem er sich das s des Schema's als a (b + c),
das p desselben als a b + a c deutet — ohne dass wir nötig hätten,
hierauf nochmals zurückzukommen.] Den vorgreifenden Charakter des
„Beweises“, zufolge dessen er hier noch nicht am Platze, noch depla-
cirt erscheint, erblicke ich aber wesentlich nicht darin, dass diese
Schlussform in ihm zur Anwendung kommt, sondern vielmehr in dem
erwähnten „Argumentiren auf Individuen“.

Dual entsprechend könnte der andre Satz:
26+) (a + b) (a + c) ⋹ a + b c,
— in Worten: „Was a oder b und zugleich a oder c ist, ist entweder a
oder: b und c“ auch dilemmatisch so „bewiesen“ werden: Dasselbe ist
entweder a oder nicht. Ist es nicht a, so muss es nach dem ersten Teil
der Voraussetzung b und nach dem zweiten c sein; also ist es entweder a
oder „b und c“.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0317" n="297"/><fw place="top" type="header">§ 12. Prinzip zur Vertretung des unbeweisbaren Satzes.</fw><lb/>
lichen Definition im Klassenkalkul teihaftig geworden, auf welche<lb/>
solche Argumentationen in strenger Beweisführung erst zu basiren<lb/>
wären. Um aber solche Definition und Beweisführung zu verwirk-<lb/>
lichen (vergl. § 47) werden wir längst schon des vollen Distribu-<lb/>
tionsgesetzes zum Aufbau unsrer Disziplin bedurft haben und vielfach<lb/>
in der Lage gewesen sein, desselben nicht entraten zu können.</p><lb/>
          <p>Aus diesen Gründen verharren wir bei dem gewählten Prin-<lb/>
zipe III<hi rendition="#sub">×</hi>.</p><lb/>
          <p>Unverkennbar geht die Arithmetik einen umgekehrten Weg: sie fängt<lb/>
bei Aufstellung ihrer Zahlbegriffe und ersten Sätze eben mit &#x201E;Argumen-<lb/>
tationen auf die Individuen&#x201C; als den plausibelsten Überlegungen des Men-<lb/>
schengeistes an. In didaktischer Hinsicht dürfte solches Verfahren auch<lb/>
die grössten Vorzüge besitzen, und tadeln wir sie keineswegs darob. Wir<lb/>
verlangen jedoch, dass entweder das Eine oder aber das Andre <hi rendition="#i">konsequent</hi><lb/>
durchgeführt werde! <hi rendition="#i">Hier</hi> nun haben wir nicht den Begriff des Indivi-<lb/>
duums sondern den der Einordnung zwischen Gebieten, Subsumtion, an die<lb/>
Spitze gestellt; wir haben bereits den entgegengesetzten Weg eingeschlagen<lb/>
und müssen ihn nun auch zu Ende gehen; wir dürfen darum jenen Begriff<lb/>
auch noch nicht voraussetzen (es sei denn ganz nebenher bei den Illustra-<lb/>
tionen durch Beispiele oder den Nutzanwendungen des Kalkuls), sondern<lb/>
werden erst verhältnissmässig spät im stande sein, eine Definition des In-<lb/>
dividuums, Punktes aufzustellen.</p><lb/>
          <p>Wir begnügen uns, einstweilen mit <hi rendition="#g">Peirce</hi> zu sagen, der obige<lb/>
&#x201E;Beweis&#x201C; sei nicht syllogistisch, sondern &#x201E;<hi rendition="#i">dilemmatisch</hi>&#x201C; und verweisen<lb/>
in Bezug auf die als ein &#x201E;Dilemma&#x201C; hinzustellende Art des Schliessens<lb/>
auf § 45 des mehrerwähnten Aussagenkalkuls, sowie schon auf das<lb/>
Schema der Aufgabe <hi rendition="#i">&#x03B9;</hi><hi rendition="#sub">1</hi>) des § 18. [Der vorgerücktere Leser wird<lb/>
leicht diese Schlussform als eine hier wirklich mit zur Anwendung<lb/>
gekommene erkennen, indem er sich das <hi rendition="#i">s</hi> des Schema's als <hi rendition="#i">a</hi> (<hi rendition="#i">b</hi> + <hi rendition="#i">c</hi>),<lb/>
das <hi rendition="#i">p</hi> desselben als <hi rendition="#i">a b</hi> + <hi rendition="#i">a c</hi> deutet &#x2014; ohne dass wir nötig hätten,<lb/>
hierauf nochmals zurückzukommen.] Den <hi rendition="#i">vor</hi>greifenden Charakter des<lb/>
&#x201E;Beweises&#x201C;, zufolge dessen er hier noch nicht am Platze, noch depla-<lb/>
cirt erscheint, erblicke ich aber wesentlich nicht darin, dass diese<lb/>
Schlussform in ihm zur Anwendung kommt, sondern vielmehr in dem<lb/>
erwähnten &#x201E;Argumentiren auf Individuen&#x201C;.</p><lb/>
          <p>Dual entsprechend könnte der andre Satz:<lb/>
26<hi rendition="#sub">+</hi>) <hi rendition="#et">(<hi rendition="#i">a</hi> + <hi rendition="#i">b</hi>) (<hi rendition="#i">a</hi> + <hi rendition="#i">c</hi>) &#x22F9; <hi rendition="#i">a</hi> + <hi rendition="#i">b c</hi>,</hi><lb/>
&#x2014; in Worten: &#x201E;Was <hi rendition="#i">a</hi> oder <hi rendition="#i">b</hi> und zugleich <hi rendition="#i">a</hi> oder <hi rendition="#i">c</hi> ist, ist entweder <hi rendition="#i">a</hi><lb/>
oder: <hi rendition="#i">b</hi> und <hi rendition="#i">c</hi>&#x201C; auch dilemmatisch so &#x201E;bewiesen&#x201C; werden: Dasselbe ist<lb/>
entweder <hi rendition="#i">a</hi> oder nicht. Ist es nicht <hi rendition="#i">a</hi>, so muss es nach dem ersten Teil<lb/>
der Voraussetzung <hi rendition="#i">b</hi> und nach dem zweiten <hi rendition="#i">c</hi> sein; also ist es entweder <hi rendition="#i">a</hi><lb/>
oder &#x201E;<hi rendition="#i">b</hi> und <hi rendition="#i">c</hi>&#x201C;.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[297/0317] § 12. Prinzip zur Vertretung des unbeweisbaren Satzes. lichen Definition im Klassenkalkul teihaftig geworden, auf welche solche Argumentationen in strenger Beweisführung erst zu basiren wären. Um aber solche Definition und Beweisführung zu verwirk- lichen (vergl. § 47) werden wir längst schon des vollen Distribu- tionsgesetzes zum Aufbau unsrer Disziplin bedurft haben und vielfach in der Lage gewesen sein, desselben nicht entraten zu können. Aus diesen Gründen verharren wir bei dem gewählten Prin- zipe III×. Unverkennbar geht die Arithmetik einen umgekehrten Weg: sie fängt bei Aufstellung ihrer Zahlbegriffe und ersten Sätze eben mit „Argumen- tationen auf die Individuen“ als den plausibelsten Überlegungen des Men- schengeistes an. In didaktischer Hinsicht dürfte solches Verfahren auch die grössten Vorzüge besitzen, und tadeln wir sie keineswegs darob. Wir verlangen jedoch, dass entweder das Eine oder aber das Andre konsequent durchgeführt werde! Hier nun haben wir nicht den Begriff des Indivi- duums sondern den der Einordnung zwischen Gebieten, Subsumtion, an die Spitze gestellt; wir haben bereits den entgegengesetzten Weg eingeschlagen und müssen ihn nun auch zu Ende gehen; wir dürfen darum jenen Begriff auch noch nicht voraussetzen (es sei denn ganz nebenher bei den Illustra- tionen durch Beispiele oder den Nutzanwendungen des Kalkuls), sondern werden erst verhältnissmässig spät im stande sein, eine Definition des In- dividuums, Punktes aufzustellen. Wir begnügen uns, einstweilen mit Peirce zu sagen, der obige „Beweis“ sei nicht syllogistisch, sondern „dilemmatisch“ und verweisen in Bezug auf die als ein „Dilemma“ hinzustellende Art des Schliessens auf § 45 des mehrerwähnten Aussagenkalkuls, sowie schon auf das Schema der Aufgabe ι1) des § 18. [Der vorgerücktere Leser wird leicht diese Schlussform als eine hier wirklich mit zur Anwendung gekommene erkennen, indem er sich das s des Schema's als a (b + c), das p desselben als a b + a c deutet — ohne dass wir nötig hätten, hierauf nochmals zurückzukommen.] Den vorgreifenden Charakter des „Beweises“, zufolge dessen er hier noch nicht am Platze, noch depla- cirt erscheint, erblicke ich aber wesentlich nicht darin, dass diese Schlussform in ihm zur Anwendung kommt, sondern vielmehr in dem erwähnten „Argumentiren auf Individuen“. Dual entsprechend könnte der andre Satz: 26+) (a + b) (a + c) ⋹ a + b c, — in Worten: „Was a oder b und zugleich a oder c ist, ist entweder a oder: b und c“ auch dilemmatisch so „bewiesen“ werden: Dasselbe ist entweder a oder nicht. Ist es nicht a, so muss es nach dem ersten Teil der Voraussetzung b und nach dem zweiten c sein; also ist es entweder a oder „b und c“.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/317
Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/317>, abgerufen am 09.05.2024.