Thatsachen zu prüfen, welche er nicht direkt beobachtet hat (und zwar nicht zu dem allgemeinen Zweck der Vermehrung seines Wissens, son- dern weil die Thatsachen selbst für seine Interessen und Obliegen- heiten von Belang sind). Alle haben gewisse Thatsachen zu bestimmen, sie aus gegebenen Wahrnehmungen oder Data zu schliessen, und dar- aufhin gewisse Regeln (vorschriftsmässig oder nach freiem Ermessen) anzuwenden, und je nachdem sie dies gut oder übel thun, erfüllen sie gut oder schlecht die Pflichten ihres Berufs. Die logik zeige nun aber, welche Beziehungen stattfinden müssen zwischen den Daten und dem was aus ihnen geschlossen oder durch sie bewiesen wer- den kann. Darnach müsse sich in der Wissenschaft sowol, wie bei Führung seiner Geschäfte, ein jeder richten, bei Strafe, falsche Fol- gerungen zu ziehen, welche nicht in der Realität der Dinge be- gründet sind.
"Wenn es Regeln gibt, nach welchen sich jeder Verstand in einem jedem Falle, in welchem er richtig geschlossen hat, wissentlich oder unwissentlich richtet, so scheint es kaum nötig, zu erörtern, ob es wahrscheinlicher ist, dass Einer diese Regeln beobachten wird, wenn er sie kennt, als wenn er sie nicht kennt."
Eine Wissenschaft könne ohne Zweifel auf eine gewisse Höhe gebracht werden ohne die Anwendung einer andern Logik als der- jenigen, welche alle Menschen, die einen gesunden Verstand besitzen, im Verlauf ihrer Studien empirisch erlangen. Es gebe aber eine ge- wisse Grenze sowol in Bezug auf das, was die Mechaniker ohne die Grundsätze der Mechanik, als auf das, was die Denker ohne die Grund- sätze der Logik zu leisten vermögen. Wenn mehrere der schwieri- geren Wissenschaften noch in einem so mangelhaften Zustand sind, dass in ihnen nicht allein so wenig bewiesen wird, sondern auch der Streit über das wenige "Bewiesene" nicht enden zu wollen scheint, so liege der Grund vielleicht darin, dass die logischen Begriffe der Men- schen noch nicht jenen Grad von Ausbildung ("Ausdehnung") und Ge- nauigkeit erlangt haben, welcher für die Beurteilung der einschlägigen Beweise erforderlich ist ...
So sehr wir diesen hier im Auszuge wiedergegebenen Ausführungen zustimmen, so möchten wir doch eine andere Rücksichtnahme in den Vordergrund stellen. Wir wünschen die logische Forschung überhaupt nicht vom utilitarischen, geschweige denn von einem kurzsichtig oder engherzig -- um nicht zu sagen "bornirt" -- utilitarischen Standpunkte aus beurteilt zu sehen. So verdiente aber ein Standpunkt genannt zu werden, der das Streben nach Zutageförderung und Erkenntniss der
Einleitung.
Thatsachen zu prüfen, welche er nicht direkt beobachtet hat (und zwar nicht zu dem allgemeinen Zweck der Vermehrung seines Wissens, son- dern weil die Thatsachen selbst für seine Interessen und Obliegen- heiten von Belang sind). Alle haben gewisse Thatsachen zu bestimmen, sie aus gegebenen Wahrnehmungen oder Data zu schliessen, und dar- aufhin gewisse Regeln (vorschriftsmässig oder nach freiem Ermessen) anzuwenden, und je nachdem sie dies gut oder übel thun, erfüllen sie gut oder schlecht die Pflichten ihres Berufs. Die logik zeige nun aber, welche Beziehungen stattfinden müssen zwischen den Daten und dem was aus ihnen geschlossen oder durch sie bewiesen wer- den kann. Darnach müsse sich in der Wissenschaft sowol, wie bei Führung seiner Geschäfte, ein jeder richten, bei Strafe, falsche Fol- gerungen zu ziehen, welche nicht in der Realität der Dinge be- gründet sind.
„Wenn es Regeln gibt, nach welchen sich jeder Verstand in einem jedem Falle, in welchem er richtig geschlossen hat, wissentlich oder unwissentlich richtet, so scheint es kaum nötig, zu erörtern, ob es wahrscheinlicher ist, dass Einer diese Regeln beobachten wird, wenn er sie kennt, als wenn er sie nicht kennt.“
Eine Wissenschaft könne ohne Zweifel auf eine gewisse Höhe gebracht werden ohne die Anwendung einer andern Logik als der- jenigen, welche alle Menschen, die einen gesunden Verstand besitzen, im Verlauf ihrer Studien empirisch erlangen. Es gebe aber eine ge- wisse Grenze sowol in Bezug auf das, was die Mechaniker ohne die Grundsätze der Mechanik, als auf das, was die Denker ohne die Grund- sätze der Logik zu leisten vermögen. Wenn mehrere der schwieri- geren Wissenschaften noch in einem so mangelhaften Zustand sind, dass in ihnen nicht allein so wenig bewiesen wird, sondern auch der Streit über das wenige „Bewiesene“ nicht enden zu wollen scheint, so liege der Grund vielleicht darin, dass die logischen Begriffe der Men- schen noch nicht jenen Grad von Ausbildung („Ausdehnung“) und Ge- nauigkeit erlangt haben, welcher für die Beurteilung der einschlägigen Beweise erforderlich ist …
So sehr wir diesen hier im Auszuge wiedergegebenen Ausführungen zustimmen, so möchten wir doch eine andere Rücksichtnahme in den Vordergrund stellen. Wir wünschen die logische Forschung überhaupt nicht vom utilitarischen, geschweige denn von einem kurzsichtig oder engherzig — um nicht zu sagen „bornirt“ — utilitarischen Standpunkte aus beurteilt zu sehen. So verdiente aber ein Standpunkt genannt zu werden, der das Streben nach Zutageförderung und Erkenntniss der
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Einleitung.
Thatsachen zu prüfen, welche er nicht direkt beobachtet hat (und zwar
nicht zu dem allgemeinen Zweck der Vermehrung seines Wissens, son-
dern weil die Thatsachen selbst für seine Interessen und Obliegen-
heiten von Belang sind). Alle haben gewisse Thatsachen zu bestimmen,
sie aus gegebenen Wahrnehmungen oder Data zu schliessen, und dar-
aufhin gewisse Regeln (vorschriftsmässig oder nach freiem Ermessen)
anzuwenden, und je nachdem sie dies gut oder übel thun, erfüllen sie
gut oder schlecht die Pflichten ihres Berufs. Die logik zeige nun
aber, welche Beziehungen stattfinden müssen zwischen den Daten
und dem was aus ihnen geschlossen oder durch sie bewiesen wer-
den kann. Darnach müsse sich in der Wissenschaft sowol, wie bei
Führung seiner Geschäfte, ein jeder richten, bei Strafe, falsche Fol-
gerungen zu ziehen, welche nicht in der Realität der Dinge be-
gründet sind.
„Wenn es Regeln gibt, nach welchen sich jeder Verstand in einem
jedem Falle, in welchem er richtig geschlossen hat, wissentlich oder
unwissentlich richtet, so scheint es kaum nötig, zu erörtern, ob es
wahrscheinlicher ist, dass Einer diese Regeln beobachten wird, wenn
er sie kennt, als wenn er sie nicht kennt.“
Eine Wissenschaft könne ohne Zweifel auf eine gewisse Höhe
gebracht werden ohne die Anwendung einer andern Logik als der-
jenigen, welche alle Menschen, die einen gesunden Verstand besitzen,
im Verlauf ihrer Studien empirisch erlangen. Es gebe aber eine ge-
wisse Grenze sowol in Bezug auf das, was die Mechaniker ohne die
Grundsätze der Mechanik, als auf das, was die Denker ohne die Grund-
sätze der Logik zu leisten vermögen. Wenn mehrere der schwieri-
geren Wissenschaften noch in einem so mangelhaften Zustand sind,
dass in ihnen nicht allein so wenig bewiesen wird, sondern auch der
Streit über das wenige „Bewiesene“ nicht enden zu wollen scheint, so
liege der Grund vielleicht darin, dass die logischen Begriffe der Men-
schen noch nicht jenen Grad von Ausbildung („Ausdehnung“) und Ge-
nauigkeit erlangt haben, welcher für die Beurteilung der einschlägigen
Beweise erforderlich ist …
So sehr wir diesen hier im Auszuge wiedergegebenen Ausführungen
zustimmen, so möchten wir doch eine andere Rücksichtnahme in den
Vordergrund stellen. Wir wünschen die logische Forschung überhaupt
nicht vom utilitarischen, geschweige denn von einem kurzsichtig oder
engherzig — um nicht zu sagen „bornirt“ — utilitarischen Standpunkte
aus beurteilt zu sehen. So verdiente aber ein Standpunkt genannt zu
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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/143>, abgerufen am 25.11.2024.
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