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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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Einleitung.
vor sich geht beim Zählen (der Einheiten einer Menge). -- Wenn ich
z. B. die Herrn, die hier auf einer Bank vor mir sitzen, zähle, so
bilde ich einen jeden derselben einfach mit einem Striche (1) ab. Da-
mit das entstandene Bild -- sagen wir 11111 -- nicht als eilftausend-
einhunderteilf gelesen werde, verbinde ich die Striche (Einer) mit dem
Zeichen plus. Ich erhalte so ein Schema:
1 + 1 + 1 + 1 + 1
und ist es für die Zwecke unsrer Betrachtung nebensächlich, dass für
dasselbe auch ein einfacheres Zeichen: 5, nebst zugehörigem Namen
eingeführt ist.

Im Grunde ist es also eine äusserst rohe Art von Abbildung, die
wir beim Zählen vornehmen (die Abbildung der Einheiten oder Indi-
viduen der Menge blos nach ihrer "Häufigkeit" oder "Anzahl") --
eine Abbildung, die hinsichtlich ihres Gehaltes bei weitem nicht heran-
reicht an diejenige, welche der Stift des Zeichners, die Kamera des
Photographen, der Pinsel des Malers hervorzubringen vermöchte, von
dem Meissel des Bildhauers zu geschweigen, durch welche ja nicht
blos die Anzahl, sondern vielleicht die ganze äussere Erscheinung, ja
allerhand charakteristische Eigentümlichkeiten der Haltung und der
geistige Ausdruck der Gesichtszüge der abgebildeten Persönlichkeiten
zur Darstellung kämen. Noch weniger kümmern wir uns bei unserm
Abbildungsverfahren um diejenigen Verhältnisse, die den Menschen am
meisten vom Menschen zu interessiren pflegen. Von den Anlagen,
Kenntnissen und Fertigkeiten, von dem ganzen Charakter der abge-
bildeten Personen -- nicht zu reden von ihren Vermögensverhält-
nissen (!), die ja von andrer Seite auch wiederum der Darstellung
durch Zahlen zugänglich wären -- wird einfach abstrahirt. Von der
Abstammung und sozialen Stellung, von der Vorgeschichte eines Jeden,
seinen Aussichten für die Zukunft ... von allem, was das Wesen seiner
Persönlichkeit ausmacht, wird abgesehen; es wird, sofern es auch be-
kannt sein sollte, beim Zählen gelöscht, ignorirt.

Welcher gemüt- und phantasievolle Denker möchte sich angesichts
dessen nicht versucht fühlen etwa zu sagen: "Natürlich haben auch
die Zahlenverhältnisse ihren Wert; aber wo man diesen bedürfen wird,
ist er nicht so schwierig zu ermitteln, um sich seiner nicht nebenher
augenblicklich zu bemächtigen; einen Hauptgesichtspunkt für die Be-
trachtung der Dinge aus ihren Zahlenverhältnissen zu machen halte ich
für ebenso unfruchtbar
(irrig) als langweilig"*)!

*) Vergleiche einen analogen Ausspruch Lotze's in Bezug auf die begriff-

Einleitung.
vor sich geht beim Zählen (der Einheiten einer Menge). — Wenn ich
z. B. die Herrn, die hier auf einer Bank vor mir sitzen, zähle, so
bilde ich einen jeden derselben einfach mit einem Striche (1) ab. Da-
mit das entstandene Bild — sagen wir 11111 — nicht als eilftausend-
einhunderteilf gelesen werde, verbinde ich die Striche (Einer) mit dem
Zeichen plus. Ich erhalte so ein Schema:
1 + 1 + 1 + 1 + 1
und ist es für die Zwecke unsrer Betrachtung nebensächlich, dass für
dasselbe auch ein einfacheres Zeichen: 5, nebst zugehörigem Namen
eingeführt ist.

Im Grunde ist es also eine äusserst rohe Art von Abbildung, die
wir beim Zählen vornehmen (die Abbildung der Einheiten oder Indi-
viduen der Menge blos nach ihrer „Häufigkeit“ oder „Anzahl“) —
eine Abbildung, die hinsichtlich ihres Gehaltes bei weitem nicht heran-
reicht an diejenige, welche der Stift des Zeichners, die Kamera des
Photographen, der Pinsel des Malers hervorzubringen vermöchte, von
dem Meissel des Bildhauers zu geschweigen, durch welche ja nicht
blos die Anzahl, sondern vielleicht die ganze äussere Erscheinung, ja
allerhand charakteristische Eigentümlichkeiten der Haltung und der
geistige Ausdruck der Gesichtszüge der abgebildeten Persönlichkeiten
zur Darstellung kämen. Noch weniger kümmern wir uns bei unserm
Abbildungsverfahren um diejenigen Verhältnisse, die den Menschen am
meisten vom Menschen zu interessiren pflegen. Von den Anlagen,
Kenntnissen und Fertigkeiten, von dem ganzen Charakter der abge-
bildeten Personen — nicht zu reden von ihren Vermögensverhält-
nissen (!), die ja von andrer Seite auch wiederum der Darstellung
durch Zahlen zugänglich wären — wird einfach abstrahirt. Von der
Abstammung und sozialen Stellung, von der Vorgeschichte eines Jeden,
seinen Aussichten für die Zukunft … von allem, was das Wesen seiner
Persönlichkeit ausmacht, wird abgesehen; es wird, sofern es auch be-
kannt sein sollte, beim Zählen gelöscht, ignorirt.

Welcher gemüt- und phantasievolle Denker möchte sich angesichts
dessen nicht versucht fühlen etwa zu sagen: „Natürlich haben auch
die Zahlenverhältnisse ihren Wert; aber wo man diesen bedürfen wird,
ist er nicht so schwierig zu ermitteln, um sich seiner nicht nebenher
augenblicklich zu bemächtigen; einen Hauptgesichtspunkt für die Be-
trachtung der Dinge aus ihren Zahlenverhältnissen zu machen halte ich
für ebenso unfruchtbar
(irrig) als langweilig*)!

*) Vergleiche einen analogen Ausspruch Lotze's in Bezug auf die begriff-
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[102/0122] Einleitung. vor sich geht beim Zählen (der Einheiten einer Menge). — Wenn ich z. B. die Herrn, die hier auf einer Bank vor mir sitzen, zähle, so bilde ich einen jeden derselben einfach mit einem Striche (1) ab. Da- mit das entstandene Bild — sagen wir 11111 — nicht als eilftausend- einhunderteilf gelesen werde, verbinde ich die Striche (Einer) mit dem Zeichen plus. Ich erhalte so ein Schema: 1 + 1 + 1 + 1 + 1 und ist es für die Zwecke unsrer Betrachtung nebensächlich, dass für dasselbe auch ein einfacheres Zeichen: 5, nebst zugehörigem Namen eingeführt ist. Im Grunde ist es also eine äusserst rohe Art von Abbildung, die wir beim Zählen vornehmen (die Abbildung der Einheiten oder Indi- viduen der Menge blos nach ihrer „Häufigkeit“ oder „Anzahl“) — eine Abbildung, die hinsichtlich ihres Gehaltes bei weitem nicht heran- reicht an diejenige, welche der Stift des Zeichners, die Kamera des Photographen, der Pinsel des Malers hervorzubringen vermöchte, von dem Meissel des Bildhauers zu geschweigen, durch welche ja nicht blos die Anzahl, sondern vielleicht die ganze äussere Erscheinung, ja allerhand charakteristische Eigentümlichkeiten der Haltung und der geistige Ausdruck der Gesichtszüge der abgebildeten Persönlichkeiten zur Darstellung kämen. Noch weniger kümmern wir uns bei unserm Abbildungsverfahren um diejenigen Verhältnisse, die den Menschen am meisten vom Menschen zu interessiren pflegen. Von den Anlagen, Kenntnissen und Fertigkeiten, von dem ganzen Charakter der abge- bildeten Personen — nicht zu reden von ihren Vermögensverhält- nissen (!), die ja von andrer Seite auch wiederum der Darstellung durch Zahlen zugänglich wären — wird einfach abstrahirt. Von der Abstammung und sozialen Stellung, von der Vorgeschichte eines Jeden, seinen Aussichten für die Zukunft … von allem, was das Wesen seiner Persönlichkeit ausmacht, wird abgesehen; es wird, sofern es auch be- kannt sein sollte, beim Zählen gelöscht, ignorirt. Welcher gemüt- und phantasievolle Denker möchte sich angesichts dessen nicht versucht fühlen etwa zu sagen: „Natürlich haben auch die Zahlenverhältnisse ihren Wert; aber wo man diesen bedürfen wird, ist er nicht so schwierig zu ermitteln, um sich seiner nicht nebenher augenblicklich zu bemächtigen; einen Hauptgesichtspunkt für die Be- trachtung der Dinge aus ihren Zahlenverhältnissen zu machen halte ich für ebenso unfruchtbar (irrig) als langweilig“ *)! *) Vergleiche einen analogen Ausspruch Lotze's in Bezug auf die begriff-

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/122>, abgerufen am 27.11.2024.