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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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Einleitung.

Es sollte jedenfalls mit unsrer Erörterung nicht behauptet sein,
dass die Bildung des Worts dem Begriffe notwendig oder thatsächlich
vorangehe.

Wenigstens die Aneignung des Wortes vonseiten des jugendlichen
Menschen bei der Erlernung seiner Muttersprache mag in der That nicht
selten derjenigen des zugeordneten Begriffes voraufgehen. Auch vermöchte
die Wissenschaft wol Beispiele aufzuweisen, wo die Kombination von
Worten -- z. B. in der Form als "Nicht-a", nachdem ein Begriff von a
bereits vorgelegen -- den ersten Anstoss zur Bildung eines Begriffes gab.

Jedoch lassen auch Belege sich erbringen für Fälle, wo die umgekehrte
Succession erkennbar ist. Auf p. 177 seiner Schrift1 erinnert J. Keller
an das von Steinthal erwähnte Kind, das jedesmal, wenn es einen Fremden
mit Papa anredete, den Kopf dazu schüttelte. "Es befand sich auf dem
Stadium seiner Begriffsentwickelung, wo der allgemeine Begriff Mann, den
es mit dem Worte Papa verband, sich zu spalten anfing in Mann im all-
gemeinen
und in den Begriff, den Kinder späterhin mit Papa verbinden."
Wie in diesem Falle, so dürfte auch bei dem Zuwachs an Begriffen, den
die Wissenschaften liefern, die geistige Erfassung des Begriffes der wort-
bildenden Namengebung zumeist vorangehen.

Die ganze Frage mögen wir indess der Psychologie, Sprachwissenschaft
und Pädagogik überlassen.

Worauf wir hier sicher fussen zu dürfen glaubten, ist nur: dass
die Begriffsbildung mit der Namengebung, der Schöpfung und Fort-
entwickelung der Sprache, notwendig handinhand geht.

g3) Schwerlich dürfte unsre Darlegung beanstandet, sie möchte
wol als zutreffend zugestanden werden in Bezug auf die sogenannten
"empirischen" Begriffe.

Begriffe, die ihren Ursprung der Wahrnehmung, Erfahrung ver-
danken, entstehn zweifellos auf die angegebene Weise. Und zwar
braucht die Wahrnehmung nicht gerade eine sog. "äussere" zu sein,
die auf dem Sinneseindruck beruht.*) Auch durch "innere" Wahr-
nehmung und Erfahrung gewinnen wir Begriffe in ganz analoger
Weise. So mögen wir bei der Farbe und dem Ton auf das gemein-
same Merkmal des "Sinneseindrucks" reflektiren**), wir mögen von
den Phantasiegebilden, Absichten, Stimmungen und Gedanken das
Merkmal der "Unsinnlichkeit" abstrahiren.

*) Vergl. g) Fussnote. Auch diese "äussere" Wahrnehmung läuft übrigens
wesentlich auf eine "innere" hinaus, indem es nicht das Auge ist, das sieht,
sondern der Geist, das Ich, in dessen Bewusstsein die Sinnesbotschaft auf-
genommen wird.
**) Mit Absicht führe ich dies Beispiel an, um auf die Unhaltbarkeit und
Willkür hinzuweisen, welche in der üblichen Erklärung "disparater" Begriffe liegt.
Schröder, Algebra der Logik. 7
Einleitung.

Es sollte jedenfalls mit unsrer Erörterung nicht behauptet sein,
dass die Bildung des Worts dem Begriffe notwendig oder thatsächlich
vorangehe.

Wenigstens die Aneignung des Wortes vonseiten des jugendlichen
Menschen bei der Erlernung seiner Muttersprache mag in der That nicht
selten derjenigen des zugeordneten Begriffes voraufgehen. Auch vermöchte
die Wissenschaft wol Beispiele aufzuweisen, wo die Kombination von
Worten — z. B. in der Form als „Nicht-a“, nachdem ein Begriff von a
bereits vorgelegen — den ersten Anstoss zur Bildung eines Begriffes gab.

Jedoch lassen auch Belege sich erbringen für Fälle, wo die umgekehrte
Succession erkennbar ist. Auf p. 177 seiner Schrift1 erinnert J. Keller
an das von Steinthal erwähnte Kind, das jedesmal, wenn es einen Fremden
mit Papa anredete, den Kopf dazu schüttelte. „Es befand sich auf dem
Stadium seiner Begriffsentwickelung, wo der allgemeine Begriff Mann, den
es mit dem Worte Papa verband, sich zu spalten anfing in Mann im all-
gemeinen
und in den Begriff, den Kinder späterhin mit Papa verbinden.“
Wie in diesem Falle, so dürfte auch bei dem Zuwachs an Begriffen, den
die Wissenschaften liefern, die geistige Erfassung des Begriffes der wort-
bildenden Namengebung zumeist vorangehen.

Die ganze Frage mögen wir indess der Psychologie, Sprachwissenschaft
und Pädagogik überlassen.

Worauf wir hier sicher fussen zu dürfen glaubten, ist nur: dass
die Begriffsbildung mit der Namengebung, der Schöpfung und Fort-
entwickelung der Sprache, notwendig handinhand geht.

γ3) Schwerlich dürfte unsre Darlegung beanstandet, sie möchte
wol als zutreffend zugestanden werden in Bezug auf die sogenannten
„empirischen“ Begriffe.

Begriffe, die ihren Ursprung der Wahrnehmung, Erfahrung ver-
danken, entstehn zweifellos auf die angegebene Weise. Und zwar
braucht die Wahrnehmung nicht gerade eine sog. „äussere“ zu sein,
die auf dem Sinneseindruck beruht.*) Auch durch „innere“ Wahr-
nehmung und Erfahrung gewinnen wir Begriffe in ganz analoger
Weise. So mögen wir bei der Farbe und dem Ton auf das gemein-
same Merkmal des „Sinneseindrucks“ reflektiren**), wir mögen von
den Phantasiegebilden, Absichten, Stimmungen und Gedanken das
Merkmal der „Unsinnlichkeit“ abstrahiren.

*) Vergl. γ) Fussnote. Auch diese „äussere“ Wahrnehmung läuft übrigens
wesentlich auf eine „innere“ hinaus, indem es nicht das Auge ist, das sieht,
sondern der Geist, das Ich, in dessen Bewusstsein die Sinnesbotschaft auf-
genommen wird.
**) Mit Absicht führe ich dies Beispiel an, um auf die Unhaltbarkeit und
Willkür hinzuweisen, welche in der üblichen Erklärung „disparater“ Begriffe liegt.
Schröder, Algebra der Logik. 7
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[97/0117] Einleitung. Es sollte jedenfalls mit unsrer Erörterung nicht behauptet sein, dass die Bildung des Worts dem Begriffe notwendig oder thatsächlich vorangehe. Wenigstens die Aneignung des Wortes vonseiten des jugendlichen Menschen bei der Erlernung seiner Muttersprache mag in der That nicht selten derjenigen des zugeordneten Begriffes voraufgehen. Auch vermöchte die Wissenschaft wol Beispiele aufzuweisen, wo die Kombination von Worten — z. B. in der Form als „Nicht-a“, nachdem ein Begriff von a bereits vorgelegen — den ersten Anstoss zur Bildung eines Begriffes gab. Jedoch lassen auch Belege sich erbringen für Fälle, wo die umgekehrte Succession erkennbar ist. Auf p. 177 seiner Schrift1 erinnert J. Keller an das von Steinthal erwähnte Kind, das jedesmal, wenn es einen Fremden mit Papa anredete, den Kopf dazu schüttelte. „Es befand sich auf dem Stadium seiner Begriffsentwickelung, wo der allgemeine Begriff Mann, den es mit dem Worte Papa verband, sich zu spalten anfing in Mann im all- gemeinen und in den Begriff, den Kinder späterhin mit Papa verbinden.“ Wie in diesem Falle, so dürfte auch bei dem Zuwachs an Begriffen, den die Wissenschaften liefern, die geistige Erfassung des Begriffes der wort- bildenden Namengebung zumeist vorangehen. Die ganze Frage mögen wir indess der Psychologie, Sprachwissenschaft und Pädagogik überlassen. Worauf wir hier sicher fussen zu dürfen glaubten, ist nur: dass die Begriffsbildung mit der Namengebung, der Schöpfung und Fort- entwickelung der Sprache, notwendig handinhand geht. γ3) Schwerlich dürfte unsre Darlegung beanstandet, sie möchte wol als zutreffend zugestanden werden in Bezug auf die sogenannten „empirischen“ Begriffe. Begriffe, die ihren Ursprung der Wahrnehmung, Erfahrung ver- danken, entstehn zweifellos auf die angegebene Weise. Und zwar braucht die Wahrnehmung nicht gerade eine sog. „äussere“ zu sein, die auf dem Sinneseindruck beruht. *) Auch durch „innere“ Wahr- nehmung und Erfahrung gewinnen wir Begriffe in ganz analoger Weise. So mögen wir bei der Farbe und dem Ton auf das gemein- same Merkmal des „Sinneseindrucks“ reflektiren **), wir mögen von den Phantasiegebilden, Absichten, Stimmungen und Gedanken das Merkmal der „Unsinnlichkeit“ abstrahiren. *) Vergl. γ) Fussnote. Auch diese „äussere“ Wahrnehmung läuft übrigens wesentlich auf eine „innere“ hinaus, indem es nicht das Auge ist, das sieht, sondern der Geist, das Ich, in dessen Bewusstsein die Sinnesbotschaft auf- genommen wird. **) Mit Absicht führe ich dies Beispiel an, um auf die Unhaltbarkeit und Willkür hinzuweisen, welche in der üblichen Erklärung „disparater“ Begriffe liegt. Schröder, Algebra der Logik. 7

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/117>, abgerufen am 27.11.2024.