Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Nätherei; die merkt nicht auf uns. -- Ich bin gleich wieder da, Herr!

Ich warf mich geschwind in einen Ueberrock. Die. Thurmuhren schlugen fünf. Lächelnd trat ich vor meine Spieluhr und zog sie auf. Wenn wir die Zeit vergessen, sagte ich, sind wir am glücklichsten. Sollten wir sie aber vergessen? -- Die Rose fiel mir in die Augen, die neben der Uhr in einem Glase Wasser stand; sie war über Nacht frisch aufgeblüht. Unwillkürlich neigte ich mich zu ihr herab. Es ist der Hauch ihres Mundes, sagte ich, und meine Lippen berührten leise die zarten Blätter, -- aber es ist nicht ihre Seele, was mir darin begegnet!

Paul kam voll Freude mit dem fertigen Anzuge. Soll ich ihn ihr bringen? fragte er hastig. -- Ja, Paul! Aber nimm dort das feinste Paar Schuhe dazu; sie werden ihr passen, denk' ich. Sag ihr, ich ließe sie bitten, dies zu meinem Andenken zu tragen und, wenn es ihr nicht unbequem wäre, die Schuhe sogleich anzuziehen. Das soll sie wohl, Herr! erwiderte Paul und eilte davon.

Nach einer kleinen Weile erschien Paul wieder unter der Thür, die er offen ließ, mir heimlich und vergnügt zuwinkend, daß ich herauskommen und ihm folgen möchte. Er ging vor mir her mit großen Schritten, aber auf den Zehen, und gab mir drollig zu verstehen, es ihm nachzuthun. So kamen wir vor Gretchens Kammerthür, welche gleichfalls offen stand. Sehen Sie einmal, flüsterte

Nätherei; die merkt nicht auf uns. — Ich bin gleich wieder da, Herr!

Ich warf mich geschwind in einen Ueberrock. Die. Thurmuhren schlugen fünf. Lächelnd trat ich vor meine Spieluhr und zog sie auf. Wenn wir die Zeit vergessen, sagte ich, sind wir am glücklichsten. Sollten wir sie aber vergessen? — Die Rose fiel mir in die Augen, die neben der Uhr in einem Glase Wasser stand; sie war über Nacht frisch aufgeblüht. Unwillkürlich neigte ich mich zu ihr herab. Es ist der Hauch ihres Mundes, sagte ich, und meine Lippen berührten leise die zarten Blätter, — aber es ist nicht ihre Seele, was mir darin begegnet!

Paul kam voll Freude mit dem fertigen Anzuge. Soll ich ihn ihr bringen? fragte er hastig. — Ja, Paul! Aber nimm dort das feinste Paar Schuhe dazu; sie werden ihr passen, denk' ich. Sag ihr, ich ließe sie bitten, dies zu meinem Andenken zu tragen und, wenn es ihr nicht unbequem wäre, die Schuhe sogleich anzuziehen. Das soll sie wohl, Herr! erwiderte Paul und eilte davon.

Nach einer kleinen Weile erschien Paul wieder unter der Thür, die er offen ließ, mir heimlich und vergnügt zuwinkend, daß ich herauskommen und ihm folgen möchte. Er ging vor mir her mit großen Schritten, aber auf den Zehen, und gab mir drollig zu verstehen, es ihm nachzuthun. So kamen wir vor Gretchens Kammerthür, welche gleichfalls offen stand. Sehen Sie einmal, flüsterte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="10">
        <p><pb facs="#f0045"/>
Nätherei; die merkt nicht auf uns. &#x2014; Ich bin gleich wieder da, Herr!</p><lb/>
        <p>Ich warf mich geschwind in einen Ueberrock. Die. Thurmuhren schlugen fünf. Lächelnd                trat ich vor meine Spieluhr und zog sie auf. Wenn wir die Zeit vergessen, sagte ich,                sind wir am glücklichsten. Sollten wir sie aber vergessen? &#x2014; Die Rose fiel mir in die                Augen, die neben der Uhr in einem Glase Wasser stand; sie war über Nacht frisch                aufgeblüht. Unwillkürlich neigte ich mich zu ihr herab. Es ist der Hauch ihres                Mundes, sagte ich, und meine Lippen berührten leise die zarten Blätter, &#x2014; aber es ist                nicht ihre Seele, was mir darin begegnet!</p><lb/>
        <p>Paul kam voll Freude mit dem fertigen Anzuge. Soll ich ihn ihr bringen? fragte er                hastig. &#x2014; Ja, Paul! Aber nimm dort das feinste Paar Schuhe dazu; sie werden ihr                passen, denk' ich. Sag ihr, ich ließe sie bitten, dies zu meinem Andenken zu tragen                und, wenn es ihr nicht unbequem wäre, die Schuhe sogleich anzuziehen. Das soll sie                wohl, Herr! erwiderte Paul und eilte davon.</p><lb/>
        <p>Nach einer kleinen Weile erschien Paul wieder unter der Thür, die er offen ließ, mir                heimlich und vergnügt zuwinkend, daß ich herauskommen und ihm folgen möchte. Er ging                vor mir her mit großen Schritten, aber auf den Zehen, und gab mir drollig zu                verstehen, es ihm nachzuthun. So kamen wir vor Gretchens Kammerthür, welche                gleichfalls offen stand. Sehen Sie einmal, flüsterte<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0045] Nätherei; die merkt nicht auf uns. — Ich bin gleich wieder da, Herr! Ich warf mich geschwind in einen Ueberrock. Die. Thurmuhren schlugen fünf. Lächelnd trat ich vor meine Spieluhr und zog sie auf. Wenn wir die Zeit vergessen, sagte ich, sind wir am glücklichsten. Sollten wir sie aber vergessen? — Die Rose fiel mir in die Augen, die neben der Uhr in einem Glase Wasser stand; sie war über Nacht frisch aufgeblüht. Unwillkürlich neigte ich mich zu ihr herab. Es ist der Hauch ihres Mundes, sagte ich, und meine Lippen berührten leise die zarten Blätter, — aber es ist nicht ihre Seele, was mir darin begegnet! Paul kam voll Freude mit dem fertigen Anzuge. Soll ich ihn ihr bringen? fragte er hastig. — Ja, Paul! Aber nimm dort das feinste Paar Schuhe dazu; sie werden ihr passen, denk' ich. Sag ihr, ich ließe sie bitten, dies zu meinem Andenken zu tragen und, wenn es ihr nicht unbequem wäre, die Schuhe sogleich anzuziehen. Das soll sie wohl, Herr! erwiderte Paul und eilte davon. Nach einer kleinen Weile erschien Paul wieder unter der Thür, die er offen ließ, mir heimlich und vergnügt zuwinkend, daß ich herauskommen und ihm folgen möchte. Er ging vor mir her mit großen Schritten, aber auf den Zehen, und gab mir drollig zu verstehen, es ihm nachzuthun. So kamen wir vor Gretchens Kammerthür, welche gleichfalls offen stand. Sehen Sie einmal, flüsterte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T11:30:04Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T11:30:04Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schreyvogel_liebesgeschichte_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schreyvogel_liebesgeschichte_1910/45
Zitationshilfe: Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreyvogel_liebesgeschichte_1910/45>, abgerufen am 23.11.2024.