Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.das gestern kaum gedacht, als ich da unten dem Arktur mein Herz eröffnete. Das Frühstück kam, und Gretchen trippelte herein, mir einen guten Morgen bietend. Sie sah aus wie der Morgen selbst nach einer erfrischenden Sommernacht. Fand ich sie gestern lieblich und anziehend, so erschien sie mir heute in dem vollen Glanze des blühendsten Jugendreizes. -- Es ist doch eine köstliche Gottesgabe um ein Alter von achtzehn Jahren! dacht' ich, oder sagt' es vielmehr laut. So alt find Sie wohl eben, Gretchen? -- Bald neunzehn, erwiderte sie. -- Kommen Sie, Kind! Ich will mir einmal einbilden, ich wäre, was das betrifft. Ihresgleichen. Setzen Sie sich zu mir! Sie müssen die Conversation der Stadtherren doch ertragen lernen; ich will Ihnen eine Probe davon zum Besten geben. Das gute Kind wußte nicht, was sie von meiner Laune denken sollte; aber ich ließ mich nicht irre machen. Ich schwatzte, lachte, tändelte, mit so viel Anstand und natürlicher Lebhaftigkeit, daß Gretchen endlich selbst mit fortgerissen wurde. Lachend und schäkernd begleitete sie mich zu dem Wagen, in welchen ich sie diesmal hob, zum sichtbaren Verdrusse Paul's, der sich diese Galanterie nicht wollte nehmen lassen. Meine Stimmung dauerte die halbe Station über, zu Gretchens nicht geringem Ergötzen. Ein wenig verliebte Geckerei, mit etwas wahrer Empfindung versetzt, unterhält die Weiber immer, die unerfahrensten wie die klügsten; denn sie ist ein Tribut der Ueberlegenheit, welche ihnen die Natur in dem Verhältnisse der Ge- das gestern kaum gedacht, als ich da unten dem Arktur mein Herz eröffnete. Das Frühstück kam, und Gretchen trippelte herein, mir einen guten Morgen bietend. Sie sah aus wie der Morgen selbst nach einer erfrischenden Sommernacht. Fand ich sie gestern lieblich und anziehend, so erschien sie mir heute in dem vollen Glanze des blühendsten Jugendreizes. — Es ist doch eine köstliche Gottesgabe um ein Alter von achtzehn Jahren! dacht' ich, oder sagt' es vielmehr laut. So alt find Sie wohl eben, Gretchen? — Bald neunzehn, erwiderte sie. — Kommen Sie, Kind! Ich will mir einmal einbilden, ich wäre, was das betrifft. Ihresgleichen. Setzen Sie sich zu mir! Sie müssen die Conversation der Stadtherren doch ertragen lernen; ich will Ihnen eine Probe davon zum Besten geben. Das gute Kind wußte nicht, was sie von meiner Laune denken sollte; aber ich ließ mich nicht irre machen. Ich schwatzte, lachte, tändelte, mit so viel Anstand und natürlicher Lebhaftigkeit, daß Gretchen endlich selbst mit fortgerissen wurde. Lachend und schäkernd begleitete sie mich zu dem Wagen, in welchen ich sie diesmal hob, zum sichtbaren Verdrusse Paul's, der sich diese Galanterie nicht wollte nehmen lassen. Meine Stimmung dauerte die halbe Station über, zu Gretchens nicht geringem Ergötzen. Ein wenig verliebte Geckerei, mit etwas wahrer Empfindung versetzt, unterhält die Weiber immer, die unerfahrensten wie die klügsten; denn sie ist ein Tribut der Ueberlegenheit, welche ihnen die Natur in dem Verhältnisse der Ge- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="4"> <p><pb facs="#f0019"/> das gestern kaum gedacht, als ich da unten dem Arktur mein Herz eröffnete.</p><lb/> <p>Das Frühstück kam, und Gretchen trippelte herein, mir einen guten Morgen bietend. Sie sah aus wie der Morgen selbst nach einer erfrischenden Sommernacht. Fand ich sie gestern lieblich und anziehend, so erschien sie mir heute in dem vollen Glanze des blühendsten Jugendreizes. — Es ist doch eine köstliche Gottesgabe um ein Alter von achtzehn Jahren! dacht' ich, oder sagt' es vielmehr laut. So alt find Sie wohl eben, Gretchen? — Bald neunzehn, erwiderte sie. — Kommen Sie, Kind! Ich will mir einmal einbilden, ich wäre, was das betrifft. Ihresgleichen. Setzen Sie sich zu mir! Sie müssen die Conversation der Stadtherren doch ertragen lernen; ich will Ihnen eine Probe davon zum Besten geben.</p><lb/> <p>Das gute Kind wußte nicht, was sie von meiner Laune denken sollte; aber ich ließ mich nicht irre machen. Ich schwatzte, lachte, tändelte, mit so viel Anstand und natürlicher Lebhaftigkeit, daß Gretchen endlich selbst mit fortgerissen wurde. Lachend und schäkernd begleitete sie mich zu dem Wagen, in welchen ich sie diesmal hob, zum sichtbaren Verdrusse Paul's, der sich diese Galanterie nicht wollte nehmen lassen. Meine Stimmung dauerte die halbe Station über, zu Gretchens nicht geringem Ergötzen. Ein wenig verliebte Geckerei, mit etwas wahrer Empfindung versetzt, unterhält die Weiber immer, die unerfahrensten wie die klügsten; denn sie ist ein Tribut der Ueberlegenheit, welche ihnen die Natur in dem Verhältnisse der Ge-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0019]
das gestern kaum gedacht, als ich da unten dem Arktur mein Herz eröffnete.
Das Frühstück kam, und Gretchen trippelte herein, mir einen guten Morgen bietend. Sie sah aus wie der Morgen selbst nach einer erfrischenden Sommernacht. Fand ich sie gestern lieblich und anziehend, so erschien sie mir heute in dem vollen Glanze des blühendsten Jugendreizes. — Es ist doch eine köstliche Gottesgabe um ein Alter von achtzehn Jahren! dacht' ich, oder sagt' es vielmehr laut. So alt find Sie wohl eben, Gretchen? — Bald neunzehn, erwiderte sie. — Kommen Sie, Kind! Ich will mir einmal einbilden, ich wäre, was das betrifft. Ihresgleichen. Setzen Sie sich zu mir! Sie müssen die Conversation der Stadtherren doch ertragen lernen; ich will Ihnen eine Probe davon zum Besten geben.
Das gute Kind wußte nicht, was sie von meiner Laune denken sollte; aber ich ließ mich nicht irre machen. Ich schwatzte, lachte, tändelte, mit so viel Anstand und natürlicher Lebhaftigkeit, daß Gretchen endlich selbst mit fortgerissen wurde. Lachend und schäkernd begleitete sie mich zu dem Wagen, in welchen ich sie diesmal hob, zum sichtbaren Verdrusse Paul's, der sich diese Galanterie nicht wollte nehmen lassen. Meine Stimmung dauerte die halbe Station über, zu Gretchens nicht geringem Ergötzen. Ein wenig verliebte Geckerei, mit etwas wahrer Empfindung versetzt, unterhält die Weiber immer, die unerfahrensten wie die klügsten; denn sie ist ein Tribut der Ueberlegenheit, welche ihnen die Natur in dem Verhältnisse der Ge-
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Zitationshilfe: | Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreyvogel_liebesgeschichte_1910/19>, abgerufen am 16.02.2025. |