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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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2.--7. JAHR. KÖRPERLICHE SEITE. BEWEGUNG.
Körperlast beim Gehen vorzugsweise auf die äussere Fuss-
kante fällt. Diejenigen Fälle, in welchen angeborene Bildungs-
fehler (wie die Klumpfussbildung in ihren verschiedenen Ab-
stufungen) die Ursache dieser falschen Fussstellung sind, ge-
hören nicht in das Bereich dieser Schrift. Wir haben hier nur
insoweit die Einwärtsstellung der Füsse zu besprechen, als die-
selbe aus übler Gewohnheit entsteht, und es noch nicht bis
zu einer festen Verbildung der Fussform gekommen ist.

Am leichtesten und sichersten lässt sich einer solchen
Gewohnheit vorbeugen, wenn man das Kind schon in der er-
sten Zeit des Fussaufsetzens, während des Gehenlernens und
in der ersten Zeit nachher, in dieser Hinsicht scharf im Auge
hat, d. h. Alles entfernt, was vielleicht am Schuhwerke oder
sonst darauf nachtheilig einwirkt und durch entsprechendes
Stellen und Manipuliren der Füsse regulirend nachhilft.

Hat sich aber die Gewohnheit der Einwärtsstellung schon
gebildet, und ist das Kind einige Jahre alt geworden, so suche
man die Aufmerksamkeit und das Interesse für die Sache im
Kinde selbst so viel wie möglich zu wecken: durch Hinlen-
kung der kindlichen Ambition, durch kleine Belohnungen und
Bestrafungen, durch tägliche, zu bestimmten Zeiten vorzuneh-
mende Gehübungen, wobei die Aufmerksamkeit einzig und
allein auf das Gehen selbst gelenkt wird. Bei gut gezogenen,
an unbedingten Gehorsam gewöhnten Kindern wird man durch
Ausdauer auf diese Weise nach und nach meistens zum Ziele
gelangen können. Ist dies aber nicht der Fall, so lasse man
an dem inneren Rande des Schuhwerkes von der Ferse an
bis in die Gegend, wo der Ballen der grossen Zehe anfängt,
stärkere Ledersteifen in der Weise anbringen, dass jedes Ein-
wärtswenden des Fusses erschwert und für das Gefühl unan-
genehm gemacht, somit ein immerwährendes, auf diesen Zweck
abzielendes Erinnerungsmittel gewonnen wird.*) Reicht aber

*) Hierbei sei bemerkt, dass wegen der Entwickelung und Erhaltung
einer guten Bildung und Beschaffenheit der Füsse überhaupt, ganz besonders
aber für Kinder, einbälliges, jedem einzelnen Fusse genan angepasstes Schuh-
werk unbedingt den Vorzug verdient; denn einmal sind bei sehr vielen Men-
schen die Füsse nicht an allen einzelnen Punkten ganz gleichmässig gebildet,

2.—7. JAHR. KÖRPERLICHE SEITE. BEWEGUNG.
Körperlast beim Gehen vorzugsweise auf die äussere Fuss-
kante fällt. Diejenigen Fälle, in welchen angeborene Bildungs-
fehler (wie die Klumpfussbildung in ihren verschiedenen Ab-
stufungen) die Ursache dieser falschen Fussstellung sind, ge-
hören nicht in das Bereich dieser Schrift. Wir haben hier nur
insoweit die Einwärtsstellung der Füsse zu besprechen, als die-
selbe aus übler Gewohnheit entsteht, und es noch nicht bis
zu einer festen Verbildung der Fussform gekommen ist.

Am leichtesten und sichersten lässt sich einer solchen
Gewohnheit vorbeugen, wenn man das Kind schon in der er-
sten Zeit des Fussaufsetzens, während des Gehenlernens und
in der ersten Zeit nachher, in dieser Hinsicht scharf im Auge
hat, d. h. Alles entfernt, was vielleicht am Schuhwerke oder
sonst darauf nachtheilig einwirkt und durch entsprechendes
Stellen und Manipuliren der Füsse regulirend nachhilft.

Hat sich aber die Gewohnheit der Einwärtsstellung schon
gebildet, und ist das Kind einige Jahre alt geworden, so suche
man die Aufmerksamkeit und das Interesse für die Sache im
Kinde selbst so viel wie möglich zu wecken: durch Hinlen-
kung der kindlichen Ambition, durch kleine Belohnungen und
Bestrafungen, durch tägliche, zu bestimmten Zeiten vorzuneh-
mende Gehübungen, wobei die Aufmerksamkeit einzig und
allein auf das Gehen selbst gelenkt wird. Bei gut gezogenen,
an unbedingten Gehorsam gewöhnten Kindern wird man durch
Ausdauer auf diese Weise nach und nach meistens zum Ziele
gelangen können. Ist dies aber nicht der Fall, so lasse man
an dem inneren Rande des Schuhwerkes von der Ferse an
bis in die Gegend, wo der Ballen der grossen Zehe anfängt,
stärkere Ledersteifen in der Weise anbringen, dass jedes Ein-
wärtswenden des Fusses erschwert und für das Gefühl unan-
genehm gemacht, somit ein immerwährendes, auf diesen Zweck
abzielendes Erinnerungsmittel gewonnen wird.*) Reicht aber

*) Hierbei sei bemerkt, dass wegen der Entwickelung und Erhaltung
einer guten Bildung und Beschaffenheit der Füsse überhaupt, ganz besonders
aber für Kinder, einbälliges, jedem einzelnen Fusse genan angepasstes Schuh-
werk unbedingt den Vorzug verdient; denn einmal sind bei sehr vielen Men-
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[88/0092] 2.—7. JAHR. KÖRPERLICHE SEITE. BEWEGUNG. Körperlast beim Gehen vorzugsweise auf die äussere Fuss- kante fällt. Diejenigen Fälle, in welchen angeborene Bildungs- fehler (wie die Klumpfussbildung in ihren verschiedenen Ab- stufungen) die Ursache dieser falschen Fussstellung sind, ge- hören nicht in das Bereich dieser Schrift. Wir haben hier nur insoweit die Einwärtsstellung der Füsse zu besprechen, als die- selbe aus übler Gewohnheit entsteht, und es noch nicht bis zu einer festen Verbildung der Fussform gekommen ist. Am leichtesten und sichersten lässt sich einer solchen Gewohnheit vorbeugen, wenn man das Kind schon in der er- sten Zeit des Fussaufsetzens, während des Gehenlernens und in der ersten Zeit nachher, in dieser Hinsicht scharf im Auge hat, d. h. Alles entfernt, was vielleicht am Schuhwerke oder sonst darauf nachtheilig einwirkt und durch entsprechendes Stellen und Manipuliren der Füsse regulirend nachhilft. Hat sich aber die Gewohnheit der Einwärtsstellung schon gebildet, und ist das Kind einige Jahre alt geworden, so suche man die Aufmerksamkeit und das Interesse für die Sache im Kinde selbst so viel wie möglich zu wecken: durch Hinlen- kung der kindlichen Ambition, durch kleine Belohnungen und Bestrafungen, durch tägliche, zu bestimmten Zeiten vorzuneh- mende Gehübungen, wobei die Aufmerksamkeit einzig und allein auf das Gehen selbst gelenkt wird. Bei gut gezogenen, an unbedingten Gehorsam gewöhnten Kindern wird man durch Ausdauer auf diese Weise nach und nach meistens zum Ziele gelangen können. Ist dies aber nicht der Fall, so lasse man an dem inneren Rande des Schuhwerkes von der Ferse an bis in die Gegend, wo der Ballen der grossen Zehe anfängt, stärkere Ledersteifen in der Weise anbringen, dass jedes Ein- wärtswenden des Fusses erschwert und für das Gefühl unan- genehm gemacht, somit ein immerwährendes, auf diesen Zweck abzielendes Erinnerungsmittel gewonnen wird. *) Reicht aber *) Hierbei sei bemerkt, dass wegen der Entwickelung und Erhaltung einer guten Bildung und Beschaffenheit der Füsse überhaupt, ganz besonders aber für Kinder, einbälliges, jedem einzelnen Fusse genan angepasstes Schuh- werk unbedingt den Vorzug verdient; denn einmal sind bei sehr vielen Men- schen die Füsse nicht an allen einzelnen Punkten ganz gleichmässig gebildet,

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/92>, abgerufen am 27.04.2024.