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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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2.--7. JAHR. KÖRPERLICHE SEITE. NAHRUNG.
mit Weizenbrod; als zweites Frühstück, das jedoch mindestens
3 Stunden vor der Hauptmahlzeit genommen werden muss,
Weizenbrod mit Butter; Mittags eine einfache, aber volle
Fleischkost mit Suppe, Gemüse u. dgl., dazu Roggenbrod;
3--4 Stunden nach Mittag Roggenbrod mit Butter oder Obst;
des Abends mindestens 1 Stunde vor Schlafengehen Milch oder
Suppe mit ein wenig Weizenbrod. -- Die Summe der täglichen
Nahrung jetzt schon auf weniger einzelne Mahlzeiten, als hier
angegeben, zu vertheilen, ist nicht rathsam, weil dann das in
mehrfacher Hinsicht nachtheilige zuviel auf einmal Geniessen
schwer zu umgehen sein würde. Obiges Verhältniss harmo-
nirt am besten mit dem Grade des Stoffumsatzes, wie ihn die
körperliche Beschaffenheit dieses Alters mit sich bringt.

Hauptsächlich aus moralischen Rücksichten ist es wichtig,
dass in den Zwischenzeiten dem Kinde nichts, auch nicht das
allergeringste Essbare gereicht werde, damit der Gedanke an
das Essen ausser den bestimmten Zeiten gar nicht aufsteigt,
weil nur so, dann aber auch sehr leicht, die Consequenz der
Ordnung durchführbar ist. Je selbständiger das Kind wird,
um so mehr nimmt in dieser Altersperiode, wo das Vernunft-
gesetz noch nicht die Oberherrschaft zu führen vermag, die
Schwierigkeit zu, auch selbst nur eine einzige zugelassene
Ausnahme von der Regel nachwirkungslos zu verwischen.

Noch gehört hierher die Erwähnung eines ziemlich ver-
breiteten Vorurtheiles, das in physischer wie moralischer Hin-
sicht nicht ohne nachtheiligen Einfluss ist. Fast bei allen Kin-
dern taucht in diesem Alter, wo sie den Uebergang zur ge-
wöhnlichen Familienkost machen sollen, eine Grille auf, inso-
fern sie irgend ein dargebotenes Gericht der Hauptmahlzeit
(auf deren ungekürzten Genuss man gerade am meisten zu
halten hat) -- sei es Fleisch, sei es dieses oder jenes Gemüse
-- zu geniessen verweigern. Schwache Aeltern halten es für
eine Idiosynkrasie, d. h. eine in der individuellen Natur be-
gründete Eigenthümlichkeit und -- geben nach. Dadurch
aber machen sie erst eine nach und nach wirklich unüberwind-
bar werdende Idiosynkrasie daraus, zu welcher sich, wenn das
Kind merkt, dass ihm nachgegeben wird, noch so manche an-

2.—7. JAHR. KÖRPERLICHE SEITE. NAHRUNG.
mit Weizenbrod; als zweites Frühstück, das jedoch mindestens
3 Stunden vor der Hauptmahlzeit genommen werden muss,
Weizenbrod mit Butter; Mittags eine einfache, aber volle
Fleischkost mit Suppe, Gemüse u. dgl., dazu Roggenbrod;
3—4 Stunden nach Mittag Roggenbrod mit Butter oder Obst;
des Abends mindestens 1 Stunde vor Schlafengehen Milch oder
Suppe mit ein wenig Weizenbrod. — Die Summe der täglichen
Nahrung jetzt schon auf weniger einzelne Mahlzeiten, als hier
angegeben, zu vertheilen, ist nicht rathsam, weil dann das in
mehrfacher Hinsicht nachtheilige zuviel auf einmal Geniessen
schwer zu umgehen sein würde. Obiges Verhältniss harmo-
nirt am besten mit dem Grade des Stoffumsatzes, wie ihn die
körperliche Beschaffenheit dieses Alters mit sich bringt.

Hauptsächlich aus moralischen Rücksichten ist es wichtig,
dass in den Zwischenzeiten dem Kinde nichts, auch nicht das
allergeringste Essbare gereicht werde, damit der Gedanke an
das Essen ausser den bestimmten Zeiten gar nicht aufsteigt,
weil nur so, dann aber auch sehr leicht, die Consequenz der
Ordnung durchführbar ist. Je selbständiger das Kind wird,
um so mehr nimmt in dieser Altersperiode, wo das Vernunft-
gesetz noch nicht die Oberherrschaft zu führen vermag, die
Schwierigkeit zu, auch selbst nur eine einzige zugelassene
Ausnahme von der Regel nachwirkungslos zu verwischen.

Noch gehört hierher die Erwähnung eines ziemlich ver-
breiteten Vorurtheiles, das in physischer wie moralischer Hin-
sicht nicht ohne nachtheiligen Einfluss ist. Fast bei allen Kin-
dern taucht in diesem Alter, wo sie den Uebergang zur ge-
wöhnlichen Familienkost machen sollen, eine Grille auf, inso-
fern sie irgend ein dargebotenes Gericht der Hauptmahlzeit
(auf deren ungekürzten Genuss man gerade am meisten zu
halten hat) — sei es Fleisch, sei es dieses oder jenes Gemüse
— zu geniessen verweigern. Schwache Aeltern halten es für
eine Idiosynkrasie, d. h. eine in der individuellen Natur be-
gründete Eigenthümlichkeit und — geben nach. Dadurch
aber machen sie erst eine nach und nach wirklich unüberwind-
bar werdende Idiosynkrasie daraus, zu welcher sich, wenn das
Kind merkt, dass ihm nachgegeben wird, noch so manche an-

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[76/0080] 2.—7. JAHR. KÖRPERLICHE SEITE. NAHRUNG. mit Weizenbrod; als zweites Frühstück, das jedoch mindestens 3 Stunden vor der Hauptmahlzeit genommen werden muss, Weizenbrod mit Butter; Mittags eine einfache, aber volle Fleischkost mit Suppe, Gemüse u. dgl., dazu Roggenbrod; 3—4 Stunden nach Mittag Roggenbrod mit Butter oder Obst; des Abends mindestens 1 Stunde vor Schlafengehen Milch oder Suppe mit ein wenig Weizenbrod. — Die Summe der täglichen Nahrung jetzt schon auf weniger einzelne Mahlzeiten, als hier angegeben, zu vertheilen, ist nicht rathsam, weil dann das in mehrfacher Hinsicht nachtheilige zuviel auf einmal Geniessen schwer zu umgehen sein würde. Obiges Verhältniss harmo- nirt am besten mit dem Grade des Stoffumsatzes, wie ihn die körperliche Beschaffenheit dieses Alters mit sich bringt. Hauptsächlich aus moralischen Rücksichten ist es wichtig, dass in den Zwischenzeiten dem Kinde nichts, auch nicht das allergeringste Essbare gereicht werde, damit der Gedanke an das Essen ausser den bestimmten Zeiten gar nicht aufsteigt, weil nur so, dann aber auch sehr leicht, die Consequenz der Ordnung durchführbar ist. Je selbständiger das Kind wird, um so mehr nimmt in dieser Altersperiode, wo das Vernunft- gesetz noch nicht die Oberherrschaft zu führen vermag, die Schwierigkeit zu, auch selbst nur eine einzige zugelassene Ausnahme von der Regel nachwirkungslos zu verwischen. Noch gehört hierher die Erwähnung eines ziemlich ver- breiteten Vorurtheiles, das in physischer wie moralischer Hin- sicht nicht ohne nachtheiligen Einfluss ist. Fast bei allen Kin- dern taucht in diesem Alter, wo sie den Uebergang zur ge- wöhnlichen Familienkost machen sollen, eine Grille auf, inso- fern sie irgend ein dargebotenes Gericht der Hauptmahlzeit (auf deren ungekürzten Genuss man gerade am meisten zu halten hat) — sei es Fleisch, sei es dieses oder jenes Gemüse — zu geniessen verweigern. Schwache Aeltern halten es für eine Idiosynkrasie, d. h. eine in der individuellen Natur be- gründete Eigenthümlichkeit und — geben nach. Dadurch aber machen sie erst eine nach und nach wirklich unüberwind- bar werdende Idiosynkrasie daraus, zu welcher sich, wenn das Kind merkt, dass ihm nachgegeben wird, noch so manche an-

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/80>, abgerufen am 28.04.2024.