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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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1. JAHR. GEISTIGE SEITE.
lungsperiode besonders geneigt dazu machen, von solchen
Zwischenfällen gänzlich verschont bleiben. Es fragt sich also:
wie hat man sich hinsichtlich der disciplinarischen Grundsätze,
die doch auf Consequenz beruhen, zu verhalten, um diesen
ebensowohl als den durch den Ausnahmezustand gebotenen
Rücksichten in gebührender Weise Rechnung zu tragen?

Zunächst ist hervorzuheben, dass selbst Kinder des zar-
ten Alters, wenn sie sich bereits in geregelte Gewohnheiten
eingelebt haben, auch in kranken Tagen sich ganz anders be-
nehmen, als zuchtlos gebliebene Kinder. Krankheiten mit
ihren verschiedenartigen Gefühlsumstimmungen sind allerdings
auch bei Kindern recht entscheidende Proben des inneren
Sinnes -- wenn man bei jungen Kindern schon so sagen dürfte:
wahre Charakterproben. Man frage nur die Aerzte, denen
der Unterschied in dem Benehmen der kleinen Kranken, je-
nachdem in den verschiedenen Familien Erziehungsgrundsätze
walten oder nicht, sofort vor Augen tritt. Ist ein Kind zu
Ordnung und Gehorsam gewöhnt, so wird es dies auch, trotz
der Kämpfe mit der Krankheit, in fast jeder Beziehung an
den Tag legen und die ganze Sorge und Pflege der Umgebung
durch willige Fügsamkeit unglaublich erleichtern. Gerade in
solchen trüben Tagen belohnt sich eine seitherige gewissen-
hafte Durchführung richtiger Erziehungsgrundsätze in vorzüg-
lich fühlbarer Weise; und zwar nicht blos in Ansehung der
Lage der Aeltern sondern auch in Bezug auf das Wohl des
Kindes selbst. Jede Krankheit wird natürlich leichter, schnel-
ler und gründlicher geheilt bei fügsamen Verhalten des Kran-
ken als ausserdem, ja zuweilen nur dadurch das Leben er-
halten. Hierzu nur ein kleiner Beleg aus eigener Erfahrung.
Eines meiner Kinder war in dem Alter von 11/2 Jahr in einer
Weise erkrankt, dass das einzige auf Lebensrettung hoffen las-
sende, noch dazu gefahrvolle Heilverfahren nur bei vollstän-
dig ruhiger Fügsamkeit des kleinen Patienten möglich war.
Es gelang, da das Kind an den unbedingtesten Gehorsam
gegen mich von Anfang an gewöhnt war, während ausserdem
das Leben des Kindes nach menschlicher Berechnung höchst-
wahrscheinlich unrettbar gewesen wäre.

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lungsperiode besonders geneigt dazu machen, von solchen
Zwischenfällen gänzlich verschont bleiben. Es fragt sich also:
wie hat man sich hinsichtlich der disciplinarischen Grundsätze,
die doch auf Consequenz beruhen, zu verhalten, um diesen
ebensowohl als den durch den Ausnahmezustand gebotenen
Rücksichten in gebührender Weise Rechnung zu tragen?

Zunächst ist hervorzuheben, dass selbst Kinder des zar-
ten Alters, wenn sie sich bereits in geregelte Gewohnheiten
eingelebt haben, auch in kranken Tagen sich ganz anders be-
nehmen, als zuchtlos gebliebene Kinder. Krankheiten mit
ihren verschiedenartigen Gefühlsumstimmungen sind allerdings
auch bei Kindern recht entscheidende Proben des inneren
Sinnes — wenn man bei jungen Kindern schon so sagen dürfte:
wahre Charakterproben. Man frage nur die Aerzte, denen
der Unterschied in dem Benehmen der kleinen Kranken, je-
nachdem in den verschiedenen Familien Erziehungsgrundsätze
walten oder nicht, sofort vor Augen tritt. Ist ein Kind zu
Ordnung und Gehorsam gewöhnt, so wird es dies auch, trotz
der Kämpfe mit der Krankheit, in fast jeder Beziehung an
den Tag legen und die ganze Sorge und Pflege der Umgebung
durch willige Fügsamkeit unglaublich erleichtern. Gerade in
solchen trüben Tagen belohnt sich eine seitherige gewissen-
hafte Durchführung richtiger Erziehungsgrundsätze in vorzüg-
lich fühlbarer Weise; und zwar nicht blos in Ansehung der
Lage der Aeltern sondern auch in Bezug auf das Wohl des
Kindes selbst. Jede Krankheit wird natürlich leichter, schnel-
ler und gründlicher geheilt bei fügsamen Verhalten des Kran-
ken als ausserdem, ja zuweilen nur dadurch das Leben er-
halten. Hierzu nur ein kleiner Beleg aus eigener Erfahrung.
Eines meiner Kinder war in dem Alter von 1½ Jahr in einer
Weise erkrankt, dass das einzige auf Lebensrettung hoffen las-
sende, noch dazu gefahrvolle Heilverfahren nur bei vollstän-
dig ruhiger Fügsamkeit des kleinen Patienten möglich war.
Es gelang, da das Kind an den unbedingtesten Gehorsam
gegen mich von Anfang an gewöhnt war, während ausserdem
das Leben des Kindes nach menschlicher Berechnung höchst-
wahrscheinlich unrettbar gewesen wäre.

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[67/0071] 1. JAHR. GEISTIGE SEITE. lungsperiode besonders geneigt dazu machen, von solchen Zwischenfällen gänzlich verschont bleiben. Es fragt sich also: wie hat man sich hinsichtlich der disciplinarischen Grundsätze, die doch auf Consequenz beruhen, zu verhalten, um diesen ebensowohl als den durch den Ausnahmezustand gebotenen Rücksichten in gebührender Weise Rechnung zu tragen? Zunächst ist hervorzuheben, dass selbst Kinder des zar- ten Alters, wenn sie sich bereits in geregelte Gewohnheiten eingelebt haben, auch in kranken Tagen sich ganz anders be- nehmen, als zuchtlos gebliebene Kinder. Krankheiten mit ihren verschiedenartigen Gefühlsumstimmungen sind allerdings auch bei Kindern recht entscheidende Proben des inneren Sinnes — wenn man bei jungen Kindern schon so sagen dürfte: wahre Charakterproben. Man frage nur die Aerzte, denen der Unterschied in dem Benehmen der kleinen Kranken, je- nachdem in den verschiedenen Familien Erziehungsgrundsätze walten oder nicht, sofort vor Augen tritt. Ist ein Kind zu Ordnung und Gehorsam gewöhnt, so wird es dies auch, trotz der Kämpfe mit der Krankheit, in fast jeder Beziehung an den Tag legen und die ganze Sorge und Pflege der Umgebung durch willige Fügsamkeit unglaublich erleichtern. Gerade in solchen trüben Tagen belohnt sich eine seitherige gewissen- hafte Durchführung richtiger Erziehungsgrundsätze in vorzüg- lich fühlbarer Weise; und zwar nicht blos in Ansehung der Lage der Aeltern sondern auch in Bezug auf das Wohl des Kindes selbst. Jede Krankheit wird natürlich leichter, schnel- ler und gründlicher geheilt bei fügsamen Verhalten des Kran- ken als ausserdem, ja zuweilen nur dadurch das Leben er- halten. Hierzu nur ein kleiner Beleg aus eigener Erfahrung. Eines meiner Kinder war in dem Alter von 1½ Jahr in einer Weise erkrankt, dass das einzige auf Lebensrettung hoffen las- sende, noch dazu gefahrvolle Heilverfahren nur bei vollstän- dig ruhiger Fügsamkeit des kleinen Patienten möglich war. Es gelang, da das Kind an den unbedingtesten Gehorsam gegen mich von Anfang an gewöhnt war, während ausserdem das Leben des Kindes nach menschlicher Berechnung höchst- wahrscheinlich unrettbar gewesen wäre. 5*

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/71>, abgerufen am 28.04.2024.