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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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1. JAHR. KÖRPERLICHE SEITE. LUFTGENUSS.
werth. Trotzdem dass die Zimmerluft durch häufiges Erneu-
ern rein von aller Art Ausdünstungen, von Staub und Rauch
zu erhalten ist, muss doch in den ersten Tagen immer für
gleichmässige Wärme derselben (zwischen 14 und 16° R.) ge-
sorgt werden. Ist das Kind in einer Jahreszeit geboren, deren
Lufttemperatur nicht unter dem angegebenen Grade steht, so
kann es schon nach wenig Tagen stundenweise an die äussere
Luft gebracht werden. Ist es aber in einer kälteren Jahres-
zeit geboren, so muss man durch allmälige Uebergänge die
Athmungsorgane des Kindes erst an kältere Temperaturen ge-
wöhnen. Als Maassstab gelte folgender.

Bei der mittleren Frühlings- und Herbsttemperatur in den
gemässigten Zonen beginnt man in der zweiten Lebenswoche
den Uebergang damit, dass man das Kind in ungeheizte, aber
geschlossene Räume auf halbe bis ganze Stunden bringt und
geht dann in der dritten Woche zur freien Luft über. Mitten
im Winter muss aber der Uebergang noch subtiler geschehen.
Man trage das Kind in der zweiten Woche in weniger geheizte,
in der vierten Woche in ungeheizte geschlossene Räume auf
Viertel- bis halbe Stunden und erst im zweiten Monate an
die äussere Luft. Ist das Kind in seinem Bettchen gut ver-
wahrt und bei Gefrierluft der Kopf mit einem Flortuche oder
Schleier überdeckt, so hat man bei diesem Uebergange nicht
das Geringste zu besorgen, sondern nur den wichtigen Vortheil
des Genusses der reinen Luft überhaupt und den der Gewöh-
nung an die Temperaturveränderungen und die sonstigen at-
mosphärischen Einflüsse insbesondere. Von da ab aber, wo
das Kind einmal mit der äusseren Luft vertraut gemacht ist,
muss es auch durch tägliche Wiederholung (so lange es nämlich
vollkommen gesund ist, denn jede Unpässlichkeit, selbst schon
ein einfacher Schnupfen, die Entwickelung der Impfungspocken*)

*) Wenn die Einimpfung der Schutzpocken im ersten Lebensjahre
vorgenommen wird, so sollte stets wenigstens der 8. Monat abgewartet wer-
den, weil erst von da ab der wünschenswerthe Grad der Reactionskraft im
kindlichen Körper anzunehmen ist. Sehr wichtig ist es, dass die Lymphe
nur von solchen Kindern abgenommen wird, die eine vollkommen reine und
kerngesunde Constitution haben.

1. JAHR. KÖRPERLICHE SEITE. LUFTGENUSS.
werth. Trotzdem dass die Zimmerluft durch häufiges Erneu-
ern rein von aller Art Ausdünstungen, von Staub und Rauch
zu erhalten ist, muss doch in den ersten Tagen immer für
gleichmässige Wärme derselben (zwischen 14 und 16° R.) ge-
sorgt werden. Ist das Kind in einer Jahreszeit geboren, deren
Lufttemperatur nicht unter dem angegebenen Grade steht, so
kann es schon nach wenig Tagen stundenweise an die äussere
Luft gebracht werden. Ist es aber in einer kälteren Jahres-
zeit geboren, so muss man durch allmälige Uebergänge die
Athmungsorgane des Kindes erst an kältere Temperaturen ge-
wöhnen. Als Maassstab gelte folgender.

Bei der mittleren Frühlings- und Herbsttemperatur in den
gemässigten Zonen beginnt man in der zweiten Lebenswoche
den Uebergang damit, dass man das Kind in ungeheizte, aber
geschlossene Räume auf halbe bis ganze Stunden bringt und
geht dann in der dritten Woche zur freien Luft über. Mitten
im Winter muss aber der Uebergang noch subtiler geschehen.
Man trage das Kind in der zweiten Woche in weniger geheizte,
in der vierten Woche in ungeheizte geschlossene Räume auf
Viertel- bis halbe Stunden und erst im zweiten Monate an
die äussere Luft. Ist das Kind in seinem Bettchen gut ver-
wahrt und bei Gefrierluft der Kopf mit einem Flortuche oder
Schleier überdeckt, so hat man bei diesem Uebergange nicht
das Geringste zu besorgen, sondern nur den wichtigen Vortheil
des Genusses der reinen Luft überhaupt und den der Gewöh-
nung an die Temperaturveränderungen und die sonstigen at-
mosphärischen Einflüsse insbesondere. Von da ab aber, wo
das Kind einmal mit der äusseren Luft vertraut gemacht ist,
muss es auch durch tägliche Wiederholung (so lange es nämlich
vollkommen gesund ist, denn jede Unpässlichkeit, selbst schon
ein einfacher Schnupfen, die Entwickelung der Impfungspocken*)

*) Wenn die Einimpfung der Schutzpocken im ersten Lebensjahre
vorgenommen wird, so sollte stets wenigstens der 8. Monat abgewartet wer-
den, weil erst von da ab der wünschenswerthe Grad der Reactionskraft im
kindlichen Körper anzunehmen ist. Sehr wichtig ist es, dass die Lymphe
nur von solchen Kindern abgenommen wird, die eine vollkommen reine und
kerngesunde Constitution haben.
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[44/0048] 1. JAHR. KÖRPERLICHE SEITE. LUFTGENUSS. werth. Trotzdem dass die Zimmerluft durch häufiges Erneu- ern rein von aller Art Ausdünstungen, von Staub und Rauch zu erhalten ist, muss doch in den ersten Tagen immer für gleichmässige Wärme derselben (zwischen 14 und 16° R.) ge- sorgt werden. Ist das Kind in einer Jahreszeit geboren, deren Lufttemperatur nicht unter dem angegebenen Grade steht, so kann es schon nach wenig Tagen stundenweise an die äussere Luft gebracht werden. Ist es aber in einer kälteren Jahres- zeit geboren, so muss man durch allmälige Uebergänge die Athmungsorgane des Kindes erst an kältere Temperaturen ge- wöhnen. Als Maassstab gelte folgender. Bei der mittleren Frühlings- und Herbsttemperatur in den gemässigten Zonen beginnt man in der zweiten Lebenswoche den Uebergang damit, dass man das Kind in ungeheizte, aber geschlossene Räume auf halbe bis ganze Stunden bringt und geht dann in der dritten Woche zur freien Luft über. Mitten im Winter muss aber der Uebergang noch subtiler geschehen. Man trage das Kind in der zweiten Woche in weniger geheizte, in der vierten Woche in ungeheizte geschlossene Räume auf Viertel- bis halbe Stunden und erst im zweiten Monate an die äussere Luft. Ist das Kind in seinem Bettchen gut ver- wahrt und bei Gefrierluft der Kopf mit einem Flortuche oder Schleier überdeckt, so hat man bei diesem Uebergange nicht das Geringste zu besorgen, sondern nur den wichtigen Vortheil des Genusses der reinen Luft überhaupt und den der Gewöh- nung an die Temperaturveränderungen und die sonstigen at- mosphärischen Einflüsse insbesondere. Von da ab aber, wo das Kind einmal mit der äusseren Luft vertraut gemacht ist, muss es auch durch tägliche Wiederholung (so lange es nämlich vollkommen gesund ist, denn jede Unpässlichkeit, selbst schon ein einfacher Schnupfen, die Entwickelung der Impfungspocken *) *) Wenn die Einimpfung der Schutzpocken im ersten Lebensjahre vorgenommen wird, so sollte stets wenigstens der 8. Monat abgewartet wer- den, weil erst von da ab der wünschenswerthe Grad der Reactionskraft im kindlichen Körper anzunehmen ist. Sehr wichtig ist es, dass die Lymphe nur von solchen Kindern abgenommen wird, die eine vollkommen reine und kerngesunde Constitution haben.

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/48>, abgerufen am 02.05.2024.