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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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17. -- 20. JAHR. ÜBERGANG ZUR SELBSTÄNDIGKEIT. GEISTIGE SEITE.
Gemeinsinn, auf wahre Vaterlandsliebe mit allen daraus
stammenden Tugenden führen, ihn aber auch mit Achtung vor
den bestehenden Verhältnissen des Staates erfüllen,
selbst wenn diese weit hinter seinem Ideale zurückständen.
Denn erst eine reifere Erfahrung pflegt es zu erkennen, dass
diese letzteren von unten herauf betrachtet oft in einem trü-
gerischen Lichte erscheinen, im wahren Lichte immer nur von
oben herab durchschaut werden können.

Der Gemeinsinn, das Streben für das grosse Ganze zu
wirken, wird nun auch den erwählten speciellen Beruf ver-
edeln. Derselbe wird unter einem höheren Gesichtspunkte er-
scheinen. Zwar wird ihn der Jüngling zunächst als das noth-
wendige Mittel der Existenz erkennen. Allein der Erwerb
wird dabei nicht das alleinige Ziel sein, sondern dieses auch
gleichzeitig das Wohl des Ganzen, die Gemeinnützlichkeit um-
fassen. Der Beruf wird ihm als etwas Heiliges erscheinen,
das man, so lange die Kräfte dazu vorhanden sind, nicht aus
dem Grunde allein abschüttelt, weil vielleicht der Erwerb den
Sättigungspunkt erreicht hat. Denn nur das That-Leben, das
schaffende Wirken nach aussen ist das wahre volle Leben des
Menschen, der eigentliche Nährstoff der geistigen Lebensspeise,
das Genuss-Leben ist die Würze. Würze allein genossen,
stumpft aber bald ab und lässt die Lebenskraft vor der Zeit
vertrocknen. Es liegt tief in der menschlichen Seele begrün-
det und lässt sich durch keine Selbsttäuschung wegläugnen,
dass das Leben nur dann volle Befriedigung, inneres Glück
gewährt, wenn das Einzelleben zugleich mit dem Leben für
das Ganze verflochten ist. Ausserdem wird es zu einer Schale
ohne Kern und führt zur Selbstsucht, und auf diese ist unser
Leben nicht berechnet. Daher auch wird ein biederer Cha-
rakter das Streben nach mühelosem oder gegenleistungslosem
Erwerbe, nach den Glücksgaben des Lebens, stets in die eng-
sten Grenzen der Ehrbarkeit zurückweisen, niemals zu einer
die Berufsthätigkeit irgendwie störenden oder herabstimmen-
den Sucht oder gar zur herrschenden Lebensrichtung ausarten
lassen. Nur in ehrenhafter Thätigkeit wird er seine wahre
Genugthuung und Freude finden. Die angemessene, fest be-

17. — 20. JAHR. ÜBERGANG ZUR SELBSTÄNDIGKEIT. GEISTIGE SEITE.
Gemeinsinn, auf wahre Vaterlandsliebe mit allen daraus
stammenden Tugenden führen, ihn aber auch mit Achtung vor
den bestehenden Verhältnissen des Staates erfüllen,
selbst wenn diese weit hinter seinem Ideale zurückständen.
Denn erst eine reifere Erfahrung pflegt es zu erkennen, dass
diese letzteren von unten herauf betrachtet oft in einem trü-
gerischen Lichte erscheinen, im wahren Lichte immer nur von
oben herab durchschaut werden können.

Der Gemeinsinn, das Streben für das grosse Ganze zu
wirken, wird nun auch den erwählten speciellen Beruf ver-
edeln. Derselbe wird unter einem höheren Gesichtspunkte er-
scheinen. Zwar wird ihn der Jüngling zunächst als das noth-
wendige Mittel der Existenz erkennen. Allein der Erwerb
wird dabei nicht das alleinige Ziel sein, sondern dieses auch
gleichzeitig das Wohl des Ganzen, die Gemeinnützlichkeit um-
fassen. Der Beruf wird ihm als etwas Heiliges erscheinen,
das man, so lange die Kräfte dazu vorhanden sind, nicht aus
dem Grunde allein abschüttelt, weil vielleicht der Erwerb den
Sättigungspunkt erreicht hat. Denn nur das That-Leben, das
schaffende Wirken nach aussen ist das wahre volle Leben des
Menschen, der eigentliche Nährstoff der geistigen Lebensspeise,
das Genuss-Leben ist die Würze. Würze allein genossen,
stumpft aber bald ab und lässt die Lebenskraft vor der Zeit
vertrocknen. Es liegt tief in der menschlichen Seele begrün-
det und lässt sich durch keine Selbsttäuschung wegläugnen,
dass das Leben nur dann volle Befriedigung, inneres Glück
gewährt, wenn das Einzelleben zugleich mit dem Leben für
das Ganze verflochten ist. Ausserdem wird es zu einer Schale
ohne Kern und führt zur Selbstsucht, und auf diese ist unser
Leben nicht berechnet. Daher auch wird ein biederer Cha-
rakter das Streben nach mühelosem oder gegenleistungslosem
Erwerbe, nach den Glücksgaben des Lebens, stets in die eng-
sten Grenzen der Ehrbarkeit zurückweisen, niemals zu einer
die Berufsthätigkeit irgendwie störenden oder herabstimmen-
den Sucht oder gar zur herrschenden Lebensrichtung ausarten
lassen. Nur in ehrenhafter Thätigkeit wird er seine wahre
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[299/0303] 17. — 20. JAHR. ÜBERGANG ZUR SELBSTÄNDIGKEIT. GEISTIGE SEITE. Gemeinsinn, auf wahre Vaterlandsliebe mit allen daraus stammenden Tugenden führen, ihn aber auch mit Achtung vor den bestehenden Verhältnissen des Staates erfüllen, selbst wenn diese weit hinter seinem Ideale zurückständen. Denn erst eine reifere Erfahrung pflegt es zu erkennen, dass diese letzteren von unten herauf betrachtet oft in einem trü- gerischen Lichte erscheinen, im wahren Lichte immer nur von oben herab durchschaut werden können. Der Gemeinsinn, das Streben für das grosse Ganze zu wirken, wird nun auch den erwählten speciellen Beruf ver- edeln. Derselbe wird unter einem höheren Gesichtspunkte er- scheinen. Zwar wird ihn der Jüngling zunächst als das noth- wendige Mittel der Existenz erkennen. Allein der Erwerb wird dabei nicht das alleinige Ziel sein, sondern dieses auch gleichzeitig das Wohl des Ganzen, die Gemeinnützlichkeit um- fassen. Der Beruf wird ihm als etwas Heiliges erscheinen, das man, so lange die Kräfte dazu vorhanden sind, nicht aus dem Grunde allein abschüttelt, weil vielleicht der Erwerb den Sättigungspunkt erreicht hat. Denn nur das That-Leben, das schaffende Wirken nach aussen ist das wahre volle Leben des Menschen, der eigentliche Nährstoff der geistigen Lebensspeise, das Genuss-Leben ist die Würze. Würze allein genossen, stumpft aber bald ab und lässt die Lebenskraft vor der Zeit vertrocknen. Es liegt tief in der menschlichen Seele begrün- det und lässt sich durch keine Selbsttäuschung wegläugnen, dass das Leben nur dann volle Befriedigung, inneres Glück gewährt, wenn das Einzelleben zugleich mit dem Leben für das Ganze verflochten ist. Ausserdem wird es zu einer Schale ohne Kern und führt zur Selbstsucht, und auf diese ist unser Leben nicht berechnet. Daher auch wird ein biederer Cha- rakter das Streben nach mühelosem oder gegenleistungslosem Erwerbe, nach den Glücksgaben des Lebens, stets in die eng- sten Grenzen der Ehrbarkeit zurückweisen, niemals zu einer die Berufsthätigkeit irgendwie störenden oder herabstimmen- den Sucht oder gar zur herrschenden Lebensrichtung ausarten lassen. Nur in ehrenhafter Thätigkeit wird er seine wahre Genugthuung und Freude finden. Die angemessene, fest be-

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/303>, abgerufen am 25.11.2024.