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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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17. -- 20. JAHR. ÜBERGANG ZUR SELBSTÄNDIGKEIT. KÖRPERLICHE SEITE.
Hierher sind zu rechnen: regelmässiger und andauernder Ge-
nuss der freien Luft bei jeder Witterung und Jahreszeit; kalte
Waschungen oder Bäder von jedesmal kurzer Dauer, wie über-
haupt mit Vermeidung jeder Uebertreibung; regelmässige und
vollkräftige Körperbewegungen: vor allen das Turnen als das
vollständigste Mittel gleichmässiger Kraftentwickelung und
Durchbildung des Körpers, ferner Tanzen, verschiedene Haus-
und Gartenarbeiten, gelegentlich Fussreisen, für Jünglinge wo
möglich noch Fechten, Voltigiren, Reiten, Schwimmen. Bei allen
diesen Bewegungsarten sehe man jetzt besonders auch darauf,
dass durch vorsichtige gemessene Steigerung die Fähigkeit
längerer Ausdauer gewonnen wird. Die dadurch erreichte
höhere Kraft des Vertragens von Anstrengungen und Strapa-
zen kommt dem ganzen übrigen Leben zu Gute.

Die Gelegenheit, jährlich 1--2mal Fussreisen ausführen
zu können, ist jungen Leuten beiderlei Geschlechtes in viel-
facher Hinsicht höchst wünschenswerth. Zu den allgemeinen,
die Gesundheit mächtig fördernden, das Gemüth erfrischenden
und den Sinn für Naturschönheiten belebenden Einflüssen tritt
noch ein anderer Nutzen, der jungen Leuten sehr zu Statten
kommt. Da man nämlich auf Fussreisen zu mancherlei Ab-
weichungen von der gewohnten Lebensordnung, zum Ertra-
gen verschiedener Unbequemlichkeiten und Beschwerden durch
die Sache selbst genöthigt wird, so bietet sich damit für Je-
den ein treffliches Mittel, um den Maassstab für das Ertragen-
können der allerlei Abweichungen von der gewöhnlichen Le-
bensordnung ausfindig zu machen. Dieser Maassstab wird,
auf das gewöhnliche Leben übertragen, nur um ein Weniges
enger sein müssen, weil hier die allgemeinen gesundheitsdien-
lichen Einflüsse, deren ausgleichende Wirkung beim Reisen
mit in Rechnung zu ziehen ist, theilweise wegfallen.

In mehrfacher Hinsicht ist es nothwendig, den Zeitpunkt
zu kennen, wo die körperliche Entwickelung vollendet, der
junge Mensch als vollkommen erwachsen zu betrachten ist.
Denn wenn auch das Längenwachsthum des Körpers nach der
Mannbarkeitsentwickelung weniger auffällig wird und bald ganz
aufhört, so geht doch die innere Entwickelung und Kräftigung

17. — 20. JAHR. ÜBERGANG ZUR SELBSTÄNDIGKEIT. KÖRPERLICHE SEITE.
Hierher sind zu rechnen: regelmässiger und andauernder Ge-
nuss der freien Luft bei jeder Witterung und Jahreszeit; kalte
Waschungen oder Bäder von jedesmal kurzer Dauer, wie über-
haupt mit Vermeidung jeder Uebertreibung; regelmässige und
vollkräftige Körperbewegungen: vor allen das Turnen als das
vollständigste Mittel gleichmässiger Kraftentwickelung und
Durchbildung des Körpers, ferner Tanzen, verschiedene Haus-
und Gartenarbeiten, gelegentlich Fussreisen, für Jünglinge wo
möglich noch Fechten, Voltigiren, Reiten, Schwimmen. Bei allen
diesen Bewegungsarten sehe man jetzt besonders auch darauf,
dass durch vorsichtige gemessene Steigerung die Fähigkeit
längerer Ausdauer gewonnen wird. Die dadurch erreichte
höhere Kraft des Vertragens von Anstrengungen und Strapa-
zen kommt dem ganzen übrigen Leben zu Gute.

Die Gelegenheit, jährlich 1—2mal Fussreisen ausführen
zu können, ist jungen Leuten beiderlei Geschlechtes in viel-
facher Hinsicht höchst wünschenswerth. Zu den allgemeinen,
die Gesundheit mächtig fördernden, das Gemüth erfrischenden
und den Sinn für Naturschönheiten belebenden Einflüssen tritt
noch ein anderer Nutzen, der jungen Leuten sehr zu Statten
kommt. Da man nämlich auf Fussreisen zu mancherlei Ab-
weichungen von der gewohnten Lebensordnung, zum Ertra-
gen verschiedener Unbequemlichkeiten und Beschwerden durch
die Sache selbst genöthigt wird, so bietet sich damit für Je-
den ein treffliches Mittel, um den Maassstab für das Ertragen-
können der allerlei Abweichungen von der gewöhnlichen Le-
bensordnung ausfindig zu machen. Dieser Maassstab wird,
auf das gewöhnliche Leben übertragen, nur um ein Weniges
enger sein müssen, weil hier die allgemeinen gesundheitsdien-
lichen Einflüsse, deren ausgleichende Wirkung beim Reisen
mit in Rechnung zu ziehen ist, theilweise wegfallen.

In mehrfacher Hinsicht ist es nothwendig, den Zeitpunkt
zu kennen, wo die körperliche Entwickelung vollendet, der
junge Mensch als vollkommen erwachsen zu betrachten ist.
Denn wenn auch das Längenwachsthum des Körpers nach der
Mannbarkeitsentwickelung weniger auffällig wird und bald ganz
aufhört, so geht doch die innere Entwickelung und Kräftigung

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[279/0283] 17. — 20. JAHR. ÜBERGANG ZUR SELBSTÄNDIGKEIT. KÖRPERLICHE SEITE. Hierher sind zu rechnen: regelmässiger und andauernder Ge- nuss der freien Luft bei jeder Witterung und Jahreszeit; kalte Waschungen oder Bäder von jedesmal kurzer Dauer, wie über- haupt mit Vermeidung jeder Uebertreibung; regelmässige und vollkräftige Körperbewegungen: vor allen das Turnen als das vollständigste Mittel gleichmässiger Kraftentwickelung und Durchbildung des Körpers, ferner Tanzen, verschiedene Haus- und Gartenarbeiten, gelegentlich Fussreisen, für Jünglinge wo möglich noch Fechten, Voltigiren, Reiten, Schwimmen. Bei allen diesen Bewegungsarten sehe man jetzt besonders auch darauf, dass durch vorsichtige gemessene Steigerung die Fähigkeit längerer Ausdauer gewonnen wird. Die dadurch erreichte höhere Kraft des Vertragens von Anstrengungen und Strapa- zen kommt dem ganzen übrigen Leben zu Gute. Die Gelegenheit, jährlich 1—2mal Fussreisen ausführen zu können, ist jungen Leuten beiderlei Geschlechtes in viel- facher Hinsicht höchst wünschenswerth. Zu den allgemeinen, die Gesundheit mächtig fördernden, das Gemüth erfrischenden und den Sinn für Naturschönheiten belebenden Einflüssen tritt noch ein anderer Nutzen, der jungen Leuten sehr zu Statten kommt. Da man nämlich auf Fussreisen zu mancherlei Ab- weichungen von der gewohnten Lebensordnung, zum Ertra- gen verschiedener Unbequemlichkeiten und Beschwerden durch die Sache selbst genöthigt wird, so bietet sich damit für Je- den ein treffliches Mittel, um den Maassstab für das Ertragen- können der allerlei Abweichungen von der gewöhnlichen Le- bensordnung ausfindig zu machen. Dieser Maassstab wird, auf das gewöhnliche Leben übertragen, nur um ein Weniges enger sein müssen, weil hier die allgemeinen gesundheitsdien- lichen Einflüsse, deren ausgleichende Wirkung beim Reisen mit in Rechnung zu ziehen ist, theilweise wegfallen. In mehrfacher Hinsicht ist es nothwendig, den Zeitpunkt zu kennen, wo die körperliche Entwickelung vollendet, der junge Mensch als vollkommen erwachsen zu betrachten ist. Denn wenn auch das Längenwachsthum des Körpers nach der Mannbarkeitsentwickelung weniger auffällig wird und bald ganz aufhört, so geht doch die innere Entwickelung und Kräftigung

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/283>, abgerufen am 22.11.2024.