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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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8.--16. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND MIT SEINEN ÄLTERN.
sich bringen, daraus eine stehende Regel zu machen oder
nicht. Ein weiterer Nutzen dieser Maassregel besteht darin,
dass es nur so geschulten Menschen möglich ist, die Leistun-
gen untergebener Personen richtig zu beurtheilen, weder zu
viel noch zu wenig von ihnen zu verlangen. Glücklicher
Weise ist in Deutschland die öffentliche Meinung noch nicht
so tief gesunken, dass sie in dem Gegentheile die Schande
erblickt, noch nicht so tief, dass der Begriff "deutsche Haus-
frau", in welchem hohe geistige Bildung und zarte Weiblich-
keit mit häuslicher, wirthschaftlicher Tüchtigkeit vereinigt sind,
seinen stolzen Klang ganz verloren hätte.

Die Frage, ob es erzieherisch richtig sei, den Kindern
Geld in die Hände zu geben, ist nur dann zu bejahen, sobald
das Vertrauen in die unbedingte Wahrhaftigkeit und Folgsam-
keit derselben fest begründet ist. Jüngeren Kindern darf aber
durchaus nur zu einem doppelten Gebrauche des Taschengel-
des Befugniss eingeräumt werden: einmal zu milden Gaben
an Arme oder zu Freudengeschenken an Verwandte und Be-
kannte, und sodann zur Anschaffung kleiner nothwendiger
Bedürfnisse. Für jeden Gebrauch, der darüber hinausgeht (es
versteht sich, dass von etwas Verbotenem, wie Näschereien u. dgl.
nie die Rede sein kann), muss zuvor besondere Erlaubniss
eingeholt und über das Ganze stets genaue Rechenschaft ab-
gelegt werden. Die unbedingte Wahrhaftigkeit des Kindes
macht die Controle leicht und sichert gegen die Folgen eines
etwaigen Missbrauches; fehlt sie freilich -- nun, dann ist das
Kind verzogen und überhaupt noch nicht reif, Taschengeld
zu erhalten. Für ältere gutgezogene Kinder, etwa vom
12.--14. Jahre an, ist es eine recht gute Vorbereitung für's
praktische Leben, wenn sie allmonatlich soviel Geld in die
Hände bekommen, als nöthig ist, um nebst ihren kleinen Be-
dürfnissen auch ihre Bedürfnisse für Kleidung, Bücher u. dgl.
selbst zu bestreiten. Sie lernen dadurch mit Gelde umgehen,
ihre Sachen schonen, ihre Bedürfnisse reguliren und überhaupt
haushalten. Es bietet diese Einrichtung das beste Mittel, um
die in dieser Beziehung sonst oft erst zu spät erkennbar wer-
dende Individualität der Kinder rechtzeitig zu prüfen und sie

8.—16. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND MIT SEINEN ÄLTERN.
sich bringen, daraus eine stehende Regel zu machen oder
nicht. Ein weiterer Nutzen dieser Maassregel besteht darin,
dass es nur so geschulten Menschen möglich ist, die Leistun-
gen untergebener Personen richtig zu beurtheilen, weder zu
viel noch zu wenig von ihnen zu verlangen. Glücklicher
Weise ist in Deutschland die öffentliche Meinung noch nicht
so tief gesunken, dass sie in dem Gegentheile die Schande
erblickt, noch nicht so tief, dass der Begriff „deutsche Haus-
frau“, in welchem hohe geistige Bildung und zarte Weiblich-
keit mit häuslicher, wirthschaftlicher Tüchtigkeit vereinigt sind,
seinen stolzen Klang ganz verloren hätte.

Die Frage, ob es erzieherisch richtig sei, den Kindern
Geld in die Hände zu geben, ist nur dann zu bejahen, sobald
das Vertrauen in die unbedingte Wahrhaftigkeit und Folgsam-
keit derselben fest begründet ist. Jüngeren Kindern darf aber
durchaus nur zu einem doppelten Gebrauche des Taschengel-
des Befugniss eingeräumt werden: einmal zu milden Gaben
an Arme oder zu Freudengeschenken an Verwandte und Be-
kannte, und sodann zur Anschaffung kleiner nothwendiger
Bedürfnisse. Für jeden Gebrauch, der darüber hinausgeht (es
versteht sich, dass von etwas Verbotenem, wie Näschereien u. dgl.
nie die Rede sein kann), muss zuvor besondere Erlaubniss
eingeholt und über das Ganze stets genaue Rechenschaft ab-
gelegt werden. Die unbedingte Wahrhaftigkeit des Kindes
macht die Controle leicht und sichert gegen die Folgen eines
etwaigen Missbrauches; fehlt sie freilich — nun, dann ist das
Kind verzogen und überhaupt noch nicht reif, Taschengeld
zu erhalten. Für ältere gutgezogene Kinder, etwa vom
12.—14. Jahre an, ist es eine recht gute Vorbereitung für's
praktische Leben, wenn sie allmonatlich soviel Geld in die
Hände bekommen, als nöthig ist, um nebst ihren kleinen Be-
dürfnissen auch ihre Bedürfnisse für Kleidung, Bücher u. dgl.
selbst zu bestreiten. Sie lernen dadurch mit Gelde umgehen,
ihre Sachen schonen, ihre Bedürfnisse reguliren und überhaupt
haushalten. Es bietet diese Einrichtung das beste Mittel, um
die in dieser Beziehung sonst oft erst zu spät erkennbar wer-
dende Individualität der Kinder rechtzeitig zu prüfen und sie

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[263/0267] 8.—16. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND MIT SEINEN ÄLTERN. sich bringen, daraus eine stehende Regel zu machen oder nicht. Ein weiterer Nutzen dieser Maassregel besteht darin, dass es nur so geschulten Menschen möglich ist, die Leistun- gen untergebener Personen richtig zu beurtheilen, weder zu viel noch zu wenig von ihnen zu verlangen. Glücklicher Weise ist in Deutschland die öffentliche Meinung noch nicht so tief gesunken, dass sie in dem Gegentheile die Schande erblickt, noch nicht so tief, dass der Begriff „deutsche Haus- frau“, in welchem hohe geistige Bildung und zarte Weiblich- keit mit häuslicher, wirthschaftlicher Tüchtigkeit vereinigt sind, seinen stolzen Klang ganz verloren hätte. Die Frage, ob es erzieherisch richtig sei, den Kindern Geld in die Hände zu geben, ist nur dann zu bejahen, sobald das Vertrauen in die unbedingte Wahrhaftigkeit und Folgsam- keit derselben fest begründet ist. Jüngeren Kindern darf aber durchaus nur zu einem doppelten Gebrauche des Taschengel- des Befugniss eingeräumt werden: einmal zu milden Gaben an Arme oder zu Freudengeschenken an Verwandte und Be- kannte, und sodann zur Anschaffung kleiner nothwendiger Bedürfnisse. Für jeden Gebrauch, der darüber hinausgeht (es versteht sich, dass von etwas Verbotenem, wie Näschereien u. dgl. nie die Rede sein kann), muss zuvor besondere Erlaubniss eingeholt und über das Ganze stets genaue Rechenschaft ab- gelegt werden. Die unbedingte Wahrhaftigkeit des Kindes macht die Controle leicht und sichert gegen die Folgen eines etwaigen Missbrauches; fehlt sie freilich — nun, dann ist das Kind verzogen und überhaupt noch nicht reif, Taschengeld zu erhalten. Für ältere gutgezogene Kinder, etwa vom 12.—14. Jahre an, ist es eine recht gute Vorbereitung für's praktische Leben, wenn sie allmonatlich soviel Geld in die Hände bekommen, als nöthig ist, um nebst ihren kleinen Be- dürfnissen auch ihre Bedürfnisse für Kleidung, Bücher u. dgl. selbst zu bestreiten. Sie lernen dadurch mit Gelde umgehen, ihre Sachen schonen, ihre Bedürfnisse reguliren und überhaupt haushalten. Es bietet diese Einrichtung das beste Mittel, um die in dieser Beziehung sonst oft erst zu spät erkennbar wer- dende Individualität der Kinder rechtzeitig zu prüfen und sie

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/267>, abgerufen am 22.11.2024.