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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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8.--16. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND MIT SEINEN ÄLTERN.
oder das gemeinschaftliche Lesen passender, d. h. nur im
Kreise des Kinderlebens sich bewegender dramatischer Stücke,
zuweilen, jedoch nicht öfter als ein- oder zweimal im Jahre,
eine vollständige Aufführung solcher. Das letztere insbeson-
dere übt auf die äusserlich abrundende Bildung einen unüber-
trefflich förderlichen Einfluss. Für das etwas reifere Alter
sind zuweilen als Abwechselung auch einfache Declamirübun-
gen und für Knaben ausserdem Uebungen in freien Vorträgen
im Kreise der Familie sehr empfehlenswerth. Wenn auch
solche Vorträge (über irgend einen beliebigen Stoff) anfangs
sehr stümperhaft auszufallen pflegen, so bringt consequente
Fortsetzung der Uebungen doch meist überaus schnell die ge-
wünschte geistige Gewandtheit, die jetzt fast für jeden Stand
als ein Zeiterforderniss zu betrachten ist.

Das Vorlesen ist eine Kunst, die als Bildungsmittel noch
viel zu wenig benutzt wird. Geistige Bildungselemente, so-
wohl formelle als ideelle, liegen darin in reicher Fülle. Treff-
lich vereinigt sich hier das Nützliche mit dem Angenehmen
und Schönen, jede Art von Belehrung und geistiger Ausbil-
dung mit Unterhaltung. Wirkt man allmälig auf gutes Vor-
lesen hin, so wird das Kind genöthigt, zunächst das Gelesene
sich schnell geistig anzueignen, weil ausserdem ein richtiges
Wiedergeben unmöglich ist, und sodann in deutlicher, wohl-
klingender Aussprache, richtiger Betonung, Gedanken- und
Gefühlsdarstellung sich zu üben. Ist der Stoff mit einiger
Umsicht gewählt, wie leicht und schön lassen sich dann ge-
sprächsweise aller Art Belehrungen und Betrachtungen daran
knüpfen, die das Kind gewissermaassen spielend nach allen
gewünschten Richtungen in die Welt einführen und eine rich-
tige Lebensanschauung vorbereiten. Wie aufmunternd und
begeisternd wirken Schilderungen hoher und edler Charakter-
züge: wie viel direct anschauliche sittlich-religiöse Elemente
sind oft in dem Schicksalslaufe einzelner Menschen und Fa-
milien enthalten; wie leicht findet man dabei Gelegenheit, die
scheinbaren Räthsel und Widersprüche der Weltordnung,
welche in der Periode des halbreifen Selbstdenkens oft den
ganzen Sinn des Kindes verdrehen, zu lösen, z. B. die wahre

8.—16. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND MIT SEINEN ÄLTERN.
oder das gemeinschaftliche Lesen passender, d. h. nur im
Kreise des Kinderlebens sich bewegender dramatischer Stücke,
zuweilen, jedoch nicht öfter als ein- oder zweimal im Jahre,
eine vollständige Aufführung solcher. Das letztere insbeson-
dere übt auf die äusserlich abrundende Bildung einen unüber-
trefflich förderlichen Einfluss. Für das etwas reifere Alter
sind zuweilen als Abwechselung auch einfache Declamirübun-
gen und für Knaben ausserdem Uebungen in freien Vorträgen
im Kreise der Familie sehr empfehlenswerth. Wenn auch
solche Vorträge (über irgend einen beliebigen Stoff) anfangs
sehr stümperhaft auszufallen pflegen, so bringt consequente
Fortsetzung der Uebungen doch meist überaus schnell die ge-
wünschte geistige Gewandtheit, die jetzt fast für jeden Stand
als ein Zeiterforderniss zu betrachten ist.

Das Vorlesen ist eine Kunst, die als Bildungsmittel noch
viel zu wenig benutzt wird. Geistige Bildungselemente, so-
wohl formelle als ideelle, liegen darin in reicher Fülle. Treff-
lich vereinigt sich hier das Nützliche mit dem Angenehmen
und Schönen, jede Art von Belehrung und geistiger Ausbil-
dung mit Unterhaltung. Wirkt man allmälig auf gutes Vor-
lesen hin, so wird das Kind genöthigt, zunächst das Gelesene
sich schnell geistig anzueignen, weil ausserdem ein richtiges
Wiedergeben unmöglich ist, und sodann in deutlicher, wohl-
klingender Aussprache, richtiger Betonung, Gedanken- und
Gefühlsdarstellung sich zu üben. Ist der Stoff mit einiger
Umsicht gewählt, wie leicht und schön lassen sich dann ge-
sprächsweise aller Art Belehrungen und Betrachtungen daran
knüpfen, die das Kind gewissermaassen spielend nach allen
gewünschten Richtungen in die Welt einführen und eine rich-
tige Lebensanschauung vorbereiten. Wie aufmunternd und
begeisternd wirken Schilderungen hoher und edler Charakter-
züge: wie viel direct anschauliche sittlich-religiöse Elemente
sind oft in dem Schicksalslaufe einzelner Menschen und Fa-
milien enthalten; wie leicht findet man dabei Gelegenheit, die
scheinbaren Räthsel und Widersprüche der Weltordnung,
welche in der Periode des halbreifen Selbstdenkens oft den
ganzen Sinn des Kindes verdrehen, zu lösen, z. B. die wahre

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[260/0264] 8.—16. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND MIT SEINEN ÄLTERN. oder das gemeinschaftliche Lesen passender, d. h. nur im Kreise des Kinderlebens sich bewegender dramatischer Stücke, zuweilen, jedoch nicht öfter als ein- oder zweimal im Jahre, eine vollständige Aufführung solcher. Das letztere insbeson- dere übt auf die äusserlich abrundende Bildung einen unüber- trefflich förderlichen Einfluss. Für das etwas reifere Alter sind zuweilen als Abwechselung auch einfache Declamirübun- gen und für Knaben ausserdem Uebungen in freien Vorträgen im Kreise der Familie sehr empfehlenswerth. Wenn auch solche Vorträge (über irgend einen beliebigen Stoff) anfangs sehr stümperhaft auszufallen pflegen, so bringt consequente Fortsetzung der Uebungen doch meist überaus schnell die ge- wünschte geistige Gewandtheit, die jetzt fast für jeden Stand als ein Zeiterforderniss zu betrachten ist. Das Vorlesen ist eine Kunst, die als Bildungsmittel noch viel zu wenig benutzt wird. Geistige Bildungselemente, so- wohl formelle als ideelle, liegen darin in reicher Fülle. Treff- lich vereinigt sich hier das Nützliche mit dem Angenehmen und Schönen, jede Art von Belehrung und geistiger Ausbil- dung mit Unterhaltung. Wirkt man allmälig auf gutes Vor- lesen hin, so wird das Kind genöthigt, zunächst das Gelesene sich schnell geistig anzueignen, weil ausserdem ein richtiges Wiedergeben unmöglich ist, und sodann in deutlicher, wohl- klingender Aussprache, richtiger Betonung, Gedanken- und Gefühlsdarstellung sich zu üben. Ist der Stoff mit einiger Umsicht gewählt, wie leicht und schön lassen sich dann ge- sprächsweise aller Art Belehrungen und Betrachtungen daran knüpfen, die das Kind gewissermaassen spielend nach allen gewünschten Richtungen in die Welt einführen und eine rich- tige Lebensanschauung vorbereiten. Wie aufmunternd und begeisternd wirken Schilderungen hoher und edler Charakter- züge: wie viel direct anschauliche sittlich-religiöse Elemente sind oft in dem Schicksalslaufe einzelner Menschen und Fa- milien enthalten; wie leicht findet man dabei Gelegenheit, die scheinbaren Räthsel und Widersprüche der Weltordnung, welche in der Periode des halbreifen Selbstdenkens oft den ganzen Sinn des Kindes verdrehen, zu lösen, z. B. die wahre

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/264>, abgerufen am 22.11.2024.