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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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8. -- 16. JAHR. KÖRPERL. SEITE. AUSBILDUNG U. PFLEGE EINZELNER THEILE.
Unordentliche und Naturwidrige, sowie der Mangel an Selb-
ständigkeit, an Selbstbethulichkeit, die unnöthige Abhängigkeit
von dem Beistande Anderer hingestellt werden. Nur inso-
weit, in diesem Umkreise aber auch immer, ist das Ehr- und
Schaamgefühl rege zu erhalten.



In Betreff der speciellen Körperpflege verlangt noch ein
Punkt die ernsteste Aufmerksamkeit: die Bildung des Rückens.
Es wurde früher erwähnt, dass, wenn in Folge von erblicher
Anlage oder von Krankheiten der Rückenwirbelknochen sich
Rückgratsverkrümmungen bilden, die Zeit ihrer Entstehung
meistens in das erste Lebensjahr fällt. Das in Rede stehende
Lebensalter ist wieder eine solche Periode, in welcher die
Entstehung von Rückgratsverkrümmungen (meist seitlichen)
und zwar in ungleich grösserer Häufigkeit als im Säuglings-
alter vorkommt. Sie entstehen in diesem Alter meistens aus
Schwäche der Rückenmuskeln. Die Häufigkeit dieser Gebre-
chen ist in neuerer Zeit offenbar im Zunehmen. Es mag dies
seinen Grund haben in der schon durch mehrere Generationen
bemerkbar gewordenen Abnahme der Kräftigkeit des ganzen
Bildungstypus, sowie in dem bewegungslosen Stubenleben,
besonders der Mädchen, und der einseitigen geistigen Anspan-
nung unserer Jugend überhaupt. Durch alles dieses werden
schlaffe und falsche Körperhaltungen und Gewohnheiten be-
günstigt, und somit sind alle Bedingungen zur Entstehung
jener Uebel gegeben. Es kommt nun ganz besonders bei die-
ser Art von Bildungsfehlern sehr viel darauf an, dass sie in
den ersten Spuren ihrer Entwickelung entdeckt werden. Man
erstrecke daher seine Achtsamkeit bis zum Schlusse der Wachs-
thumsperiode des Körpers auch auf die Bildung des Rückens,
namentlich bei schwächlichen, sehr schnell wachsenden, zu
gesundheitswidrigen Haltungen und Gewohnheiten neigenden
Kindern.

Ueberhaupt, da alle körperlichen Uebel und Gebrechen
sich weit leichter verhüten, als, wenn sie einmal ausgebildet
sind, heilen lassen, ja manche nur verhütbar und nicht heilbar

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Unordentliche und Naturwidrige, sowie der Mangel an Selb-
ständigkeit, an Selbstbethulichkeit, die unnöthige Abhängigkeit
von dem Beistande Anderer hingestellt werden. Nur inso-
weit, in diesem Umkreise aber auch immer, ist das Ehr- und
Schaamgefühl rege zu erhalten.



In Betreff der speciellen Körperpflege verlangt noch ein
Punkt die ernsteste Aufmerksamkeit: die Bildung des Rückens.
Es wurde früher erwähnt, dass, wenn in Folge von erblicher
Anlage oder von Krankheiten der Rückenwirbelknochen sich
Rückgratsverkrümmungen bilden, die Zeit ihrer Entstehung
meistens in das erste Lebensjahr fällt. Das in Rede stehende
Lebensalter ist wieder eine solche Periode, in welcher die
Entstehung von Rückgratsverkrümmungen (meist seitlichen)
und zwar in ungleich grösserer Häufigkeit als im Säuglings-
alter vorkommt. Sie entstehen in diesem Alter meistens aus
Schwäche der Rückenmuskeln. Die Häufigkeit dieser Gebre-
chen ist in neuerer Zeit offenbar im Zunehmen. Es mag dies
seinen Grund haben in der schon durch mehrere Generationen
bemerkbar gewordenen Abnahme der Kräftigkeit des ganzen
Bildungstypus, sowie in dem bewegungslosen Stubenleben,
besonders der Mädchen, und der einseitigen geistigen Anspan-
nung unserer Jugend überhaupt. Durch alles dieses werden
schlaffe und falsche Körperhaltungen und Gewohnheiten be-
günstigt, und somit sind alle Bedingungen zur Entstehung
jener Uebel gegeben. Es kommt nun ganz besonders bei die-
ser Art von Bildungsfehlern sehr viel darauf an, dass sie in
den ersten Spuren ihrer Entwickelung entdeckt werden. Man
erstrecke daher seine Achtsamkeit bis zum Schlusse der Wachs-
thumsperiode des Körpers auch auf die Bildung des Rückens,
namentlich bei schwächlichen, sehr schnell wachsenden, zu
gesundheitswidrigen Haltungen und Gewohnheiten neigenden
Kindern.

Ueberhaupt, da alle körperlichen Uebel und Gebrechen
sich weit leichter verhüten, als, wenn sie einmal ausgebildet
sind, heilen lassen, ja manche nur verhütbar und nicht heilbar

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[223/0227] 8. — 16. JAHR. KÖRPERL. SEITE. AUSBILDUNG U. PFLEGE EINZELNER THEILE. Unordentliche und Naturwidrige, sowie der Mangel an Selb- ständigkeit, an Selbstbethulichkeit, die unnöthige Abhängigkeit von dem Beistande Anderer hingestellt werden. Nur inso- weit, in diesem Umkreise aber auch immer, ist das Ehr- und Schaamgefühl rege zu erhalten. In Betreff der speciellen Körperpflege verlangt noch ein Punkt die ernsteste Aufmerksamkeit: die Bildung des Rückens. Es wurde früher erwähnt, dass, wenn in Folge von erblicher Anlage oder von Krankheiten der Rückenwirbelknochen sich Rückgratsverkrümmungen bilden, die Zeit ihrer Entstehung meistens in das erste Lebensjahr fällt. Das in Rede stehende Lebensalter ist wieder eine solche Periode, in welcher die Entstehung von Rückgratsverkrümmungen (meist seitlichen) und zwar in ungleich grösserer Häufigkeit als im Säuglings- alter vorkommt. Sie entstehen in diesem Alter meistens aus Schwäche der Rückenmuskeln. Die Häufigkeit dieser Gebre- chen ist in neuerer Zeit offenbar im Zunehmen. Es mag dies seinen Grund haben in der schon durch mehrere Generationen bemerkbar gewordenen Abnahme der Kräftigkeit des ganzen Bildungstypus, sowie in dem bewegungslosen Stubenleben, besonders der Mädchen, und der einseitigen geistigen Anspan- nung unserer Jugend überhaupt. Durch alles dieses werden schlaffe und falsche Körperhaltungen und Gewohnheiten be- günstigt, und somit sind alle Bedingungen zur Entstehung jener Uebel gegeben. Es kommt nun ganz besonders bei die- ser Art von Bildungsfehlern sehr viel darauf an, dass sie in den ersten Spuren ihrer Entwickelung entdeckt werden. Man erstrecke daher seine Achtsamkeit bis zum Schlusse der Wachs- thumsperiode des Körpers auch auf die Bildung des Rückens, namentlich bei schwächlichen, sehr schnell wachsenden, zu gesundheitswidrigen Haltungen und Gewohnheiten neigenden Kindern. Ueberhaupt, da alle körperlichen Uebel und Gebrechen sich weit leichter verhüten, als, wenn sie einmal ausgebildet sind, heilen lassen, ja manche nur verhütbar und nicht heilbar

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/227>, abgerufen am 10.05.2024.